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# taz.de -- Film über Liedermacher Gundermann: Die können lügen, aber leben …
> Kann man verzeihen? Andreas Dresen hat einen Film über den
> DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann gedreht. Eine filmische Heldenreise.
Bild: Alexander Scheer als Gundermann der Baggerfahrer
Oben, im Führerhäuschen des mächtigen Baggers, dessen Schaufelräder durch
die Lausitzer Kohle malmen, hockt ein Poet. Ein Liedermacher mit
Kassenbrille, Zopf und Zähnen, ein DDR-Bürger, Baggerfahrer, Aktivist,
Geliebter. Er schreibt Texte wie „Und musst du weinen / dann liebe einen
Mann / doch liebe keinen von der Eisenbahn / Die haben harte Hände und ein
hartes Herz / die streiten ohne Ende und die sterben früh / die suchen ein
Vergnügen und finden nur den Schmerz / die können lügen, aber leben können
die nie“.
In Gerhard Gundermanns Songtext zu „Und musst du weinen“ steckt fast schon
alles drin, was Andreas Dresen in sein Biopic über den singenden
Baggerfahrer aus Hoyerswerda hineingeflochten hat: Heimat, Maloche, Gefühl,
Lüge. Das Leben von Gerhard Gundermann, der 1998 mit 43 Jahren an einem
Schlaganfall starb, trägt die Zutaten für eine filmische Heldenreise
huckepack, inklusive Liebesgeschichte, Filmmusik und einem, nun ja,
Signature-Look.
Dresen erzählt in „Gundermann“ (mit Zahnprothese, Pferdeschwanz und
Lausitzdialekt leidenschaftlich gespielt von Alexamder Scheer) auf zwei
Zeitebenen, springt zwischen den Geschichten hin und her: Die eine ist die
eines jungen Mannes, der 1975 im Tagebau anfängt, nebenbei mit einer Band
Songs über „Hoywoy“ singt, zusammen mit Conny (Anna Unterberger), deren
Herz er vorsichtig erobert. Er ist Sozialist. „Wenn es die
Gesellschaftsordnung nicht schon gäbe, hätte ich sie erfunden“, ruft er,
als es um die Parteimitgliedschaft geht. Seine Songs begleitet er mit
Gitarre, fährt von der Grube zum Gig und zurück, ohne Schlaf, ohne
Drogenhilfe, ohne Allüren. Das, und die inbrünstigen und melancholischen
Texte ließen eine bis heute begeisterte Fangemeinde entstehen. Die
rhythmisch im Film verteilten Songpassagen in detailgetreuer Kulisse und
Kostüm wirken fast wie anachronistische Videoclips eines DDR-MTVs.
Die andere Geschichte spielt 1992. In ihr gesteht der Musiker, der vor
allem anderen für Authentizität steht und bei dem es gerade „im Westen“
losgehen soll, ein Stasispitzel gewesen zu sein. Zuerst seinem Kollegen
Volker (Milan Peschel), der dem Abstinenzler Gundermann nach einer
Schrecksekunde einen Schnaps hinstellt und bekennt: „Ich hab dich auch
bespitzelt!“ Dann gegenüber anderen, der Band, dem Publikum.
## Täterakte aus der Gauck-Behörde
Die Journalistin Irene (Kathrin Angerer), die Gundermanns Täterakte aus der
Gauck-Behörde holt, will wissen, wieso er das gemacht hat. Ob ihm nicht
klar sei, dass aufgrund seiner Informationen Fluchtpläne aufflogen,
Vertrauen zerriss, Leben zerbrach? Weiß er, welche Konsequenzen der Verrat
hatte? Glaubte er, die Situation für die Kumpel zu verbessern, indem er
sich von der Stasi anwerben lässt? Reicht als Begründung für den Verrat die
Liebe zum Land?
Gundermann kann (oder will) sich erst nicht erinnern, dann kann (oder will)
er sich nicht entschuldigen, nicht erklären. Und Dresen lässt ihn.
Vor vier Jahren ging die Regisseurin Annekatrin Hendel die Frage nach dem
Verzeihen anders an. In ihrem Dokumentarfilm „Anderson“ über den Lyriker
und Literaturpopstar Sascha Anderson, dessen Stasimitgliedschaft 1991
enttarnt wurde, kommen Menschen zu Wort, die ihm nie vergeben haben. Der
Schriftsteller selbst bittet nicht um Entschuldigung, weil, wie er sagt,
man sich eh nicht „ent-schuldigen“ könne – eine Formulierung, die in
Dresens, von seiner langjährigen Drehbuchautorin Laila Stieler
geschriebenem Film ebenfalls vorkommt: Er könne sich nicht
„ent-schuldigen“, rechtfertigt sich Gundermann gegenüber Irene. Später sa…
er, dass er sich sein Verhalten selbst nicht verzeihen könne. Doch eng um
Gundermann herum knüpft der Regisseur ein Netz des Verzeihens: Frau, Fans,
Freunde, Bandkollegen – alle stehen zu ihm. Niemand scheint nachhaltig
verletzt zu sein, Gundermann hadert fast als Einziger.
So wälzt Dresens Film neben der Biografie eines ungewöhnlichen Künstlers
und dem Porträt eines vergangenen Landes vor allem eine komplexe Frage, die
sich vielleicht nur subjektiv beantworten lässt: Kann man überhaupt
verzeihen?
## Muss man Mensch und Werk trennen
Die Ambivalenz dieses Themas wirkt sich bis heute bis in die Rezeption
jeder Kunst aus: Darf man jemanden feiern, der etwas falsch gemacht hat?
Soll man sie oder ihn als Künstlerin oder Künstler für immer ablehnen? Oder
muss man Mensch und Werk trennen (bei einem Liedermacher wie Gundermann
undenkbar)? Dresen gibt keine direkte Antwort, aber sein Film öffnet dem
Protagonisten die Arme. Und Tournee und Soundtrackplatte mit
Gundermann-Songs, gesungen von Alexander Scheer, eingespielt von Gisbert zu
Knyphausens Live-Band, laufen.
[1][Dresen ist Experte für Emotionalität – seiner Figuren wie seines
Publikums]. So muss er die Debatte annehmen: Der Film konzentriere sich zu
sehr auf die Stasi, werden die einen sagen; er sei zu ostalgisch,
versöhnlich, die anderen. Wer den Staat und seine Repressalien nicht erlebt
hat, könne die Situation nicht begreifen, werden einige finden; während
andere überzeugt sein werden, die DDR durch ihn verstehen zu können. Die
einen werden glauben, dass nur FilmemacherInnen aus der DDR sie beschreiben
dürfen, und Dresen das zugutehalten; die anderen den sachlichen Abstand
vermissen.
Vielleicht ist „Gundermann“ von jedem etwas. Auf jeden Fall ist er ein
Konversationsstarter. Und zwar einer mit Kassengestell.
23 Aug 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Andreas Dresen
Stasi
Liedermacher
Schwerpunkt Stadtland
Porträt
Marianne Birthler
Hoyerswerda
Sachsen
Andreas Dresen
Clemens Meyer
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