| # taz.de -- Potsdamer Ausstellung über DDR-Kunst: Noch nicht zu den Akten legen | |
| > Die Potsdamer Ausstellung „Im Dialog“ schärft den Blick auf Kunst aus der | |
| > DDR. Zu sehen ist sie ausgerechnet im Privatmuseum Das Minsk. | |
| Bild: Wolfgang Mattheuer, Sturz des Ikarus II, 1978 | |
| Schon mal von der erzgebirgischen Moderne gehört? Zu dieser vermeintlich | |
| lokalen Ausformung von Kunst aus der DDR liegt eine Publikation im | |
| Potsdamer Museum Das Minsk aus. Oder „Trottoir Gespräche von Pirna bis | |
| Paris“, also jenes Pirna in Sachsen, in dem die AfD derzeit den | |
| Bürgermeister stellt. | |
| Diese Kunstbuchtitel sind fake. Der Berliner Künstler Wilhelm Klotzek hat | |
| die Attrappen aufgestellt, als wären es Waren im Museumsshop. Damit trifft | |
| Klotzek einen Nerv: Auch festgeschriebene Kunstgeschichte darf | |
| überarbeitet werden. Denn das Minsk versammelt nun unter dem Titel „Im | |
| Dialog“ rund 50 Kunstwerke aus der DDR von 1949 bis 1990 und mag sie dabei | |
| nicht dem gängigen Bild anpassen, Kunst des Realsozialismus sei entweder | |
| regimekonform oder oppositionell gewesen, ohne jede Zwischentöne. | |
| Dabei macht auch das Minsk zunächst eine vereinfachende Gegenüberstellung. | |
| Im Erdgeschoss die figurativen, realistischen Malereien von heute | |
| strittigen Staatskünstlern wie Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Werner | |
| Tübke, [1][der mit dem monumentalen Bauernkriegspanorama in Bad | |
| Frankenhausen das wohl größte Auftragskunstwerk der DDR anfertigte]. | |
| ## Nonkonformisten im Obergeschoss | |
| Im Obergeschoss die Nonkonformisten und Subversiven: Mail-Art-Künstlerin | |
| Ruth Wolf-Rehfeldt mit ihren gewitzten Wortgrafiken, Performerin und | |
| Malerin Cornelia Schleime, die 1984 in die BRD ausreisen musste, [2][und | |
| Gabriele Stötzer], die mit ihrer aktivistischen Kunst erst Ende der 1970er | |
| nach einer Haftstrafe im Erfurter Frauengefängnis begann. Stötzer hatte | |
| 1976 öffentlich gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann | |
| protestiert. „Habe ich euch nicht glänzend amüsiert“, lautet Stötzers | |
| trotzige Videoarbeit von 1989 in der Potsdamer Schau. Mit roter und weißer | |
| Farbe bemalt sie sich darin zur Kriegerin. | |
| Doch die in der Ausstellung gezogene Trennlinie zwischen offizieller und | |
| dissidentischer Kunst aus der DDR soll schnell wieder verwischen. Etwa, | |
| wenn man auf die Verstrickungen einiger Künstler:innen mit dem | |
| SED-Regime blickt. Da gibt es Ralf Kerbachs fauvistisch-expressive | |
| Tischszene „Dresdner Freunde“ von 1983/84. Ein fiktives Treffen zwischen | |
| dem Maler, Cornelia Schleime – hier totenbleich und mit rotem Hummer auf | |
| dem Kopf – und dem Autor Sascha Anderson, [3][alle drei in der Dresdner | |
| Subkultur unterwegs] und von der Stasi beobachtet. Anderson spähte | |
| allerdings als IM selbst die Künstlerfreunde aus. | |
| Auf der vermeintlich anderen, offiziellen Kunstseite lässt sich wiederum | |
| beobachten, wie auch dort Kritik an den Verhältnissen möglich war. Mit | |
| welch grob gepinselter, rubenshafter Fleischlichkeit Willi Sitte 1967 etwa | |
| ein Liebespaar malte, den Blick direkt auf das Privateste in einem | |
| zunehmenden Kontrollstaat gerichtet. | |
| ## Fortschrittspropaganda im All | |
| Oder wie Wolfgang Mattheuer mit seiner sachlichen, ins Surreale kippende | |
| Malerei DDR-Fortschrittspropaganda bildlich unterwanderte. 1978, das Jahr, | |
| in dem Sigmund Jähn in einer sowjetischen Raumkapsel als erster Deutscher | |
