# taz.de -- Wolf Biermann zum 80. Geburtstag: Die Weltgeschichte im Blick | |
> Er war wunderbar. Bis er sich an sich selbst berauschte. Drei Würdigungen | |
> zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann. | |
Bild: Der Barde schaut | |
„Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“ Wolf Biermanns | |
Stimme gurgelte aus dem Stern-Radiorekorder. Das Magnetband war dutzendfach | |
kopiert worden – ich musste schon sehr genau hinhören, was da verschliffen | |
aus dem Lautsprecher waberte. „Die allzu hart sind, brechen, die allzu | |
spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.“ | |
Es war Ende der siebziger Jahre in Ostberlin, ich war ein pubertierendes | |
Mädchen und zu Besuch bei Micha aus der Zehnten. Wir taten in seinem Zimmer | |
etwas Verbotenes: Wir hörten Biermann. | |
Wenige Jahre zuvor war dieser Wolf Biermann „ausgebürgert“ worden. Unsere | |
Lehrer sagten „rausgeschmissen“. Bis Biermann von der dauerbeleidigten | |
Politikerkaste der DDR zum offiziellen Klassenfeind gemacht worden war, | |
kannte ich ihn eigentlich nicht – das Wort „ausbürgern“ aber sehr wohl. … | |
Nazis hatten Bertolt Brecht, Thomas Mann, ja sogar Albert Einstein | |
ausgebürgert. Fast 40.000 Menschen hatten sie die Staatsbürgerschaft | |
entzogen, ihre Exilschicksale füllten unsere Deutsch- und | |
Geschichtslehrbücher. Biermann musste etwas ganz, ganz Furchtbares getan | |
haben. Sonst wäre er nicht ausgebürgert worden. | |
Schon allein um das zu verstehen, hörte ich genau hin. Und was ich hörte, | |
war poetisch. Da war eine deutliche Nähe zu Brecht zu spüren, auch zu Hanns | |
Eisler und Kurt Weill. Ich hörte Rhythmen, die aus der Singe-Bewegung | |
rührten, dabei aber schräg gebrochen wurden. Texte, die zart sein konnten, | |
aber auch so agitatorisch, dass ich verlegen grinste. Vorgetragen mit sehr | |
viel Atem, Pausen, Seufzen, auch Quieken. Biermann konnte eigentlich nicht | |
singen – aber das grandios. Ich mochte die Liebeslieder, mich nervte das | |
Geschrei. Aber insgesamt: Ja, großartig. | |
Biermann blieb genauso lange großartig für mich, wie ich ihn nicht als | |
Person kannte. Nach dem Fall der Mauer saß er allenthalben in | |
Fernsehtalkshows. Ich sah dort: einen Egomanen. Einen Hysteriker, der den | |
fundamentalen Fehler begangen hatte, seine unbestritten große Wirkung auf | |
seine eigene Person zu übertragen. Ein Mann, dem Eitelkeit und | |
Besserwisserei aus allen Poren traten. | |
Ich dachte immer noch: Na gut, das haben die aus ihm gemacht, die ihn | |
damals „rausgeschmissen“ haben. Biermann tat mir leid. | |
Das ging so bis vor zwei Jahren. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls hatte | |
Bundestagspräsident Norbert Lammert Biermann in den Bundestag eingeladen. | |
Er sang dort die „Ermutigung“, jenes Lied, dem ich Jahrzehnte zuvor | |
andächtig gelauscht hatte. Biermann machte aus seinen zehn Minuten im | |
Parlament eine persönliche Abrechnung mit der vollzählig versammelten | |
Linke-Fraktion. „Es ist Strafe genug, dass sie hier sitzen müssen, mich | |
anhören müssen“, grantelte er. Als jemand erwiderte, man sei immerhin | |
gewählt, grollte Biermann: „Gewählt! Sei nicht zu clever!“ Jene, die sich | |
links nennten, seien bekanntlich weder links noch rechts, sondern | |
