# taz.de -- Wolf Biermanns neuer Novellenband: Bei Dage Gommunist, nachts Fasch… | |
> In „Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtier-geschichten“ verbindet | |
> Biermann persönliche Erlebnisse mit historischen Ereignissen. | |
Bild: Immer meinungsstark, meist unbequem: Wolf Biermann | |
Im Künstlerclub „Die Möwe“ trifft sich die „Deutsche Demokratische Bohe… | |
Rein kommt man nur mit Clubausweis, es sei denn, man ist eine schöne Frau | |
oder man besitzt Berliner Schnauze und „quatscht und quetscht sich kess“ | |
durch die Kontrolle. | |
Im Winter 1961, die Mauer ist gerade gebaut, liegt eine sibirische Kälte | |
über der Stadt. Wer einen solchen Winter mal erlebt hat, kurz nach dem | |
Mauerfall gab es wieder einen, weiß, was es heißt, in einer Wohnung mit | |
Kachelofen zu wohnen, wie Wolf Biermann, der in jenem Winter schon nicht | |
mehr Regieassistent am Brecht-Theater, sondern wieder Student der | |
Humboldt-Uni ist. Einen Clubausweis hat er aber noch. In der „Möwe“ trifft | |
er die schöne Barbara. Sie stellt sich vor als „eene Ballett-Tänzerin anner | |
Komischen“, abweisend und schroff. | |
Biermann erzählt ihr von der Nazizeit, seiner „Kommunistenfamilie“, seiner | |
„Judenfamilie“ und von der Operation „Gomorrha“, als alliierte Bomber | |
Hamburg in Schutt und Asche legten. Er trägt sein neuestes Gedicht über die | |
Mauer vor: „Berlin, du deutsche, deutsche Frau, ich bin dein | |
Hochzeitsfreier. Ach deine Hände sind so rauh von Kälte und von Feuer.“ Aus | |
Eitelkeit, nicht Berechnung, schlägt er der Dame vor, ihr das Lied zu Hause | |
in der Chausseestraße zur Gitarre vorzusingen. | |
Die Geschichte der kurzen, aber heftigen Begegnung mit der Tänzerin gab | |
Biermanns eben erschienener Sammlung von 18 „Liebesnovellen und anderen | |
Raubtiergeschichten“ den Namen: „Barbara“. Die Novelle war eine im 19. | |
Jahrhundert beliebte kurze Prosaform. Deutschlehrer lassen noch heute gerne | |
Jeremias Gotthelfs „Schwarze Spinne“ lesen, vielleicht, weil diese | |
klassische Novelle trotz ihrer christlichen Moral eine Horrorstory ist, die | |
es mit jedem Zombiefilm aufnehmen kann. | |
## Bei Dage Gommunist, bei Nacht Faschist | |
Im Gespräch mit Eckermann definierte Goethe die Novelle als Prosastück über | |
„eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. Das trifft auch auf Biermanns | |
Erzählungen zu. Aus ihnen lassen sich, in schöner Ergänzung zu seiner 2016 | |
erschienenen Autobiografie, Anekdoten aus seinem Leben und kluge | |
Einschätzungen zu Liebesangelegenheiten und ihren Zusammenhang mit der | |
Politik erfahren. | |
Im Mittelpunkt jeder Novelle steht eine Person. Ruth Berlau, Manfred Krug, | |
eine Ostberliner Krankenschwester oder Kohlen-Otto, der im Suff | |
Volkskammerabgeordneten in ihren Bonzenschleudern „Heil Hitler!“ zuruft und | |
prompt in den Steinbruch geschickt wird. | |
Biermann wurde 1936 als Sohn zweier Kommunisten in Hamburg geboren. Schon | |
seine Großmutter – Biermann nennt sie in seinen Liedern und Geschichten | |
„Oma Meume“ – war Kommunistin gewesen. Sie erzählt dem jungen Wolf: „M… | |
hat mei Garrl im Bett nie jeschont. Bei Dage war er Gommunist. Bei Nacht | |
war er ’n Faschist.“ Oma Meume nutzt keine Verhütungsmittel, ihre Tochter | |
