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# taz.de -- Bombenangriff auf Hamburg vor 80 Jahren: Bleibende Leerstellen
> Eine Tagung beschäftigte sich mit dem Bombenangriff auf Hamburg im Juli
> 1943. Was bedeutet Gedenken an den „Feuersturm“ für die
> Erinnerungspolitik?
Bild: Hamm und Hammerbrook in Ruinen: Hamburg, im Juli 1943
Zum 80. Mal jährt sich in wenigen Tagen, am 24. Juli, dieses Datum: Ende
Juli 1943 begann die britische Luftwaffe Royal Air Force Hamburg, die
zweitgrößte Stadt im Deutschen Reich, massiv zu bombardieren. Die
Angriffsbedingungen waren, militärisch betrachtet, perfekt.
Anders als beim auch erwogenen Ziel Köln war die Hafenstadt an der Elbe
nicht vom Dunst einer Industrielandschaft wie dem Ruhrgebiet überwölbt. Es
herrschte Sommerwetter, Wolken waren keine in Sicht. „Operation Gomorrha“
wurde die Aktion genannt. Am Ende waren 34.000 überwiegend aus der
Arbeiterklasse stammende Menschen in den östlichen Stadtteilen Hamm und
Hammerbrook, vor allem Frauen, Kinder sowie alte, kriegsuntaugliche Männer
ums Leben gebracht worden – es war die alliierte Attacke auf eine deutsche
Großstadt mit den meisten Toten in einem Angriff.
Betroffenheit ob dieses „Feuersturms“ gehörte im Hamburg der
Nachkriegszeit zu den prominentesten Markern der Erinnerungspolitik, anders
als im Dresden der Nachwendezeit verfing in der Hansestadt aber nie ein
rechtes Narrativ: Mit einer demagogisch gesinnten Chiffre wie
„Bombenholocaust“, die in der sächsischen Landeshauptstadt nach 1989
populär zu werden schien, war in Hamburg kein Blumenpott zu ernten.
## „Nach-vorne-Schauen“-Rhetorik
Auf einer Tagung in Hamburg unter dem Titel „80 Jahre ‚Operation Gomorrha�…
Zeiten-Wende(n) in der Erinnerung?“, die am Wochenende direkt am Gedenkort
der St.-Nikolai-Kirche stattfand, wies der in Münster lehrende Historiker
Malte Thießen auf ebendiesen Umstand hin – Hamburgs Lokalpolitik, ohnehin
bis auf wenige Jahre sattelfest sozialdemokratisch regiert, band die Trauer
um die Getöteten stets in Zukunftsrhetoriken ein. Das Publikum erkannte
sich in dieser Haltung des „Nach-vorne-Schauens“ jahrzehntelang wieder.
Kranzniederlegungen, Einweihungen von Gedenkskulpturen,
TV-Dokumentationen, Initiativen mit Erzählcafés.
Die volkstümliche Dimension jener Erinnerung an Zerstörung und Leid wollte
keinen Nationalsozialismus zurück – und wollte im „Engländer“, im „To…
keinen hassenswerten Feind erkennen. Eine linke Demo in den frühen
Neunzigern, die angesichts des grassierenden Nationalismus nach der
deutschen Wiedervereinigung den britischen Oberst der Luftwaffe, Arthur
„Bomber“ Harris, der 1943 den Angriff geleitet hatte, sich zurückwünschte,
verlor sich im allenfalls beifällig Skandalösen.
Als beim Staatsbesuch der britische Monarch Charles III. mit seiner Gattin
Camilla vor Kurzem an der kriegsruinierten St.-Nikolai-Kirche,
Erinnerungsort an 1943 wie auch Kranzabwurfstelle mit Aussichtsplattform,
ein kränzernes Gesteck niederlegte, erntete der Monarch Applaus: Ganz im
Sinne des bundesdeutschen Nachkriegsglaubenssatzes „Nie wieder!“.
## Wichtige Staatsfolklore
So weit die gewiss wichtige Staatsfolklore, aber: Kann lebendige
Erinnerung, etwa durch Zeitzeuginnen*, noch tragen? [1][Die meisten der
Überlebenden] sind hochbetagt, wenige nur sind noch am Leben, und der
„Feuersturm“ ist selbst für Menschen jenseits der 40 höchstens noch ein
verblassendes Datum [2][aus Erzählungen ihrer Vorfahren,] wenn überhaupt.
Dass sich eine geschichtswissenschaftlich begründete Konferenz nun der
weiteren Historisierung des damaligen Geschehens widmet, kann nur klug
sein: War überhaupt was zu lernen aus dem, was die „Operation Gomorrha“
bedeutete? [3][Die Flächenareale, die im Juli 1943 „ausgebombt“ wurden],
waren Handswerks- und Kleinindustriequartiere von energischer Vitalität,
ähnlich dem berlinischen Neukölln von einst. Sie sind nie wieder
systematisch bebaut worden und heute ausgewiesen als Industriegebiet.
