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# taz.de -- „After the Butcher“ in Berlin: Das Verhältnis von Kopf und Hand
> Lydia Hamann, Kaj Osteroth und Xiaopeng Zhou spielen mit Techniken der
> Aneignung. Sie reflektieren Fragen von Repräsentation und
> Vergänglichkeit.
Bild: Ausstellungsansicht „Good Copy/Bad Copy“ bei After The Butcher in Ber…
Über ein Jahr lang erteilte der Künstler Xiaopeng Zhou einer
Alzheimer-Patientin wöchentlichen Zeichenunterricht. Gemeinsam besuchten
sie für erste Pflanzenstudien den Botanischen Garten in Berlin. Mit Beginn
des Lockdowns trafen sie sich zum Zeichnen in der Wohnung der über
achtzigjährigen Dame. In der bildungsbürgerlichen Umgebung arrangierten sie
Stilleben oder wählten Reproduktionen der europäischen Kunstgeschichte als
Vorlage für die an Demenz erkrankte Schülerin aus.
In äußerst präzisen, aber luftigen Reportagezeichnungen dokumentiert der
chinesische Künstler in Ausschnitten und mit hohem Weißanteil die
regelmäßigen Zusammenkünfte. Seine Beobachtungen und die Gespräche mit der
vielseitig interessierten Dame verwandelten die als Lohnarbeit begonnenen
Treffen für ihn in ein inspirierendes Wechselspiel aus Lehren und Lernen.
Entstanden ist eine vielschichtige künstlerische Auseinandersetzung mit
Verlust, Sehnsucht und Vergänglichkeit.
Daraus entwickelte Xiaopeng Zhou für die Gruppenausstellung „BPA Exhibition
2021“ im KW Institute for Contemporary Art (die am 19. September zu Ende
geht) eine Installation mit Videoprojektion. In der aktuellen
Doppelausstellung „Good Copy/ Bad Copy“ im Ausstellungsraum „After the
Butcher“ im Berliner Stadtteil Lichtenberg zeigt er nun eine größere
Auswahl der Originalarbeiten – darunter Porträts der zeichnenden alten
Dame, Bücher und Gegenstände in ihrer Wohnung, Blüten und Stillleben. Auch
einige ihrer Zeichnungen finden sich unter den gleichmäßig als Block
gehängten Blättern.
Doch es geht nicht um einen Vergleich von Können oder Kunstfertigkeit.
Besonders deutlich wird dies in der ebenfalls gezeigten sehr persönlichen
Videoarbeit des Künstlers. Darin reflektiert er das Verhältnis von Kopf,
Hand und Linie beim Zeichnen, die Herausforderungen der Patientin wie auch
seine eigene künstlerische Entwicklung. Vor seinem Abschluss an der
Kunsthochschule Weissensee in Berlin 2014 hatte Xiaopeng Zhou die
klassische Zeichenausbildung an der chinesischen Kunstakademie in Guangzhou
durchlaufen.
## Perfekter Kontrapunkt
Einen spannenden Kontrapunkt setzt die Doppelausstellung in dem ehemaligen
Ladenlokal im Stadtteil Lichtenberg mit den Arbeiten des feministischen
Künstlerinnenduos Lydia Hamann & Kaj Osteroth. Ihr Medium ist die Malerei,
das sie als Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen seit 2007 gemeinsam
erforschen. 2018 veröffentlichten sie „Radical Admiration“, ein Buch, das
aus der 2014 begonnenen Bildserie über elf sie inspirierende Künstlerinnen
hervorging. Im selben Jahr waren sie auch auf der 10. Berlin Biennale
vertreten.
Nun zeigen die Malerinnen in „Good Copy/ Bad Copy“ unter dem Titel
„Glamshots“ eine Serie handlicher, in Öl auf Leinwand gemalter Formate, die
Bezug nehmen auf die kaum repräsentierten weiblichen Künstlerinnen im
umfassenden Sammlungsbestand der Berliner Gemäldegalerie – 20 von insgesamt
3.500 Bildern.
Durch ihr beherztes Kopieren von Ausschnitten, Blicken und Gesten jener
Gemälden treten Lydia Hamann & Kaj Osteroth in einen lebendigen Dialog mit
den Werken von [1][Anna Therbusch], [2][Elisabeth Vigee-Lebrun], Angelika
Kauffmann, Marie Latour, Anne Vallayer-Coster und Sofonisba Anguissola.
Hände, Augen, Stoffe, Kleidung, Blumenbouquet und Stillleben. Unprätentiös
in der Umsetzung und mit leuchtenden Farben richten Hamann und Osteroth
malend den Blick auf die Leerstellen der Kunstgeschichte und eröffnen
gleichzeitig Spielraum für Neuinterpretationen.
Auf der gegenüberliegenden Raumseite präsentiert das Duo eine frühere
kleinformatige Gemäldegruppe mit der Anmutung von „Schnappschüssen“ aus d…
Florentiner Uffizien, die während des gemeinsamen Stipendienaufenthalts
dort in der Villa Romana 2020 entstanden sind. Mutig und transparent geben
Lydia Hamann & Kaj Osteroth mit ihrer eher flüchtigen, nicht um Perfektion
bemühten Maltechnik wertvolle Einblicke in den dynamischen
Entstehungsprozess ihrer Kunstproduktion. Die begreifen sie als kritischen
Dialog und widerständige Praxis.
19 Sep 2021
## LINKS
[1] /Malerin-Anna-Dorothea-Therbusch-zum-300/!5785092
[2] /Serie-Alte-Meister/!5463265
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
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