# taz.de -- Veranstalter über Liedermacher Gundermann: „Hier war Provinz, hi… | |
> Hoyerswerda war die Heimat von Gerhard Gundermann. Uwe Proksch von der | |
> Kulturfabrik hält die Erinnerung an den vor 25 Jahren verstorbenen | |
> Liedermacher wach. | |
Bild: Erinnerungsort: Uwe Proksch an der Gundermann-Schaltzentrale in der Kultu… | |
wochentaz: Herr Proksch, wenn man auf die [1][Internetseite der Stadt | |
Hoyerswerda] geht, wird prominent der Computerpionier Konrad Zuse als | |
früherer Einwohner präsentiert. Ist man auf den Berliner, der nur wenige | |
Jugendjahre hier verbrachte, stolzer als auf Gerhard Gundermann, der bis zu | |
seinem Tod vor 25 Jahren hier wirkte? | |
Uwe Proksch: Wahrscheinlich, Zuse hat sogar ein eigenes Museum. Hoyerswerda | |
nennt sich auch Zuse-Stadt. Brigitte Reimann hat [2][eine Bibliothek], der | |
Bildhauer Jürgen von Woyski eine Stiftung, nur Gundermann fand in der | |
öffentlichen Würdigung nicht statt. | |
Dabei hatte es Gundermann als „singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ | |
durchaus zu überregionaler Berühmtheit gebracht. | |
Der Gundermann wird von den Stadtvätern und -müttern immer ein bisschen | |
vergessen. Das Etikett „Singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ mochte er | |
übrigens nicht so. Aber richtig, er war schon weit über Hoyerswerda hinaus | |
sehr bekannt, was vielen Leuten hier bis heute gar nicht so klar ist. Muss | |
es ja auch nicht. Es gibt so viel Musik auf der Welt, für die man sich | |
interessieren kann. Da hat jeder seinen eigenen Geschmack. Gundi war auf | |
jeden Fall ein sehr außergewöhnlicher Typ. | |
Sie haben hier vor fünf Jahren, zu seinem 20. Todestag, [3][einen kleinen | |
Erinnerungsort in der Kulturfabrik] eingerichtet. Es ist eine alte | |
Schaltzentrale eines Maschinenraums, an der man sich durch sein Leben und | |
Werk klicken kann. Ist die Schaltzentrale eine Referenz an Gundermann, den | |
Arbeiter im Braunkohlerevier? | |
Auf jeden Fall, ein Gedenk- und Informationsort. Er hat seinen Job als | |
Arbeiter ja nie aufgegeben, selbst als er als Musiker und Texter durchaus | |
erfolgreich war. | |
Wie gut kannten Sie ihn persönlich? | |
Ich habe Maschinist gelernt und drei Jahre im Tagebau gearbeitet, wie | |
Gundermann auch. Weil ich lieber Kulturarbeit machen wollte, bin ich in | |
Hoyerswerda Jugendklubleiter geworden. In unserem Klub „Der Laden“ ist auch | |
Gundermann oft aufgetreten. Als Liedermacher, aber auch in der | |
Gesprächsreihe „Café D“, was für Donnerstag stand, aber die Funktionäre | |
vermuteten, das stünde für Deutschland, weshalb es da schon mal Ärger gab. | |
Es war eine spannende, lebendige Zeit in den Achtzigern in Hoyerswerda. | |
Gundermann war damals auch Mitglied bei Brigade Feuerstein, einem | |
Liedertheater, das aus einem [4][FDJ-Singeklub hervorgegangen war]. | |
Ja, die haben moderne Geschichten mit spannenden Themen auf die Bühne | |
gebracht. Die Texte stammten meist von Gundermann. Sie gefielen den | |
Kulturfunktionären nicht immer, in der Bezirksstadt Cottbus hatte die | |
Brigade Feuerstein deshalb teilweise Auftrittsverbot. Aber hier war | |
Provinz, hier ging mehr. Fast alle, die in Hoyerswerda vor und ein paar | |
Jahre nach der Wende in der Kultur tätig waren, sind eigentlich geprägt von | |
den Feuersteinen. | |
Wie hatte sich denn die Kulturszene nach 1989 in Hoyerswerda entwickelt, | |
gab es keinen Wendeeinbruch? | |