Den Auftakt machte der britische Historiker Richard Overy (Universität
Exeter) mit seinem Keynote-Vortrag „How to kill a city?“ Overy skizzierte
den englischen Diskurs um den Bombenangriff: In einer Ethikkommission zur
Frage, was einem Feind an Bombardement zumutbar sein könnte, sodass vor
allem die Zivilbevölkerung nicht allzusehr in Mitleidenschaft gezogen wird,
votierten kurz vor dem „Feuersturm“ selbst zwei bekennende Pazifisten für
das, was Hamburgs „working class“ (Overy) heimsuchte.
## Kriegszuliefernde Kleinbetriebe
Der 75-jährige britische Historiker begreift die „Operation Gomorrha“
faktisch als Versagen einer liberalen Demokratie wie der britischen. Sie
seien ähnlich einzuordnen wie später die fatalen kriegerischen Handlungen
der USA in Korea und Vietnam. Ganz anders das Fazit am Ende der Tagung,
als der frühere Militärwissenschaftler Jonathan Sharp darauf hinwies, dass
zwar am Rande des Hamburger Hafens ebendiese Zehntausende Menschen in eng
zueinander gebauten Quartieren lebten, aber in den Stadtteilen selbst auch
kriegszuliefernde Kleinindustrien ausgelöscht werden mussten. So weit, so
historisch noch weiter klärungsbedürftig.
Historiker Thießen wies indes, sinngemäß, darauf hin, dass die Klage über
die Getöteten, über den auch in kriegstechnischer Hinsicht brutalen
„Feuersturm“ schief bleibt, wenn der nationalsozialistische Kontext des
Angriffs nicht mit ausgesprochen wird: Es war Hitlers Luftwaffe, die
Coventry und andere britische Städte bei ihren Bombenangriffen zuvor in
Schutt und Asche gelegt hatte, genau wie auch das holländische Rotterdam
und bereits während des Spanischen Bürgerkriegs die Stadt Guernica.
Insofern müsse erwähnt sein, dass auch die „Operation Gomorrha“ nicht aus
dem Nichts kam, sondern der NS-Volksgemeinschaft galt. Töte man viele,
demoralisiere man möglichst alle. Und von diesem Punkt aus hätte die Tagung
weiter erörtern können, was etwa dieses deutsche Credo „Nie wieder Krieg“
heute noch bedeuten kann. Sagt man das auch der Ukraine, die sich gegen
Russlands Auslöschungsversuche wehrt? Sagt man das auch dem Putinregime?
Ist Frieden immer besser als Krieg, vor allem ein verteidigender
Gegenangriff wie der der Alliierten gegen Nazi-Deutschland?
## Quo Vadis, Pazifismus?
Leider blieben bei dieser Tagung Leerstellen – denn was hätte die These von
„Zeiten-Wende(n)“ sonst bedeuten sollen: diskursive Anschlüsse an die
Debatten um Waffenlieferungen an die ukrainischen Davids gegen den
benachbarten russischen Goliath? Das wäre womöglich eine quälende
Angelegenheit geworden – auch stärker in den Blick zu nehmen, dass der
europäische Pazifismus (in Großbritannien und Deutschland) aus dem Zweiten
Weltkrieg die den Nationalsozialismus ignorierende Lehre zog, „Nie wieder
Krieg“ zu wollen? Sähen das die abwehrbereiten ukrainischen Eliten ebenso,
von der keineswegs mehr pazifistisch gesinnten ukrainische Linken
abgesehen?
Vieles wurde bei dieser Konferenz angesprochen, Museumsdidaktisches
insbesondere. Was kann man bei welcher pädagogischen Gelegenheit zeigen,
was bewegt Junge und Jüngere? Wie gelingt, nicht nur die Alten für solch
ein Ereignis wie den „Feuersturm“ lernend zu interessieren? Kultursenator
Carsten Brosda (SPD) wollte sich auf keine Regierungsdidaktik einlassen:
Nein, der Staat habe nur die Bedingungen von Erinnerungspolitik zu
liefern, die Inhalte müssten sich gesellschaftlich selbst ergeben, in
diskursiven Häppchen quasi.
Deshalb wäre für „Zeiten-Wende(n)“ gewiss wichtig gewesen, etwa ein mit
nahbaren Quellen gesättigtes Stadtteilarchiv wie das im einst ausgebombten
Hamburg-Hamm einzuladen: Wie spiegelt sich die kollektive Erinnerung bei
ihnen, wenn die Zeitzeuginnen* sterben? Und wie bewerten die nach 1945
eingewanderten Hamburger*innen (die dort tausendfach leben) diese
Erinnerungen – postkolonial eventuell? Und wenn so: Wie genau?
Eine Tagung ist eine Tagung – und also immer auch ein Moment der
Selbstvergewisserung. Als stärkstes Resultat bleibt gewiss übrig, dass die
Forschung aus den Post-Feuersturm-Konvention heraustreten möge – und dass
also weitere Konferenzen, dann bitte mit Empirie, belegen, wie die
Narrative der Überlebenden und ihrer Nachfahren und der neuen,
eingewanderten Hamburgerinnen* respektvoller in den Fokus rücken.
Museumspädagogische Fragen lösten sich dann wie von selbst, ließe sich
fantasieren.
5 Jul 2023
## LINKS
[1] /Ueberlebende-ueber-NS-Zeit-und-das-Danach/!5794008
[2] /Kriegsgeschichte-in-Norditalien/!5942905
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## AUTOREN
Jan Feddersen
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