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# taz.de -- Leipziger Fotografiefestivals f/stop: Nackt mit Säugling
> Vertrauen bestimmt unser Verhalten. Deshalb thematisiert die 9. Ausgabe
> des f/stop Vertrauen als Währung des 21. Jahrhunderts.
Bild: Handl #6, 2020: Das Motiv der Hände zieht sich leitmotivisch durch die F…
Ein Festival für Fotografie inmitten einer unklaren Pandemiesituation zu
realisieren ist per se schon eine Leistung. Als Susan Bright und Nina Sand
im Juni 2020 das Angebot bekamen, das f/stop in Leipzig zu kuratieren,
„lebten wir aufgrund der Pandemie alle in einem Zustand höchsten Alarms,
und es war kurz nach dem Tod von George Floyd im Mai“, so die
australisch-britische Kuratorin Bright.
Gemeinsam mit Nina Strand, Künstlerin, Autorin und Gründerin des Osloer
Kunstjournals „Objektiv“, hat sie für eines der wichtigsten Festivals für
Fotografie in Deutschland das Thema Vertrauen gewählt. Vertrauen sei die
Währung des 21. Jahrhunderts: Ob Coronapandemie, Black Lives Matter,
#MeToo, Fake News, der Umgang mit Technologien – mehr denn je ist Vertrauen
entscheidend dafür, wie wir uns verhalten.
[1][Schon dem Medium Fotografie] ist die Vertrauensfrage eingeschrieben,
nicht erst, seit jeder sie für seinen Social-Media-Kanal bearbeiten kann.
Carmen Winant, Künstlerin und Schriftstellerin aus Columbus, USA, hat
Poster mit Fotos von Händen collagiert, die in ganz Leipzig sowie im
Eingangsbereich der Ausstellung gezeigt werden. Ausgangspunkt ihrer
Sammlung waren Fotos aus einem alten Buch, die die Hände von Marlene
Dietrich bei Auftritten zeigen.
Inzwischen sind es Tausende von Hände anderer Schauspielerinnen, die sie
unsystematisch in ein übergroßes Notizbuch klebt. In Zeiten, da wir alle
auf das potenziell ansteckende Händeschütteln verzichten und der erhobene
Daumen zu einem gängigen Kommunikationsmittel in beruflichen Zoom-Meetings
geworden ist, laden die aus ihren Kontexten herausgelösten Gesten dazu ein,
über Verletzlichkeit, Zupacken und Begeisterung nachzudenken.
## Die Hände als Leitmotiv
Das Motiv der Hände zieht sich leitmotivisch durch die Ausstellung: Die
norwegische Künstlerin Ingrid Eggen inszeniert sie wie kleine Skulpturen,
mal einzeln, mal ineinander verschlungen. Es geht um die unwillkürlichen,
die zufälligen Gesten und die unausgesprochenen Botschaften, die im Kontext
der digitalen Kommunikation verloren gehen.
Die Hände der französischen Künstlerin Laure Prouvost werden zu
Hauptdarstellern ihrer Filme und verteilen Feuchtigkeitscreme auf einem
Ausstellungskatalog. Auf einen Katalog verzichtet das Festival erstmals.
Geplant waren ursprünglich mehrere Zines mit Interviews der teilnehmenden
Künstler:innen, die jedoch an der Finanzierung scheiterten. Stattdessen
stehen auf der Festivalwebsite „Digital Wonderings“ in Form von kurzen
Texten, Gesprächen und Videos bereit. Kuratieren unter pandemischen
Bedingungen bringt Lösungen hervor, die auch jetzt, da das Festival
eröffnen konnte, eine zeit- und ortsunabhängige Rezeption ermöglichen.
„Die 10 Festivaltage sollen kein Eisberg in der Zeit sein“, erklärt Nina
Strand. Ob digital oder live in Leipzig – „TRUST/vertrauen“ präsentiert
Werke die dazu einladen, über Einvernehmlichkeit, künstlerische
Handlungsmacht, computergestützte Beziehungen, Glauben, Körper und
Intimität nachzudenken. Die starken Einzelpositionen treten im
gegenüberliegenden Gebäude in Dialog mit Arbeiten von Studierenden der
Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.
## Stimmtraining für mehr Vetrauenswürdigkeit
Tess Marschner nahm eine Studie zum Ausgangspunkt für ihre Videoarbeit,
laut der Frauenstimmen in den vergangenen Jahren deutlich tiefer geworden
seien. Margaret Thatcher nahm noch zwei Jahre Stimmtraining, um ihre um
mehrere Halbtöne zu senken – je tiefer, umso vertrauenswürdiger.
Posieren in der Hauptausstellung nackte Männer der Queer-Community
selbstbewusst vor der Kamera von Paul Mpagi Sepuya, zeigt Sophie Meuresch
einen nackten jungen Mann mit Säugling im Schoss. Ein [2][authentisches
Abbild heutiger Vaterrollen], zumindest im Kreativmilieu.
Jane Beran eignete sich für ihr Diplom Dias ihres Großvaters an, 2.000
Stück, entstanden seit den 60er Jahren bis zur Wendezeit. Sich zum Teil
widersprechende Erinnerungen laufen parallel zu den neu abfotografierten
Projektionen auf einem Bildschirm: „Die Familie verließ Tschechien im Juni
1946, da sie sich nicht mehr sicher fühlte und einer plötzlichen
offiziellen Vertreibung zuvorkommen wollte.“
Im Vertrauen auf eine [3][bessere Zukunft hat auch Raisan Hameed] seine
Heimat im Juni 2014 verlassen, 2015 kam er aus dem Irak nach Deutschland.
Als Künstler und Journalist ist er vor Isis geflohen, zwei Freunde von ihm
wurden mitten auf der Straße hingerichtet. 40 Videostills hat er wie in
einem Daumenkino zu einem großen Bild zusammengefügt.
## Fokus auf internationale und interdisziplinäre Themen
Menschen mit Schwimmwesten sind zu erkennen: „Scene Along the way
2015–2020.“ Seit seiner Gründung 2007 hat das Festival stets auf aktuelle
Fragen der Gegenwart reagiert und den Fokus von einer ursprünglich eher
lokalen Perspektive auf Leipzig bereits in den jüngsten Ausgaben deutlich
auf internationale und interdisziplinäre Themen ausgeweitet.
Wie die letzten, so ist auch diese Ausgabe konsequent im Hier und Jetzt,
will ein Programm zeigen, das hilft, die Welt, unsere Rolle in ihr und
unseren zukünftigen Weg besser zu verstehen – nicht nur durch das Medium
Ausstellung, sondern auch durch ein umfangreiches Begleitprogramm. Während
des Festivals finden online außerdem täglich Gesprächsformate statt.
Im Dialog zu den Werken der Hauptausstellung entwickeln blinde
Fotograf:innen, junge Migrant:innen, Schüler:innen und Gehörlose eigene
Arbeiten – auch diese Entstehungsprozesse lassen sich online verfolgen.
Zahlreiche Leipziger Kunsträume und Museen zeigen parallel Fotografie.
29 Jun 2021
## LINKS
[1] /Fotograf-Andreas-Gehrke-ueber-sein-Berlin/!5774581
[2] /Ausstellung-Family-Affairs/!5773803
[3] /Irakischer-Fotograf-ueber-Kunstfreiheit/!5492532
## AUTOREN
Sarah Alberti
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
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Fluchtursachen
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