Natürlich wurde es mit der Wende sehr schwierig, weil die Klubs zuvor | |
staatlich finanziert wurden. Und dann brach ja noch die Wirtschaft ein. | |
Tausende Einwohner von Hoyerswerda arbeiteten im Braunkohlebergbau oder im | |
Kombinat Schwarze Pumpe hier nebenan. Als das dichtgemacht wurde, herrschte | |
von einem Tag auf den anderen Massenarbeitslosigkeit, die Leute erlebten | |
einen völlig freien Fall, Kapitalismus pur. Es gab keine Zukunft hier. Aus | |
Bayern kamen Busse, die die Leute zur Arbeit abholten, nicht als Pendler, | |
sondern für immer. In dieser Situation passierten ja auch die rassistischen | |
Übergriffe auf Vertragsarbeiter- und Flüchtlingsheime 1991. Damals hatte | |
der Staat völlig versagt, um die Flüchtlinge zu schützen, was die rechte | |
Szene natürlich ermutigte, hier Flagge zu zeigen. Die Rechten dominierten | |
die Stadt und für uns stellte sich die Frage: Wer ist als Nächster dran? Es | |
gab mehrere Überfälle, die Leute hatten Angst herzukommen, der „Laden“ | |
stand fast vorm Aus. Gundermann hielt uns damals die Treue. Eine der ersten | |
Veranstaltungen nach den Ausschreitungen war ein Konzert von ihm. 1994 ist | |
aus dem „Laden“ dann der Kufa e. V. hervorgegangen, in dem Gundermann auch | |
Vereinsmitglied wurde. 1997 hat er das Liederfestival mit ins Leben | |
gerufen. Und als er bald darauf starb, fand hier die Trauerfeier statt. | |
Welche Bedeutung hat Gundermann für die Stadt 25 Jahre nach seinem Tod? | |
Offenbar nicht so eine große wie für viele Menschen außerhalb. Hoyerswerda | |
hat wie gesagt ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihm. Man könnte es | |
vergleichen mit dem Propheten, der im eigenen Lande wenig gilt. Wenn wir | |
als Verein sein Schaffen gewürdigt haben, bekamen wir leider schon mal | |
negatives Feedback. Das hat auch mit der Parteienlandschaft zu tun. | |
Insbesondere die AfD, aber manchmal auch die CDU-Vertreter in der | |
Stadtversammlung haben Gundermann vor allem auf seine frühe Zeit als | |
Stasispitzel reduziert. Das ging so weit, dass es vor paar Jahren hieß, man | |
sollte dem Kufa e. V. die Fördermittel streichen. Diese geringe Würdigung | |
von Gundermann können Besucher von außerhalb oft nicht nachvollziehen. | |
Woran merken Sie das? | |
In Nordheim, auf der Westseite des Harzes, gab es 2022 ein Gundermann-Jahr | |
mit 30 Veranstaltungen: Filme, Lesungen, Konzerte. Es war ein | |
hervorragender west-ostdeutscher Kulturaustausch. Als uns einige Nordheimer | |
besucht haben, gab es auch eine Gesprächsrunde mit dem Stadtrat und dem | |
Bürgermeister. Dabei ging es auch um die Bestrebungen einer hiesigen | |
Oberschule, sich den Namen Gundermann zu geben. Dahinter stand die Idee, | |
dass sich über seine Person viel vermitteln lässt über die DDR, über | |
Wendeerfahrungen und das Festhalten an einer individuellen Haltung, was bei | |
Gundermann extrem ausgeprägt war. Der Direktorin der Schule schwebte eine | |
echte Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Person Gundermann vor, mit | |
sehr durchdachten Projekten. Als ein Stadtrat von der CDU in der Runde mit | |
den Gästen vehement verkündete, so einen Schulnamen auf jeden Fall zu | |
verhindern, sind die Nordheimer regelrecht in Rage geraten. Das war eine | |
unglaublich spannende Diskussion. | |
Gundermann war als überzeugter Kommunist ein paar Jahre Stasi-IM, schied | |
