| # taz.de -- Ausstellungen über dissidente DDR-Kunst: Die unerziehbaren Vögel | |
| > Vor vierzig Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Zwei | |
| > Berliner Ausstellungen erinnern an vergessene DDR-Künstlerdissidenten. | |
| Bild: Performance Via Lewandowsky. Berlin, 1989 | |
| Widerspruch zwecklos. So oder ähnlich lautet eine gängige Formel über die | |
| DDR. Hier hatte nur eine das Sagen – die Partei. Dass es aber, trotz aller | |
| Verdikte von dem – politisch wie ästhetisch – unentrinnbaren | |
| Totalitarismus, in dem „Unrechtsstaat“ Widerspruch gab, zeigen derzeit in | |
| Berlin zwei wunderbare Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau und im | |
| Künstlerhaus Bethanien. | |
| Wenn sie die Schau zur Kunst in der DDR von 1976 bis 1989 „Gegenstimmen“ | |
| nennen, meinen die Kuratoren Eugen Blume und Christoph Tannert nicht die | |
| gleichnamige Menschenrechts-Oppositionsgruppe, die linke Christen und | |
| oppositionelle Marxisten um das Jahr 1985 in Ostberlin gründeten – eher | |
| muss man darin die überfällige Widerrede zur skandalösen Ausstellung „60 | |
| Jahre – 60 Werke“ sehen: 2009 versuchte der Kunsthistoriker Siegfried Gohr, | |
| ehemals Chef des Kölner Museums Ludwig, mit einer aufreizenden Triumphschau | |
| der Westmoderne, ebenfalls im Martin-Gropius-Bau, den Nachweis zu führen, | |
| dass die Kunst in der DDR keine Kunst, sondern höchstens ein Fall für das | |
| Geschichtsmuseum sei. | |
| Blume und Tannert wollen nun nicht im Umkehrschluss die DDR zum | |
| Widerstandsparadies verklären oder noch einmal den Nachweis führen, dass | |
| die Kunst Ost der im Westen ästhetisch gleichwertig gewesen sei. Das wäre | |
| nach den großen Retrospektiven „Abschied vom Ikarus“ 2013 in Weimar oder | |
| der Retrospektive „Kunst in der DDR“ 2003 in der Berliner Nationalgalerie | |
| auch überflüssig. | |
| Gegen die berüchtigte Verdammung Georg Baselitz’, die Künstler in der DDR | |
| seien alle „Arschlöcher“, weil angepasst und machthörig gewesen, | |
| demonstrieren sie, dass die Künstler auch dann noch widersprachen, als es | |
| längst aussichtslos schien – nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf | |
| Biermann 1976 nämlich, vor vierzig Jahren. | |
| Das traumatische Ereignis markierte eine, wenn nicht die entscheidende | |
| Zäsur der DDR-Geschichte. Kein Wunder, dass der Berliner Maler Rainer Bonar | |
| diesen Wendepunkt schon ein Jahr später in das allegorisch zu lesenden | |
| Öl-Gemälde „Grablegung eines Soldaten“ fasste. Auf dem düsteren Bild sie… | |
| man den wie ein gefallener Revolutionsheld aufgebahrten Sänger mit | |
| Schnurrbart und geschlossenen Augen auf dem Totenbett. Mit ratloser Miene | |
| umringen ihn Stephan Hermlin, Stalin und Fidel Castro. | |
| ## „Die Reinigung von der Politik war die Lust“ | |
| Dass der „Urknall“ von 1976 aber „Nicht das Ende vom Lied“ war (so der | |
| Titel eines Bildes des Berliner Künstlers Thomas Kilpper, das Wolf | |
| Biermann bei einem fiktiven Konzert zeigt, das so gegensätzliche Gestalten | |
| wie Margot Honecker oder David Bowie anzieht), zeigt das faszinierende | |
| Universum des Widerspruchs in Gestalt von 160 Werken rund 80 | |
| nicht-staatstragender Künstler, das Blume und Tannert ausgebreitet haben. | |
| Die Liste dieser vergessenen Generation, zumeist in den 1950er und 60er | |