dagegen gehört zur „Avantgarde bolschewistischer Emanzen“. Die KPD | |
empfiehlt den Genossen, Präservative zu benutzen, damit der Pfusch von | |
Engelmacherinnen die Kampfkraft der Partei nicht schwächt. Anfang der | |
dreißiger Jahre gibt die KPD – hat man Wilhelm Reich gelesen? – gar die | |
Losung aus: „Genossen, verschafft euren Frauen einen Orgasmus, sonst wählen | |
sie Hitler.“ | |
Vater Dagobert kam aus einer orthodoxen jüdischen Familie, und als er 1939 | |
wegen Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat vor Gericht stand und nach | |
seiner Konfession gefragt wurde, antwortete der Atheist: „Ich bin Jude!“ | |
1943 wurde er aus dem Zuchthaus nach Auschwitz deportiert, wo er kurz | |
darauf starb. Biermann beschrieb sich in seinem Lied „Nur wer sich ändert, | |
bleibt sich treu“ später so: „Ich bleibe, was ich immer war: halb Judenbalg | |
und halb ein Goy.“ | |
Als die Mauer fällt, ist Biermann längst kein Kommunist mehr, wohl aber | |
sein Freund Walter Grab, Heine-Spezialist aus Tel Aviv. Walter schimpft | |
Wolf einen Verräter, der antwortet: „Gewiss, das bin ich! Wie Arthur | |
Koestler, wie meine Freunde Manès Sperber und Ernst Fischer: ein treuer | |
Verräter an der kommunistischen Illusion, ein frommer Ketzer, ein guter | |
Renegat.“ | |
## Mit Hakenkreuz in Israel | |
Biermann findet die Urszene für Grabs ungebrochene Treue im israelischen | |
Unabhängigkeitskrieg von 1948, die dieser Novelle über den Freund in | |
mehrfacher Hinsicht die unerhörte Begebenheit liefert. Grab war Kommunist, | |
kein Zionist, verteidigte aber Israel gegen die einfallenden arabischen | |
Armeen als Reservist. Er liegt mit einem Gewehr „wie aus dem Kriegsmuseum“ | |
mit zehn Schuss Munition in einer Mulde. Da kommt ein Lkw angefahren, | |
Kisten voller Maschinenpistolen werden ausgeladen, die Ende des Zweiten | |
Weltkriegs von der Roten Armee erbeutet worden sind. „Die Sowjetunion war | |
der einzige Staat, der das junge Israel militärisch unterstützte. Genosse | |
Stalin hatte ihm ein Gewehr für diesen Krieg geliefert.“ | |
Erst in der Morgensonne hat Genosse Grab die Gelegenheit, seine Waffe zu | |
begutachten: „Es schmückte sie am Gewehrkolben ein blank poliertes | |
Stahlblech. Darauf das Symbol der Hölle, ein fettes Hakenkreuz.“ | |
Biermann gelingt es in seinen Novellen immer wieder, in einzelnen Sätzen | |
pointiert historische Ereignisse mit persönlichen Erlebnissen in Verbindung | |
zu bringen. Das kann, wer nicht nur der eigenen Vergangenheit, der | |
Geschichte und des ewig währenden Streits um sie gewärtig ist, sondern das | |
alles auch begriffen hat: „Als nach zwölf Jahren die deutsche | |
Wiedervereinigung grad so alt geworden war wie das Tausendjährige Reich, | |
besuchte mich der alte Dichter Natan Zach aus Tel Aviv.“ | |
Mit diesen Worten beginnt die Novelle „Die Verhaftung der Schuldigen“, in | |
deren Verlauf Biermann erzählt, wie er mit Hilfe seines Sohnes | |
herausgerissene Bahnschwellen nahe der alten Schlachthöfe am Hamburger | |
Karolinenviertel klaut, weil er noch nicht weiß, dass seine jüdischen | |
Verwandtschaft nicht von hier, wie ihm seine Mutter immer erzählt hatte, | |
