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# taz.de -- Sorben in Brandenburg: Queer, sexy, sorbisch
> Immer weniger Menschen sprechen Niedersorbisch in Brandenburg, schlägt
> eine Studie Alarm. Ist das wirklich so? Eine Erkundung in vermintem
> Gelände.
Bild: Tradition neu vermessen. Maya Schramm vom „Kolektiw Wakuum“
Grunow (Niederlausitz) taz | Einen Beitrag zum Thema sorbische Sprache und
Kultur in Brandenburg könnte man, gerade nach Ostern, mit traditionellem
Brauchtum beginnen. Zum Beispiel mit der besonderen Art, Ostereier zu
bemalen, oder dem Zampern, mit dem der Winter ausgetrieben wird. Und
natürlich mit der Vogelhochzeit, die schon im Januar gefeiert wird. Rabe
und Elster vermählen sich zum Dank dafür, dass sie über Winter gefüttert
wurden. Die Kinder in den sorbischen Dörfern verkleiden sich dann als Vögel
und tragen die traditionellen Hochzeitstrachten.
Aber auch das Brauchtum verändert sich und mit ihm die kulturelle Praxis.
So könnte man den Beitrag auch mit dem [1][„Kolektiw Wakuum“] beginnen. Die
Künstlerinnen und Kulturaktivisten aus Cottbus haben in diesem Jahr zum
ersten Mal eine [2][„queere Vogelhochzeit“] gefeiert. Auch ein bunter
Kakadu war dabei. „Uns war wichtig, diese heteronormative Geschichte der
Elster und des Raben nicht noch einmal so zu reproduzieren“, sagt Hella
Stoletzki, ein Mitglied des Kollektivs.
Offen sorbisch und queer wollen sie beim Kolektiw Wakuum sein können und
haben damit wohl, by the way, den Wortschatz der niedersorbischen Sprache
um das Regenbogenwort ergänzt. Ob sie damit das Niedersorbische auch als
Sprache retten können?
Wie bei so vielem ist es auch beim Niedersorbischen so, dass immer dann
über das Thema geredet wird, wenn es brenzlig wird. Für die bad news haben
am 5. März Till Vogt (sorbisch Till Wojto) und Sabine Asmus vom
[3][Institut für Sorabistik] an der Universität Leipzig gesorgt. [4][In
einer auf Niedersorbisch veröffentlichten Studie] haben sie behauptet, dass
nur noch 50 bis 100 kompetente niedersorbische Sprecherinnen und Sprecher
in der brandenburgischen Niederlausitz lebten.
Darüber hinaus würden nur 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die
alljährlich das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus abschließen,
ausreichend Sorbisch sprechen. Weil nur noch 15 Familien die Sprache an
ihre Nachkommen weitergeben, sei auch der intergenerationelle Spracherwerb
abgebrochen.
## Heftige Kritik an der Studie
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Sprachkompetenz am
Niveau C1 und C2 des europäischen Referenzrahmens zu messen, wie es Vogt
und Asmus gemacht haben, werde der Sprachwirklichkeit nicht gerecht, sagt
Mĕto Nowak vom [5][Sorbischen Institut in Cottbus]. Außerdem lägen der
Studie keine aktuellen empirischen Daten zugrunde.
Der beim Brandenburger Landtag angesiedelte „[6][Rat für Angelegenheiten
der Sorben/Wenden“] stellt klar: „Der Rat wird sich nicht an Spekulationen
zu Zahlen von Sprecherinnen, Sprechern, Familien, Sorbinnen/Wendinnen und
Sorben/Wenden beteiligen.“
In seiner Stellungnahme schreibt der Rat, dass davon auszugehen sei, „dass
ein großer Teil derjenigen, die Niedersorbisch/Wendisch aktiv verwenden,
nicht den in dem Text definierten Kompetenzstufen entspricht, weil etwa die
älteren Muttersprachlergenerationen nie die Möglichkeit hatten, die
Schriftsprache zu erwerben, und daher die Sprache vorwiegend mündlich
gebrauchen.“
Was ist da also los in der sorbischen Community? Wird sie nun bunt und
subkulturell und queer? Oder stirbt sie als Sprechergemeinschaft aus? Und
was steckt hinter dem auf offener Bühne ausgetragenen Streit? Soll in
Zukunft weniger in Brauchtumspflege als in den Spracherwerb investiert
werden?
Videocall mit den beiden Autoren der Studie: Sabine Asmus legt Wert auf
ihre Titel, einmal Professorin und dreimal Doktor, und sagt: „Die Kritik
ist irrational. Da geht es um Dinge wie: Ich möchte noch ganz viele Jobs
für meine Familie haben.“ Auch beklagt sie, dass es nun eine von der
Volkswagenstiftung finanzierte Professur für Sorabistik an der, wie sie
sagt, „elitären TU Dresden“ gebe. Deren Inhaber ist, das muss man wissen,
[7][Hauke Bartels], gleichzeitig Direktor des Sorbischen Instituts mit den
Standorten Cottbus und Bautzen.
Ganz offenbar spielt also Konkurrenz um die Ressourcen eine Rolle beim
Streit um den niedersorbischen Spracherwerb, der da entbrannt ist. Die
Sorabistik an der Uni Leipzig sorgt sich nicht nur, dass es zu wenige
Sprecherinnen und Sprecher gibt. Sie hat auch zu wenige Studierende für das
Lehramt Niedersorbisch. Aus Brandenburg gab es in den vergangenen zwei
Jahren keinen einzigen Bewerber. Aus Sachsen, für das das Fach Obersorbisch
unterrichtet wird, sind es jährlich zwei bis vier.
