# taz.de -- Dokumentarfilm von Andreas Dresen: Was junge Adler wollen | |
> Mit ehrlichem Interesse an demokratischen Institutionen erzählt Andreas | |
> Dresen seinen "Herr Wichmann aus der dritten Reihe". | |
Bild: Henryk Wichmann, Star von „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“. | |
„Einer der geheimnisvollsten Vögel Deutschlands“ ist der Schreiadler laut | |
der Website des Nabu. Man erfährt dort auch, dass der Bestand der Vögel in | |
Deutschland akut gefährdet ist und sich inzwischen auf gut 100 Brutpaare im | |
Osten des Landes beschränkt. Dass der Schreiadler gleichzeitig die Nemesis | |
eines CDU-Landtagsabgeordneten ist, zeigt Andreas Dresens Dokumentarfilm | |
„Herr Wichmann aus der dritten Reihe“. | |
Genauer gesagt geht es nicht einmal so sehr um den Vogel an sich, als um | |
eine einzelne Schreiadlerfamilie, die mit erstaunlicher Beharrlichkeit | |
ganze Infrastrukturprogramme lahm legt: Ein Straßenbau ist längst | |
erfolgreich verhindert, jetzt machen die Freunde des Adlers gegen den Bau | |
eines Fahrradwegs mobil. | |
Henryk Wichmann fasst sich an den Kopf. Und muss in einem Gespräch mit den | |
Interessenvertretern des Vogels doch zugeben, dass auch er bei einem | |
Waldspaziergang mit der Familie äußerst angetan war von den adretten | |
Jungadlern. | |
„Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ ist ein Sequel. Andreas Dresen hat | |
Henryk Wichmann schon einmal porträtiert: „Herr Wichmann von der CDU“ | |
entstand während des Bundestagswahlkampfs 2002. | |
Wichmann war mit gerade einmal 25 Jahren Direktkandidat der CDU im | |
Wahlkreis Uckermark-Barnim 1, versuchte wacker, seine Wahlprospekte an | |
mäßig interessierte Passanten zu verteilen, kam stets ein wenig ins | |
Lavieren, wenn vorbeieilende Omas über „diese Ausländer“ schimpften, | |
besuchte Schulen und Altersheime, wartete vergebens auf Jürgen Rüttgers, | |
der einen unterstützenden Wahlkampfauftritt versprochen hatte, aber auf der | |
Autobahn fest saß. Auch der im neuen Film zentrale Kampf Wichmanns gegen | |
die Naturschutzlobby und für den Industriestandort Brandenburg ist im | |
ersten Film bereits vorgeprägt. | |
## Probleme der Repräsentation | |
Der Einwand, den eine Schülerin da an Wichmann gerichtet hatte, gilt | |
freilich immer noch: Die Aktivitäten des Nabu sind sicherlich nicht das | |
einzige und auch nicht das größte Problem der strukturschwachen Region. Den | |
Einzug in den Bundestag verfehlte Henryk Wichmann. Inzwischen sitzt er als | |
Nachrücker im Brandenburger Landtag, dem Filmtitel gemäß in der dritten – | |
der letzten – Reihe. | |
Das Landtagsgebäude sieht von außen herrschaftlich aus, das Parlament | |
jedoch tagt in einem schlichten Funktionssaal, der bereits die Distanz zur | |
glamourösen Welt-, oder auch nur Bundespolitik anzeigt. So geht es dem Film | |
nicht um den symbolischen Überschuss des Politikbetriebs, sondern um die | |
kleinteiligen Probleme der Repräsentation: was es heißt, wenn einer für | |
andere spricht, für andere handelt. | |
Im Vorgängerfilm tauchte zwar nicht Rüttgers, aber immerhin Angela Merkel | |
kurz auf. Inzwischen ist ein Vieraugengespräch mit Ministerpräsident | |
Matthias Platzeck, der seine eigenen überbrandenburgischen Ambitionen auch | |
schon längst begraben hat, das höchste der Gefühle. Wichmann – nicht mehr | |
so streberhaft-linkisch wie 2002, aber immer noch sehr zurückhaltend – | |
lässt sich stattdessen erklären, warum ein Regionalzug auf einem kleinen | |
Provinzbahnhof zwar anhält, aber die Türen nicht öffnet, kämpft für | |
Schiffsdurchfahrten in einem Binnenseekanal und gegen die tatsächlich | |
geradezu unheimlich mächtige Schreiadlerlobby. | |
## Kein Voyeurismus | |
Wie im Vorgängerfilm bleibt Dresen ganz Beobachter; keine Fragen, kein | |
Voice-over. Wieder ist seine Haltung zum Sujet ambivalent: Zwar gibt er der | |
(naheliegenden) Versuchung, die absurderen Aspekte des lokalpolitischen | |
Alltags der Lächerlichkeit preiszugeben, ab und zu nach: zum Beispiel, wenn | |
er eine langwierige Diskussion über die relative Größe und Positionierung | |
der Parteischilder in einem Verwaltungsgebäude des Landtags mitfilmt. | |
Gegen solche Momente aber steht ein ehrliches, unzynisches Interesse an den | |
demokratischen Institutionen, an ihren Funktionsgrundlagen, an ihren | |
Sollbruchstellen, vor allem auch an ihrem Selbstverständnis: Mindestens so | |
wichtig wie die parlamentarische Arbeit (die bekommt Dresen nicht wirklich | |
zu fassen; da steht ihm seine unbedingte Personenzentrierung im Weg) sind | |
dem Film die mal mehr, mal weniger formellen Begegnungen mit Bürgern, die | |
Vermittlungsangebote, die Wichmann nicht nur im Namen der CDU, sondern des | |
gesamten parlamentarischen Prinzips unternimmt. | |
„Herr Wichmann aus der dritten Reihe“, Regie: Andreas Dresen, | |
Dokumentarfilm, Deutschland 2012, 90 Min. | |
6 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
## TAGS | |
Andreas Dresen | |
Andreas Dresen | |
Clemens Meyer | |
Dokumentarfilm | |
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