| ins All flog, malt Mattheuer seinen „Sturz des Ikarus“, es ist ein | |
| Astronaut, dem hier vor unwirklichem Himmel die Flügel abflammen. | |
| Mattheuer vertrat die DDR 1977 gemeinsam mit Tübke und Sitte auf der | |
| Kunstschau documenta, gegen manchen Protest aus dem Westen. In Kassel | |
| stellte er das seltsame Bild „Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier“ aus. | |
| Parteifunktionäre mit Würfelköpfen staksen darin durch eine Mondlandschaft, | |
| die DDR war damals weltgrößter Braunkohleproduzent. | |
| Das Gemälde, ein interessantes Dokument deutsch-deutscher Kulturpolitik, | |
| ist heute im Besitz des Softwareunternehmers Hasso Plattner. Der | |
| westdeutsche Plattner hat eine beachtliche Sammlung mit Kunst aus der DDR. | |
| Das von seiner Stiftung [4][finanzierte Minsk in einem restaurierten Bau | |
| der Ostmoderne ist letztlich Display für seine Kunstkollektion]. Das | |
| Privatmuseum macht einen guten Job, die Kunst der DDR wird in seinen | |
| Ausstellungen nicht ideologisch verklärt, sondern neu gedacht. | |
| Trotzdem bedauerlich, dass solch Überarbeitung der DDR-Kunstgeschichte | |
| nicht von einem öffentlichen Haus ausgeht. | |
| 13 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /500-Jahre-Bauernkrieg/!6040831 | |
| [2] /Underground-Kunstszene-im-DDR-Erfurt/!5889404 | |
| [3] /Geschichte-von-Punk-in-der-DDR/!6009166 | |
| [4] /Neues-Museum-in-Potsdam/!5884528 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Jung | |
| ## TAGS | |
| Ausstellung | |
| DDR | |
| Potsdam | |
| Ausstellung | |
| Architektur | |
| Hannover | |
| Berlin Ausstellung | |
| Berlin Ausstellung | |
| DDR | |
| DDR | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Drei Schauen zu DDR-Kunst in Cottbus: Keck mit Zigarette | |
| Selbstbewusste Porträts stehen neben einem tastenden Umgang mit Identität | |
| in drei Schauen zu DDR-Kunst im Museum Dieselkraftwerk Cottbus. Und Punks. | |
| DDR-Architekturzeichnungen: Die Subversion des Volkseigentums | |
| Eine Berliner Ausstellung zeigt unbekannte Architekturzeichnungen aus der | |
| DDR. Sie offenbaren eine quälende Spannung zwischen Vision und | |
| Wirklichkeit. | |
| Ballett-Uraufführung in Hannover: Nur Abstürzen ist schöner | |
| In Hannover denkt das Ballett „Ikarus“ übers Fliegen nach: Choreograf | |
| Andonis Foniadakis ist ein komplett desillusionierter, toller Abend | |
| gelungen. | |
| Neue Leitung am Kunsthaus KW in Berlin: Ein Knabe singt von der großen Schöpf… | |
| Emma Enderby ist die neue Direktorin des Berliner Kunsthauses KW. In ihrer | |
| ersten Ausstellung stellt sie die großen Fragen, teils in drolliger Form. | |
| Farbenspiele in der Galerie Nord: Das geheime Leuchten | |
| Von der Wirkmacht der Farben und ihrem malerischen Drängen in den Raum | |
| handelt die Ausstellung „Gravity’s Rainbow“ in der Galerie Nord in Moabit. | |
| Auf der Spur von Willi Sitte: Sie lieben und sie hassen ihn | |
| Willi Sitte war Maler, DDR-Funktionär – und umstritten. Für unseren Autor | |
| war er lange nur sein Urgroßonkel – bis ein Bild auf dem Dachboden | |
| auftaucht. | |
| Doku über DDR-Künstlerinnen: Bleiben oder gehen? | |
| Freiräume in der DDR: Die Doku „Rebellinnen“ kreist um das Leben der | |
| Künstlerinnen Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer. | |
| ESA nominiert sechs Astronauten: Reiseziel Mond | |
| Obwohl Menschen im All eher Ballast als Nutzlast sind, nominiert die ESA | |
| sechs neue Astronauten. Und das nicht nur für die ISS. Nein: Es soll | |
| irgendwann auch zum Mond gehen. |