reaktionär. „Ich habe euch zersungen, als ihr noch an der Macht wart.“ | |
Ich. Euch. Zersungen. In der ersten Reihe ruckelte Angela Merkel auf ihrem | |
lila Chefstuhl entzückt vor und zurück. | |
Ich saß oben auf der Pressetribüne, verstand jedes Wort, jeden Ton. Ich sah | |
Biermann, wie er spielte und atmete. Ich sah einen an sich selbst | |
berauschten Sänger. Ich hörte sein großes Lied. Aber es war vorbei. ANJA | |
MAIER | |
*** | |
Peter Schneider besuchte Wolf Biermann in den 70er Jahren in der | |
Ostberliner Chausseestraße und schrieb danach einen Satz, der genauer nicht | |
sein konnte. Biermann könne eine Konzerthalle in sein Wohnzimmer | |
verwandeln, aber auch sein Wohnzimmer in eine Konzerthalle. Biermann, das | |
war – Ich und der Faschismus, Ich und der Stalinismus, Ich und die DDR, Ich | |
und Deutschland, Ich und die Frauen etc.. | |
Der dampfende Narzissmus war in seinen Liedern indes eingehegt durch zarte, | |
gekonnte Poesie, die krachende Bedeutsamkeit abgedämpft durch Lakonie. Die | |
Zeile „Jetzt bin ich dreißig Jahre alt / und noch immer ohne | |
Lebensunterhalt“ sprach uns aus dem bangen Herzen, das zwischen | |
Verweigerungsgesten und dem Willen, Großes zu tun, schwankte. Und er | |
konnte, was selten war, deutsche Liebeslieder schreiben. Egoman, aber ohne | |
Sentimentalität. „Das ist mal so mit mir / Und bin halb froh mit mir“. | |
Großartig erschien Biermann der westdeutschen undogmatischen Linken, weil | |
er es wundersam ermöglichte, unsere innere Blockade zu lockern – | |
Deutschland. Wir fuhren nach Marokko oder nach Griechenland und gaben uns | |
als Briten oder Holländer aus. Das Deutsche war uns schmerzhaft peinlich, | |
aus bekannten Gründen. Urlaub in Bayern zu machen erschien uns | |
halbfaschistisch. Das Nationale hatten die Rechten gekapert, die | |
Revanchisten, die das Deutsche Reich wiederhaben wollten. | |
Die DDR war für die meisten jungen Westlinken ein graues, kurioses, fremdes | |
Land, von bestürzender, unbegreiflicher Ödnis. Wir verteidigten die DDR | |
nicht. Wir verstanden sie nicht, und außer diffusem Unbehagen löste sie | |
nichts bei uns aus. Aber wir konnten die DDR nicht kritisieren. Denn die | |
Verdammung des SED-Regimes hatten die Rechten monopolisiert, die das | |
auftrumpfende, feiste Deutschsein verkörperten, das wir zu hassen liebten. | |
Biermann war der Ausweg aus diesem Dilemma. In seinen Liedern war die DDR | |
dramatisch, interessant, geschichtsträchtig. Er konnte von Deutschland | |
reden, als wäre es ein Text, der von uns spricht. Dramatisch nah und doch | |
mit Distanz gesehen. | |
Ein gescheiter, politisch hochbegabter linker Aktivist sagte mir Mitte der | |
80er Jahre, er verstehe nicht, was das Gerede von der deutschen Frage | |
solle. Die sei doch endgültig beantwortet. So dachten wir damals, mehr oder | |
weniger deutlich. Bei Biermann bekamen wir einen leisen Schimmer, dass | |
unser trotziges Nein zu Deutschland zu wenig war. Viel zu wenig. Dass es | |
nicht die Lösung, sondern Teil eines wirren Knotens war. | |
Biermann war unser Held gewesen, als er noch in der DDR war. Nach 1976, im | |
Westen, schrumpfte er auf Lebensgröße und wurde vom Heros zum Liedermacher. | |
Nach 1989 wurde er zum Scharfmacher, monströs in seiner wütenden | |
Selbstgerechtigkeit und seinen politischen Irrtümern. Ganz egal war er uns | |