| Jahren geboren, reicht von den Dresdner Autoperforationsartisten Micha | |
| Brendel, Else Gabriel, Via Lewandowsky und Rainer Görß über den | |
| experimentellen Fotografen York der Knoefel bis zum Dadaisten Reinhard | |
| Zabka – eine überfällige Komplettierung unseres Bildes der Kunst in DDR. Es | |
| gab viel, viel mehr als nur Sitte oder Mattheuer. | |
| Die Idee von den „Gegenstimmen“ ist nicht im engeren politischen Sinne | |
| misszuverstehen. Zwar gab es einen Hans Ticha, dessen gemalte Piktogramme | |
| die offizielle Jubel-Ästhetik mit der plakativen Ironie eines Pop-Agitprop | |
| ad absurdum führten. Die Gegenstimmen artikulierten sich aber auch dadurch, | |
| dass sie das Politische bewusst verlernen wollten. „Die Reinigung von der | |
| Politik war die Lust“, erinnert sich die 1953 geborene Gabriele Stötzer. | |
| ## Illegales und Absurdes | |
| Die „Lippen“-Serie der Erfurterin von 1983 (Fotos, auf denen sie ihren Mund | |
| in verzerrten Posen zeigt oder mit Bindfäden verschnürt) drücken die Angst | |
| einer Künstlerin vor dem Stumm-Machen auf, die 1977, ein Jahr nach | |
| Biermann, wegen politischer Unbotmäßigkeit nach Hoheneck, den härtesten | |
| Frauenknast der DDR, gebracht wurde. | |
| Bewusst verzichten Blume und Tannert auf jede Chronologie und Didaktik. Sie | |
| wollten die großartigen Arbeiten nicht als Beweisstücke aus der | |
| „kulturhistorischen Asservatenkammer“ (Tannert) oder als Echo irgendeines | |
| West-Trends präsentieren, sondern als singuläre Kunst. Diese Rechnung geht | |
| auf. | |
| Aufregend machen diese Ausstellung weniger die immer wieder beeindruckenden | |
| „Gegenstimmen“ gegen den sozialistischen Realismus (wie die expressive | |
| Malerei eines Hanns Scheuerecker oder die Grenzgänger-Ästhetik A. R. | |
| Pencks) als vielmehr die flüchtigen, beiläufigen Versuche; die der | |
| Fotografin Ute Maler etwa, über Bilder ihrer Freunde „im Privaten das | |
| Echte“ zu finden, das die Ideologie nicht mehr bereithielt; die Dokus | |
| absurder Performances, Happenings und illegaler Konzerte, Trouvaillen wie | |
| die Konzeptzeichnungen Hans-Joachim Schulzes. | |
| Der Berliner hatte sein Kunststudium mit dem als „unbewertbar“ benoteten | |
| „Experiment“ eines bis zur Decke mit Blättern und Bildern seiner | |
| aktionistischen Kunst angefüllten Arbeitsraumes abgeschlossen. Das Mitglied | |
| der „Gruppe 37,2“ begleitete in DDR-Betrieben interaktive Trainings- und | |
| Gesprächseinheiten mit Zeichnungen, die an die Diagramme von Joseph Beuys | |
| erinnern. | |
| ## Erratischer Block aus längst vergessenen Wendezeiten | |
| Kurzum: „Die Umerziehung der Vögel“ gelang nicht. So hatte der Maler | |
| Hans-Hendrik Grimmling 1977 ein Triptychon betitelt, bei dem zwei nackte | |
| Männer bei dem Versuch abstürzen, einem Vogel das „richtige“ Fliegen | |
| gewaltsam beizubringen. Zwar stürzten (um in der Metapher zu bleiben) die | |
| Repressionsapparate der DDR nicht ab. Aber die unbotmäßigen Vögel in der | |
| DDR blieben auf herrliche, gleichwohl immer prekäre, riskante Weise | |
| unerziehbar. | |
| In der zeitgenössischen, von historischer Dokumentation, kritischem | |
| Urbanismus und politischer Intervention dominierten Kunstlandschaft stehen | |
| diese Arbeiten wie ein erratischer Block aus längst vergessenen | |
| Wendezeiten. Doch sie sind mehr als nur die späte Satisfaktion für ein viel | |
