# taz.de -- Dokumentation „Im Stillen laut“: Prozession über die Wiese | |
> Der Dokumentarfilm „Im Stillen laut“ zeigt den Werdegang von Erika | |
> Stürmer-Alex als Künstlerin in der DDR. Dabei wird auch über Stasi-Akten | |
> gelacht. | |
Bild: Christine Müller-Stosch (li) und Erika Stürmer-Alex bei einer Diskussio… | |
Katzen. Sie sitzen am Badezimmerfenster neben der Dusche, wenn Erika sich | |
abtrocknet, sie laufen über den Küchentresen, wo sie Tee aufgießt, sie | |
liegen auf ihrem Bauch, wenn sie auf der Liege ein Schläfchen in der | |
Nachmittagssonne hält. Manchmal sieht man auch nur den Schwanz einer Katze | |
vor dem Objektiv der Kamera von Annegret Sachse. Das kleine Filmteam | |
scheint sie nicht in ihrer Gemütlichkeit und auf ihren Wegen zu stören. | |
Vertrautheit, das ist es, was den Film „Im Stillen laut“ von der | |
Regisseurin Therese Koppe auszeichnet. Zusammen mit ihrer Kamerafrau und | |
der Tonfrau Billie Jagodszinska lebte sie über längere Zeit bei Erika | |
Stürmer-Alex und Christine Müller-Stosch auf einem alten Hof im Oderbruch. | |
Die Frauen, beide 81, leben dort seit über vierzig Jahren zusammen. Das | |
Haus ist gelb gestrichen, Tür- und Fensterrahmen blau. Im Garten stehen | |
Skulpturen, an den Wänden hängen bunte Kelims. Der Wind rauscht in den | |
Bäumen, Zugvögel schreien und sammeln sich. | |
[1][Erika Stürmer-Alex, geboren im Februar 1938, und ihr Kunsthof in | |
Lietzen] sind bekannt unter Künstlerinnen und Kunstinteressierten aus | |
Berlin und Brandenburg. Eine berühmte Künstlerin ist sie nicht, aber genau | |
deswegen hat Theresa Koppe, die „Im Stillen laut“ als ihren Abschlussfilm | |
an der Filmhochschule Babelsberg gemacht hat, sich für ihre Geschichte | |
interessiert. Wie lebte eine Künstlerin in der DDR, die im Vergleich mit | |
den männlichen Kollegen nur wenig Aufmerksamkeit bekam? | |
## Sie lachen gern. Auch über Stasiakten | |
Andererseits ist der Kunsthof in Lietzen unter den an der Geschichte der | |
Kunst der DDR Interessierten auch eine Legende, ein Teil der Boheme und | |
Subkultur auf dem Land. Ein Freiraum, den sich zwei Frauen zusammen | |
geschaffen haben. Erikas Freundin und Partnerin Christine Müller Stosch, | |
Lektorin, ist die zweite Protagonistin des Films, später kommt noch die | |
Freundin Heike Mildner hinzu. | |
Sie lachen gern. Besonders Christine, als Erika ihr aus den | |
Beobachterberichten aus einer Stasi-Akte vorliest. Nackt und mit Schleifen | |
am Körper seien zehn Männer und Frauen draußen um eine Kaffeetafel | |
gesessen. Sie hätten so getan, als würden sie malen, sicher würde eine | |
Orgie vorbereitet. Was anderes habe sich der für die Stasi berichtende Mann | |
mit seiner beschränkten Fantasie wohl nicht vorstellen können, vermutet | |
Christine. Erst finden sie es lustig, dann entdecken sie das Perfide an den | |
Beobachtungen. | |
Der Film hat nur wenige Kommentare aus dem Off. Zu einer Fotografie von | |
sich als junge Frau erzählt Christine Müller-Stosch, wie ihr als | |
Pastorentochter ein Studium lange verweigert wurde. Zu Fotos aus Paris 1978 | |
hört man Ausschnitte aus Briefen, die Erika Stürmer-Alex damals von dieser | |