dann freiwillig aus und geriet selbst in den Fokus des Ministeriums für | |
Staatssicherheit wegen seiner kompromisslosen Meinung über die | |
Fehlentwicklung des DDR-Sozialismus. Diese Ambivalenz von Gundermann spielt | |
keine Rolle in der Bewertung seiner Person? | |
Es geht oft nur um den IM, selten um den kompromisslosen Künstler. Mit dem | |
Künstler müsste man sich ja beschäftigen, mit seinen Liedern und | |
Theaterstücken, in denen sich eine tiefe Menschlichkeit und | |
Heimatverbundenheit ausdrückt. Es gibt wie so oft eine Schwarz-Weiß-Malerei | |
ohne Graustufen. Das kennen wir ja auch von früher aus der Diskussion um | |
Christa Wolf. Inzwischen hat sich das aber etwas geändert. | |
Wodurch? | |
Das hat mit dem Film [5][„Gundermann“] von Andreas Dresen zu tun und auch | |
mit der neu besetzten Stadtverwaltung unter dem SPD-Oberbürgermeister. Es | |
existiert eine größere Offenheit und Aufgeschlossenheit. Es wird stärker | |
erkannt, dass man das Thema Gundermann nicht unter den Tisch fallen lassen | |
kann, ja, dass er sogar ein Aushängeschild ist. Welche Stadt hat schon | |
einen Musiker, der ihr drei Hymnen geschrieben hat!? Es kommen Touristen | |
extra wegen ihm hierher und es gibt Anfragen von außerhalb an die | |
Stadtverwaltung: Warum habt ihr denn hier keine Gundermann-Straße? | |
Die gibt es nicht, aber eine Gundermann-Plaza, direkt vor der Kulturfabrik! | |
Das Schild habe ich eigenmächtig aufgestellt. Es gibt ansonsten keinen | |
Platz und keine Straße, die an ihn erinnert. Vor fünf Jahren habe ich bei | |
der Stadt einen Antrag gestellt, dass im Stadtraum Schilder auf die | |
Gundermann-Schaltzentrale in unserem Haus hinweisen, das wird jetzt | |
immerhin umgesetzt. | |
Das ist der Touchscreen im Stile einer Maschinenleitzentrale, auf dem man | |
sich durch das Leben und Werk Gundermanns klicken kann. | |
Ja, Vorbild war ein Schaltpult in der Energiefabrik Knappenrode, welches | |
wir nachgebaut haben. Wenn Besucher davor stehen, frage ich die oft, woher | |
sie kommen. Es sind Leute aus dem ganzen Land, viele ehemalige DDRler, aber | |
auch viele aus dem Westen, die vom Dresen-Film angeregt wurden und auch | |
durch das Buch „[6][Kinder von Hoy]“ von Grit Lemke. Die einen interessiert | |
Gundermann aufgrund ihrer eigenen DDR-Vergangenheit, die Westler sind durch | |
ihn neugierig auf den Osten geworden und sagen, sie würden den jetzt besser | |
verstehen. | |
Gundermann trägt quasi posthum zur Ost-West-Verständigung bei und zur | |
Reflektion der Ostler, einschließlich der Hoyerswerdaer, auf ihre eigene | |
Vergangenheit? | |
Könnte man so sagen. Zu seinem 25. Todestag ist die Stadtverwaltung | |
erstmals auf mich zugekommen und hat gefragt, was können wir machen. Jetzt | |
gibt es eine Ausstellung in der Bibliothek und es wird eine | |
Diskussionsrunde über Gundermann in der Volkshochschule geben. Beim | |
Stadtfest wird Gundermanns Seilschaft spielen und in unserer Stadthalle | |
wird das Staatsschauspiel Dresden mit der Gundermann-Revue „Alle oder | |
keiner“ gastieren. Die Stadt unterstützt das finanziell. Es tut sich was. | |
Wächst langsam gar so was wie Stolz auf die umstrittene Persönlichkeit der | |
Stadt? | |
Stolz, weiß ich nicht. Es ist eventuell doch eher der Druck von außen, der | |
zum Umdenken führt. Man muss auch was machen, wenn alle auf ihn gucken. | |
Aber gut, in meinem persönlichen Umfeld sind tatsächlich alle stolz auf | |