Das ist tatsächlich dramatisch. Ohne Studierende keine Lehrerinnen, ohne
Lehrer kein Sprachunterricht. Etwa 70 bis 80 Lehrerinnen und Lehrer für
Niedersorbisch gibt es derzeit in Brandenburg, 50 von ihnen gehen in den
nächsten Jahren in den Ruhestand. Der größte Teil des Unterrichts ist
Sorbisch als Fremdsprache, zwei Stunden die Woche, da kommt natürlich
keiner auf C1 und C2. Am [8][Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus] gehen
jährlich 30 Schülerinnen und Schüler mit Sorbisch bis zum Abitur ab. Dieser
Anteil müsse steigen, um mehr junge Leute für das Lehramtsstudium zu
begeistern, fordern Vogt und Asmus. Auch müsse das Sprachniveau der
Lehrerinnen und Lehrer besser werden.
All dem würde Mĕto Nowak vom Sorbischen Institut nicht widersprechen.
Dennoch, sagt er, komme die Studie zu einer Zeit, in der viele
Anstrengungen unternommen werden. „Mit den Strukturfördermitteln der
Lausitz können wir für die Dauer von zehn Jahren eine umfassende
Sprachplanung vorantreiben“, sagt Nowak der taz. Er verweist zudem auf das
[9][Projekt „Zorja“] (Morgenröte). Dort lernen Erwachsene ein Jahr lang als
Stipendiaten Niedersorbisch und können sich dann zu Lehrkräften an
Grundschulen weiterbilden. „Sorbisch wird gerade wieder attraktiv“, sagt
Nowak und verweist auf die subkulturelle Szene in Cottbus, auf die queere
Vogelhochzeit oder auf die Filmemacherin Grit Lemke, deren Dokumentarfilm
[10][„Bei uns heißt sie Hanka“] einen wichtigen Beitrag zur Debatte um
sorbische Identität leistet.
Wird sorbisch also sexy – und nur die Sorabisten in Leipzig haben es nicht
mitbekommen?
## Nachfrage doppelt so hoch
Anruf bei Grit Lemke: Selbst hat die in Spremberg geborene und in
Hoyerswerda lebende Filmemacherin und Autorin (Kinder von Hoy) 2017
angefangen, Niedersorbisch zu lernen – in der Cottbuser [11][Schule für
Niedersorbische Sprache und Kultu][12][r]. „Damals waren es keine 50 Leute,
heute sind es mehr als doppelt so viele“, freut sie sich.
Auch Projekte wie [13][das bereits 1998 gestartete Projekt „Witaj“] mit
spielerischem Unterricht in Kitas und Schulen seien wichtig. „Oft sind es
die Eltern von Witaj-Kindern, die jetzt bei Zorja richtig Niedersorbisch
lernen“, sagt Lemke. Das Interesse sei inzwischen riesig. „Wenn ich mit
meinem Film unterwegs bin, ist es immer voll.“
Genauso wichtig wie die Sprache ist Lemke die Identität. „Bislang ist immer
nur von der sorbischen Minderheit die Rede“, kritisiert sie. „Warum reden
wir nicht von einer sorbischen Region? Warum lernen nicht alle, die in der
Lausitz leben wollen, Sorbisch?“ Sorbisch müsse etwas Selbstverständliches
werden. „Nicht nur einmal im Jahr die Tracht anziehen und zampern gehen
oder Ostereier bemalen. Das ist für die Jungen nicht attraktiv.“
Ein Beispiel dafür, wie sich das Sorbische nicht nur sprachlich, sondern
auch kulturell entwickelt, ist für Lemke das Kolektiw Wakuum. „Da ist viel
Bewegung drin. Das ist in erster Linie aber nicht von den sorbischen
Institutionen ausgegangen.“
Einen Paradigmenwechsel fordert Lemke. Zumindest da ist sich die Aktivistin
mit dem universitären Spracherwerb einig. Auch Sabine Asmus ist es wichtig,
dass Sorbisch attraktiver wird. „Gerade in Cottbus muss das über die
zweisprachigen Straßenschilder hinaus sichtbar werden. Das kann die
Neugierde erhöhen.“
21 Apr 2025
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/kolektiw.wakuum/?locale=de_DE
[2] https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2025/01/kollektiv-wakuum-queere-vogelho…
[3] https://www.philol.uni-leipzig.de/sorabistik
[4] https://pressto.amu.edu.pl/index.php/so/article/view/46527/38145
[5] https://www.serbski-institut.de/institut/
[6] https://www.landtag.brandenburg.de/de/gremium/rat_fuer_angelegenheiten_der_…
[7] https://tu-dresden.de/gsw/slk/slavistik/das-institut/professuren-und-lehrbe…
[8] https://www.nsg-cottbus.de/
[9] https://zorja.org/zorja/
[10] https://www.neuevisionen.de/de/filme/bei-uns-heisst-sie-hanka-142
[11] https://www.sorbische-wendische-sprachschule.de/
[12] https://www.sorbische-wendische-sprachschule.de/
[13] https://www.witaj-sprachzentrum.de/niedersorbisch/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Sorben
Brandenburg
Cottbus
Schwerpunkt Ostdeutschland
Strukturwandel
Schwerpunkt Stadtland
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