sondern vom Hannoverschen Bahnhof aus in den Tod befördert worden war. | |
## Der junge Kommunist lernt Gitarre spielen | |
Natan Zach streitet sich mit Biermann über das Berliner Holocaust-Mahnmal. | |
Der erinnert in seiner Novelle daran, dass Rudolf Augstein, „der gelernte | |
Artilleriebeobachter und Leutnant der Reserve in der Wehrmacht“ einst im | |
Spiegel schrieb, das Mahnmal solle „in der Mitte der wiedergewonnenen | |
Hauptstadt Berlin an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen | |
wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, dass | |
dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu | |
formierende Deutschland gerichtet ist.“ | |
Man lernt in „Barbara“ viel über die jüngere und jüngste deutsche | |
Geschichte. Als Jugendlicher erfüllte Wolf Biermann den „Parteiauftrag“ | |
seiner Mutter Emma und siedelte in die DDR über. Er hatte in Hamburg | |
Klavier gelernt, im Pionierlager schenkte ihm ein Genosse, der einst | |
Liebhaber der Mutter gewesen war, eine Gitarre. Der junge Kommunist lernte | |
sie zu spielen und nannte sich in Anlehnung an Brecht, der sich als | |
Stückemacher bezeichnet hatte, bald Liedermacher, was mancher Zeitgenossin | |
komisch vorkam, weswegen Biermann seine Barbara sagen lässt: „Det klingt ja | |
affig, wie Schuhmacher oder Uhrmacher oder Faxenmacher.“ | |
Hanns Eisler förderte das junge Talent, das in der Tradition Brechts Lieder | |
schrieb, in denen die Liebe genauso zu ihrem Recht kam wie die Politik. Wer | |
Biermanns „Balladen“ aus den 1960er und 1970ern heute hört oder liest, | |
wundert sich womöglich über den Pop-Appeal dieser Lieder, in denen auch | |
gern mal volkstümlich derb formuliert wird. Die Verse „erwiesen sich als | |
meine stärkste Waffe im Streit der Welt“, hat er einmal geschrieben und in | |
seiner „Antrittsrede des Sängers“ heißt es: „Des Aufruhrs und der Freih… | |
Kinder sind ja unsre Väter selbst.“ Auch wenn seine Performance als | |
bärtiger Barde mit Klampfe dem zu widersprechen scheint, könnte man beim | |
Hören der „Ballade zur Beachtung der Begleitumstände beim Tode von | |
Despoten“ von 1964 auf die Idee kommen, dass Biermann der erste deutsche | |
Punk war. | |
## Auftrittsverbot und Ausbürgerung | |
Sicher ist, dass der Führung der Sozialistischen Einheitspartei der DDR die | |
Lieder dieses Kommunisten bald als so zersetzend erschienen, dass das 11. | |
Plenum des ZK der SED ihm 1965 ein Auftrittsverbot erteilte. Elf Jahre | |
später verfügte die SED seine Ausbürgerung „wegen grober Verletzung der | |
staatsbürgerlichen Pflichten“. | |
Im Winter 1961 ist Wolf noch wohlgelitten. Er spielt der Tänzerin Barbara | |
einige seiner Lieder vor, dann bringt der Kavalier sie in seinem VW-Käfer | |
nach Buch. Sie navigiert ihn in den Wald, küsst ihn, beißt ihn und lässt | |
ihn, nachdem sich eine dicke Eisschicht von innen auf die Scheiben gelegt | |
hat, für immer zurück. Biermann macht eine Ballade daraus: „Sie hat mich | |
beim Küssen gebissen aufs Blut / Sie biss mir nicht nur den Mund / Und wie | |
ich auch schrie – da lachte sie nur / So kam ich / So kam ich / So kam der | |
Wolf auf den Hund.“ | |
20 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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