Gundi, der ja auch Kufa-Vereinsmitglied war. Gundermann war zwar ein | |
komplizierter Charakter, aber von seinen Grundgedanken her extrem nach vorn | |
gerichtet. Er hatte Visionen und vertrat immer eine klare Haltung, egal wie | |
viele Probleme sie ihm – und manchmal auch anderen – brachte. | |
Er hielt vor der Wende nichts vom Kapitalismus und danach genauso wenig, | |
oder? | |
Er war ein radikaler Kapitalismuskritiker, nicht zuletzt in der | |
ökologischen Frage, obwohl er selbst im Braunkohletagebau arbeitete. Man | |
könnte ihn sogar als Vorreiter für Fridays for Future sehen. Er litt ja | |
selbst darunter, dass die sorbischen Dörfer weggebaggert wurden. Gerade | |
deshalb waren seine Songs sehr poetische Heimatlieder, die bis heute | |
gleichermaßen in Ost und West funktionieren. Inzwischen legendär ist ja die | |
Fanszene in Tübingen, seit Heiner Kondschak, damals künstlerischer Leiter | |
des Kinder- und Jugendtheaters des Landestheaters Tübingen, vor über zwei | |
Jahrzehnten zufällig Gundermann für sich entdeckt hatte. Mit Schauspielern, | |
Technikern und anderen Theaterleuten stellte er die Randgruppencombo | |
zusammen, die regelmäßig im Tübinger Landestheater auftrat und auch im | |
Berliner Postbahnhof. Das war schon irre, wenn dort 3.000 Berliner | |
mitsangen „Hoywoy, wir sind dir treu“. Ein unglaubliches Erlebnis. Heute | |
werden überall seine Lieder gespielt. | |
Ein Dresdner Musiker sieht auch so starke Parallelen zwischen den Liedern | |
von Gundermann und Rio Reiser, dass er sie zu einem Programm verband. Die | |
Idee war ihm an der Schaltzentrale gekommen. | |
Das ist doch toll. Ich fühle mich nicht zuständig, seinen Geist | |
weiterzugeben, wir pflegen einfach nur sein Erbe, aber ich freue mich | |
natürlich, wenn sich Künstler inspiriert fühlen. Jeder, der sich für | |
Gundermann interessiert, ist bei uns willkommen. | |
Eine wirklich sehr charmante Idee finde ich, dass seine Lieder auch von | |
einem Bürgerchor Hoyerswerda gesungen werden. Wer kam denn auf diesen | |
Einfall? | |
Die Idee hatte ich, als wir 2015 Gundermanns 60. Geburtstag begingen. Ich | |
fand, dass es doch mal toll wäre, seine Lieder von einem Chor singen zu | |
lassen. Ob das überhaupt funktioniert. Mit André Bischof fand ich einen | |
Musiker, der bei einem Jubiläumsauftritt der Brigade Feuerstein hier in der | |
Kufa Keyboard spielte und der sofort bereit war, das auszuprobieren. Wir | |
haben dann einen Aufruf gestartet und mit vielleicht zehn Interessierten | |
gerechnet, aber dann kamen 60 Leute. Phänomenal. Es gibt eben so viele | |
Menschen, die zwar keine musikalischen Profis sind, seine Lieder jedoch wie | |
Volkslieder verinnerlicht haben. Es wurde ein wunderbarer Abend. Den Chor | |
gibt es immer noch, und er ist seitdem auch in anderen Städten der | |
Bundesrepublik aufgetreten. Leider ist die ganz junge Generation im Chor | |
nicht vertreten. Das spiegelt auch ein generelles Problem. Die jungen Leute | |
aus den drei Gymnasien von Hoyerswerda verlassen natürlich nach der Schule | |
die Stadt. | |
Fänden Sie es eigentlich erstrebenswert, wenn Gundermann – so wie Konrad | |
Zuse – zum Ehrenbürger der Stadt würde? | |
Ach, das ist mir ziemlich wurscht. Ich habe ihn einfach als Musiker und als | |
prägende Persönlichkeit in meinem Herzen. | |
Was ist Ihr Lieblingssong von Gundermann? | |
„[7][Ich mache meinen Frieden]“. | |
21 Jun 2023 | |
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