lang ersehnten Studienreise schrieb. Vor den Kunstwerken im Centre Pompidou | |
fühlt sie sich auf ihrem eigenen Weg bestätigt; stellt aber auch fest, dass | |
sie mit ihrer Kunst- und Lebensauffassung in der DDR mehr gebraucht wurde. | |
## Mit dem Leben verwoben | |
Es ist ungewöhnlich, dass bei einem Film über eine Künstlerin keine | |
Expertin bemüht wird, die ihr Werk einordnet. Stattdessen bleibt der Film | |
nahe am Alltag der beiden Frauen, schaut diesem alten Liebespaar liebevoll | |
zu, wie sie ein Feuer im Hof machen. Erika sieht man auch mit ihrer Kunst, | |
aber eher beiläufig, wie sie ein Bild, um ein Vielfaches größer als sie | |
selbst, verpackt. Ein wenig mehr hätte man von ihr als Malerin, | |
Bildhauerin, Performerin schon gern erfahren. Andererseits bleibt so, was | |
man sieht, immer dicht mit dem Leben verwoben. | |
Was die Bedeutung des Kunsthofs in der DDR ausmachte, welchen | |
Experimentalraum er bot, erschließt sich aus Archivmaterial, Fotografien | |
des Hofs als Treffpunkt der Kunstszene, Filmen von Performances zwischen | |
den Mauern von Ruinen auf dem Hof, eine Prozession über eine Wiese, mit | |
Kartons auf dem Kopf. In dem nicht Einzuschätzenden, von dem, was die | |
KünstlerInnen da trieben, lag ein Potenzial des Deutbaren. | |
Das ging auch nach der Wende weiter. Ein Foto in einem Katalog zu dem | |
[2][1991 von Künstlerinnen aus Ost und West gegründeten Projekt | |
„Endmoräne“] zeigt die erste Gruppe der Beteiligten auf der Treppe vor | |
Erika Stürmer-Alex’ Haus sitzend. Seitdem haben die Künstlerinnen einmal im | |
Jahr alte, leer stehende Gebäude wie Gutshöfe, Schlösser, Fabriken und | |
Kasernen im Brandenburgischen bespielt und dafür vorher zwei Wochen | |
zusammengelebt und -gearbeitet. | |
Seit zehn Jahren ungefähr verfolge ich das Projekt, immer wieder erstaunt, | |
woher die inzwischen auch älter gewordenen Künstlerinnen die Energie | |
nehmen, oft im Schutt an diesen unwirtlichen Orten anzufangen. Der Film | |
gibt gewissermaßen eine Antwort mit der Geschichte von Erika Stürmer-Alex: | |
weil sie eben gelernt haben, dass es Freiräume nur gibt, wenn frau selbst | |
sie sich aufbaut. | |
23 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5227490&s=Erika+St%C3%BCrmer+Alex&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Archiv-Suche/!5603647&s=Endmor%C3%A4ne&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Porträt | |
Kunst | |
DDR | |
Brandenburg | |
Wiedervereinigung | |
Andreas Dresen | |
DDR | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erinnnerung der Ostkultur: Ganz groß in Japan | |
Marko Martin legt mit „Die verdrängte Zeit“ ein überaus kenntnisreiches u… | |
unterhaltsames Buch über die Kultur der DDR vor. Ohne Nostalgie und Frust. | |
Film über Liedermacher Gundermann: Die können lügen, aber leben nie | |
Kann man verzeihen? Andreas Dresen hat einen Film über den DDR-Liedermacher | |
Gerhard Gundermann gedreht. Eine filmische Heldenreise. | |
Ausstellungen über dissidente DDR-Kunst: Die unerziehbaren Vögel | |
Vor vierzig Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Zwei | |
Berliner Ausstellungen erinnern an vergessene DDR-Künstlerdissidenten. |