# taz.de -- Ballett-Uraufführung in Hannover: Nur Abstürzen ist schöner | |
> In Hannover denkt das Ballett „Ikarus“ übers Fliegen nach: Choreograf | |
> Andonis Foniadakis ist ein komplett desillusionierter, toller Abend | |
> gelungen. | |
Bild: Flugversuche zu zweit mal vier: Die Multiplikation der Figuren macht klar… | |
Hannover taz | Alles stürzt. Daran lässt Julien Tarrides drängende | |
„Ikarus“-Komposition von Anfang an keinen Zweifel, auch wenn sie, obwohl | |
eigens für diese Produktion der [1][Staatsoper Hannover] geschaffen, leider | |
nur vom Band ertönt. | |
Der Mix aus verfremdetem Gesang, handgearbeiteten Streicher-Akkorden und | |
minimalistisch variierenden, elektronischen Klängen könnte sicher, wie jede | |
gute Ballettmusik, auch live und ohne Andonis Foniadakis’ Choreografie gut | |
bestehen. | |
Noch bevor der Tanz mit klugen Figuren, fließenden Armbewegungen und | |
unheimlichen Schattenwürfen eine Ahnung vom Traum des Fliegens erzeugt, | |
noch bevor die Augen im von Sakis Birbilis designten Schwarz-Weiß-Gewitter | |
die Gestalt mit zerbrochenen Flügeln erfassen, hat Tarride den Raum mit | |
einem schier endlosen, vielstimmigen, kratzigen Glissando besetzt. | |
Immer wieder neu beginnt es, oft quälend dissonant, in lichter Höhe, um von | |
dort alles in ein Fallen einzubeziehen. [2][Das aber hält keiner unendlich | |
sanft in seinen Händen]. Und damit ist die Geschichte schon vorbei. [3][Der | |
Ikarus-Mythos] handelt davon, wie dieser Jüngling aus Begeisterung über die | |
technische Innovation seines Vaters Dädalus – echte Flügel, wie geil ist | |
das denn! – dessen Sicherheitshinweise ignoriert: Absturz, Tod und Ende. | |
## Äußerst konzentriert | |
Mehr zu erzählen gibt es nicht, und das will Foniadakis auch gar nicht. | |
Statt eines Handlungs-, hat er ein mitreißendes Reflexions-Ballett | |
geschaffen. | |
Beschränkt auf den Drehbühnenkreis, also im Wortsinn hochkonzentriert, | |
spielen die Bewegungen die Motive dieser Ur-Erzählung durch, wenden sie ins | |
Allgemeingültige: Die Vater-Sohn-Beziehung tragen der athletische Jamal | |
Uhlmann und der zierliche Floris Puts noch in einem Kampftanz-Pas-de-deux | |
aus, dessen heftige Hebefiguren Uhlmann wie beiläufig absolviert. | |
Zum Menschheitsthema erweitert der selbst auf Kreta aufgewachsene | |
Choreograf die Motive der Erzählung dann, indem er ihre zwei Rollen | |
vervielfacht, wobei er, unterstützt von Anastasios Sofronious’ Kostümen, | |
die Geschlechterkonventionen aufweicht: Die Ikarusse haben rote | |
Kittelkleid-Minis an, Team Dädalus ist in sexy beinfreie Bodys gekleidet, | |
die, zweifarbig, wie Rüstungen wirken. Eine dritte Gruppe – vielleicht die | |
Wolken, vielleicht die Wogen des Meeres – trägt Grau. | |
„Ikarus“ ist ein desillusioniertes Stück, das zugleich das Glück des | |
Träumens bewahrt: Gefangen in Technik, bedroht durch ihre Folgen – sowohl | |
der Minotaurus als auch das Labyrinth, in dem man Vater, Sohn und Monster | |
eingesperrt hat, sind Produkte von Dädalus’ Genie – gibt’s Rettung nur d… | |
Technik. Die [4][zum Absturz] führen wird. Wunderbar. | |
4 Apr 2025 | |
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[1] /Ballett-ueber-Oscar-Wilde/!5891297 | |
[2] https://www.rilke.de/gedichte/herbst.htm | |
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[4] /Hundekot-Attacke-am-Staatstheater-Hannover/!5912885 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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