nicht, sogar nicht als verstockter Schönredner von Georg W. Bushs Überfall | |
auf den Irak. Dafür hatten wir ihn damals zu sehr bewundert. STEFAN | |
REINECKE | |
*** | |
Blaues Leinen, Lesebändchen, ganz klassisch liegt das Buch vor einem. „Im | |
Bernstein der Balladen“ heißt dieser Sammelband mit Liedern und Gedichten, | |
der pünktlich zum runden Geburtstag erschienen ist (Propyläen, 240 Seiten, | |
24 Euro). Im Bernstein seiner Verse will Wolf Biermann genialisch alles | |
festgehalten haben: die „Canaillen“, die „Freunde“, die „deutsch-deut… | |
Liebespaare in großer politischer Landschaft“. Als ob der Inhalt der Verse | |
objektiv da wäre und nicht vom Leser immer neu erzeugt werden müsste … | |
Das kitschige Poesiealbum-Bild vom Bernstein passt auch gar nicht zum | |
deftigen Ton, mit dem viele der Balladen daherkommen. Auch wenn man kein | |
Fan ist: Die sprachliche Energie, die einem entgegenschlägt, sobald man das | |
Buch aufschlägt, ist beeindruckend. Brecht, Heine, Villon erwähnt Biermann | |
selbst als seine Bezugsgrößen (bescheiden ist er nicht). Und bei aller | |
Selbstbezogenheit rührt einen etwas trotzig Kämpferisches aus diesem Band | |
an. | |
„Ermutigung“, wohl sein bekanntestes Lied, steht auf Seite 90: „Du, lass | |
dich nicht verhärten / In dieser harten Zeit“. Nicht nur, weil Biermann an | |
anderer Stelle Joan Baez besingt: Das hat schon etwas von einem deutschen | |
„We shall overcome“. | |
Auf der Seite daneben beginnt die „Moritat auf Biermann seine Oma Meume in | |
Hamburg“. Darin erzählt er von seiner Urgoßmutter, die im Wochenbett starb, | |
und seinem Urgroßvater, dem als Maschinisten die rechte Hand abgerissen | |
wurde und der, allein mit dem Baby, das Saufen anfing, sich aber wieder | |
fing: „Und schwor, nie mehr zu trinken / Und weil er Maschinist gewesen war | |
/ Schwor er das mit der Linken“. Wie viele vergessene Dramen deutscher | |
Arbeitergeschichte wären anschlussfähig an solche Zeilen! Biermann wurde ja | |
dann zur Nazi-Zeit als guter Kommunist erzogen. | |
In der vorletzten Strophe schreibt er über seine Großmutter: „Die Alte lebt | |
heut immer noch / Und kommst du mal nach Westen / Besuch sie mal und grüß | |
sie schön / Vom Enkel, ihrem besten / Und wenn sie nach mir fragt und weint | |
/ Und auf die Mauer flucht / Dann sage ihr: Bevor sie stirbt / Wird sie | |
noch mal besucht“. Wie direkt er hier von der Katastrophe des Mauerbaus | |
spricht! 1965 ist das entstanden, in dem Jahr, als Wolf Biermann in der DDR | |
Publikationsverbot erhielt. Im Nachhinein kann man sehen, dass gegen die | |
Schlichtheit dieser Zeilen die deutsch-deutsche Teilung auf Dauer keinen | |
Bestand haben konnte. | |
Eine andere schöne Stelle zum Reinlesen ist der lustige Prolog zum Film | |
„Spur der Steine“, der dann doch nicht aufgenommen wurde: „Mit Lug und | |
Betrug! / Mit Manne Krug! / Als Baubrigadier / Kübelt er Bier / Ein | |
Volkspolizist / fliegt in den Mist“. | |
Bernstein? Nein. Eher eine große, bunte, schillernde Kiste, in der alles | |
sprachmächtig durcheinander geht, das Politische und das Private. Und | |
vieles darin, das ist so, schillert bis heute. DIRK KNIPPHALS | |
14 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
Anja Maier | |
Stefan Reinecke | |
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