| zu lange unterschätztes Erbe, über das nach 1989 die Zeit hinwegging. Die | |
| Versuche, „eine andere Form von Widerstand“ (Bernd Schlothauer) zu finden, | |
| reichen nämlich über ihre Zeit hinaus. Wenn Joerg Waehner seine Stasiakte | |
| in eine comicartige Foto-Lovestory „Stempel und Kissen überführt, schließt | |
| sich der Kreis zu den aktuellen Debatten um Überwachung und Kontrolle. | |
| Und wenn Lydia Hamann und Kaj Osteroth in ihrer Serie „Admiring Gabriele | |
| Stötzer. Es wird sich das nicht ändern“ von 2016 die Arbeit der heute | |
| 63-jährigen DDR-Künstlerin aneignen und in einem Animationsfilm die Zeit | |
| ihrer Haft aufarbeiten, schlagen sie aus deren Œuvre die Funken einer | |
| zeitgenössischen feministischen Ästhetik. | |
| Der in Berlin präsentierte Fundus geballten, kreativen und subversiven | |
| Eigensinns ist also alles andere als totes historisches Material. Er | |
| präsentiert Strategien und role-models, die plötzlich attraktiv in einer | |
| Zeit wirken, die Gegenstimmen fast nicht mehr zu kennen scheint. | |
| 18 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
| ## TAGS | |
| DDR | |
| Kunst | |
| Dissidenten | |
| Wolf Biermann | |
| Martin-Gropius-Bau | |
| DDR | |
| Porträt | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| DDR | |
| Schwerpunkt taz Leipzig | |
| DDR | |
| DDR | |
| DDR | |
| DDR | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Doku über DDR-Künstlerinnen: Bleiben oder gehen? | |
| Freiräume in der DDR: Die Doku „Rebellinnen“ kreist um das Leben der | |
| Künstlerinnen Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer. | |
| Dokumentation „Im Stillen laut“: Prozession über die Wiese | |
| Der Dokumentarfilm „Im Stillen laut“ zeigt den Werdegang von Erika | |
| Stürmer-Alex als Künstlerin in der DDR. Dabei wird auch über Stasi-Akten | |
| gelacht. | |
| Künstler und DDR-Dissident im Portrait: Ein Mann wie ein U-Boot | |
| Stephan Krawczyk ist Liedermacher, Schriftsteller und saß in der DDR im | |
| Knast. Jetzt hat er eine neue CD mit Liedern aus 40 Jahren veröffentlicht. | |
| DDR-Subkultur in Cottbus: Die Sehnsucht nach Öffnung | |
| Mit den Künstlerbüchern von Gabriele Stötzer erinnert das Museum im | |
| Dieselkraftwerk Cottbus an ein Kapitel der DDR-Subkultur. | |
| Nächtlicher Museumsbesuch: Gucken und Gedenken | |
| Die Zentrale Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig kann nur zweimal im Jahr | |
| besichtigt werden. Nächste Gelegenheit: die Museumsnacht. | |
| Wolf Biermann zum 80. Geburtstag: Die Weltgeschichte im Blick | |
| Er war wunderbar. Bis er sich an sich selbst berauschte. Drei Würdigungen | |
| zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann. | |
| Trubel um Buch zur DDR-Geschichte: Das verflixte Jahr | |
| Der Versuch von Karsten Krampitz, die DDR-Geschichte auf eine neue Art zu | |
| schreiben, provoziert Reaktionen aus dem alten Apparat. | |
| Jugendtanzmusik in der DDR: Uuuuuuh! | |
| Die Caufner-Schwestern schrieben in den späten Siebzigern ein kleines, | |
| glitzerndes Kapitel Popgeschichte: Disco auf Deutsch – in der DDR. | |
| Interview mit DDR-Bürgerrechtlerin Klier: „Auch der DDR-Alltag war furchtbar… | |
| Der DDR war Freya Klier zu unbequem. 1988 wurde sie ausgebürgert. Ein | |
| Gespräch über das Leben in Ost und West und die Qualitäten von Angela | |
| Merkel. |