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# taz.de -- Schriftsteller Ralph Giordano: Der furchtlose Exzentriker
> Ralph Giordano war eines der wichtigsten deutschen Gesichter der
> sogenannten Vergangenheitsbewältigung. Nun ist er im Alter von 91 Jahren
> gestorben.
Bild: Auf einem Empfang des Hamburger Senats in 2013: Ralph Giordano.
Wollte man ihm Gutes nachsagen, wäre vor allem dies ein Charakterzug:
Furchtlosigkeit. Dieser Mann legte sich auch wirklich mit allen an.
Insofern geht eine gewisse Kritik, die ihm Opportunismus im Angesicht des
Zeitgeists attestierte, als er in jüngster Zeit den Islam fundamental der
Demokratieuntauglichkeit zieh, vollkommen fehl.
Ralph Giordano war das Gegenteil von feige oder kleinlaut. Im Jahre 2000,
als alle europäische Welt fürchtete, mit Jörg Haider wachse in Österreich
ein neuer Führer heran, sagte der gebürtige Hamburger: „Jemand wie ich, der
den Holocaust überlebt hat und Adolf Eichmann Auge in Auge gegenüberstand,
der fürchtet sich nicht vor einem Jörg Haider.“
Das war unmittelbar vor einer Talkshow, bei der der Österreicher
einvernommen werden sollte – und Giordano als Zeitzeuge des
Nationalsozialismus, als einer der erfolgreichsten Autoren über diese Zeit
und Beobachter ihrer Nachwirkungen, war dabei. Wie sich aber in der Sendung
zeigte, war Haider dem Journalisten wie auch dem SPD-Kulturfunktionär
Freimut Duve prima gewachsen. Beide hatten gegen Haider nur Moral
vorzubringen – an Giordano waren plötzlich fragwürdige Züge erkennbar.
Ein Mann, der sich vor allem in höherem Alter darin gefiel, fern
analytischer Kühle und recherchierter Präsenz als Argument nur eines gelten
zu lassen: sich selbst. Haider, aalglatt, gab ihm unentwegt recht – und
Giordano wusste nichts mehr zu entgegnen. Rechtspopulisten aber, so lernte
das Publikum, kann man nicht mehr mit Erinnerungen an das Tausendjährige
Reich kommen.
## Aus den besten Kreisen
Giordano also einen eitlen, hochfahrenden und streitlustigen Mann zu
nennen, ist, so gesehen, zutreffend. Kritisch kann das nicht gemeint sein:
Journalisten sind alle sendungsbewusst – aber Giordano hatte tatsächlich
allen Grund, dies auch ausgesprochen lautstark zu dürfen. Geboren 1923 in
Hamburg, Sohn einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters. Die
Familie Giordano überlebte in den letzten Monaten des NS-Regimes in einem
Keller – um die drohenden Deportation der Mutter zu verhindern.
Ralph Giordano und sein Bruder Egon lebten damals das durchaus dissidente
Leben von Gemütsoppositionellen, waren Freunde der verfolgten
„Swing-Jugend“. Die Familie war Teil der absolut besten Kreise an der
Alster in Hamburg; zur Schule ging Ralph Giordano ins elitäre Johanneum,
als Gymnasium das älteste in Hamburg, die allererste Adresse bis heute.
Den 8. Mai 1945 erlebten die Giordanos in krassester Opposition zum Rest
der geschlagenen Volksgemeinschaft: als Befreiung, als Beginn des Neuen.
Aber, so sagte Ralph Giordano auch: „Die Befreiung von der Angst vor dem
jederzeit möglichen Gewalttod, weil ich eine jüdische Mutter hatte, war,
ist und wird das Schlüsselerlebnis meines Daseins bleiben.“ Der Schluss,
den er aus dieser Zeit zog, war ein simpler: Von den Volksgenossen und
ihren Nachkommen wird er sich nie mehr etwas sagen lassen.
## Kommunist mit DDR-Kontakten
Politisch war er Kommunist, bis 1957 war er Mitglied der 1956 verbotenen
KPD, pflegte exzellente Kontakte in die junge DDR, absolvierte am
Literaturinstitut in Leipzig eine Ausbildung zum Journalisten und schrieb
für die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung. Für einen jüdischen Deutschen
war Giordano außergewöhnlich, als er selbst in linken Zirkeln und Milieus
das Jüdische nicht zur Nebensache machte, sondern, allem üblichen Antifa
zum Trotz, den Kern nationalsozialistischer Politik nicht verkennen wollte:
die Auslöschung alles Jüdischen.
Berühmt wurde Giordano Anfang der achtziger Jahre; in der Bundesrepublik
gab es durch die 1979 ausgestrahlte US-TV-Serie „Holocaust“ endliche eine
gewisse Bereitschaft, sich mit den Schicksalen der jüdischen Deutschen, der
Juden in Europa überhaupt auseinanderzusetzen. 1982 konnte endlich sein
Opus magnum erscheinen: „Die Bertinis“, hunderttausendfach als Buch
verkauft, von Abermillionen im Fernsehen (mit Hannelore Hoger als Mutter
Bertini) gesehen. Es war die Geschichte der Giordanos selbst – ein Pars pro
Toto. Jüdische Familiengeschichten wurden faktisch in der Nachkriegszeit,
jenseits der Anne-Frank-Rezeptionen in den Schulen, nicht lanciert, das
öffentliche Interesse war zu gering.
## Regime des Bösen
Jetzt in den Achtzigern konnte über das Nahbare gesprochen werden – bitter
für die Alten, erstaunlich für die Jungen: dass der Nationalsozialismus
kein Alienregime war, sondern eines boshafter Nachbarn, kaltherziger
Passanten, erbarmungsloser Verhältnisse und nur weniger Guter. Ralph
Giordano, der Exkommunist, der Fellow und spätere Kritiker des Stalinismus,
war plötzlich der oberste Mahner der Republik. Er wusste, wo es den
ehemaligen Volksgenossen und ihren Nachkommen am meisten wehtat.
In dem 1987 erschienenen Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last,
Deutscher zu sein“ wird diese Frage beleuchtet: Was faszinierte die
Deutschen so an Hitler, was, und das zu erörtern ist noch wichtiger, hielt
sie nach 1945 davon ab, aufrichtig und mit Scham über ihre Lust am
Völkischen zu sprechen?
Giordano konnte allerdings auch anders, feiner, sanfter, wenn man so will:
betroffener. In einer Dokumentation über die britische „Operation
Gomorrha“, bei der im Juli 1943 in Hamburg Stadtteile wie Hammerbrook durch
Feuer und Phosphor buchstäblich zerglüht wurden, spricht er, als erfasse
ihn der Schrecken neuerlich, als sei nichts vergangen, alles noch wie vor
der Tür – drohend.
Nach der Havarie beim Talk mit Jörg Haider wurde es gelegentlich nervig mit
ihm, dem Mann, der das Jüdische nicht unter den Teppich kehren wollte und
auf Eigensinn bestand. Mehrfach mischte er sich in Debatten über deutsche
Leitkultur, Islam, Integration, Muslime in Deutschland und Moscheebauten
ein. Und meist misslang ihm nicht nur die Tonlage, sondern verfehlte er
auch das demokratisch Angemessene. Für ihn war das sicher immer auch eine
Frage sozialer Distinktion. Wahrscheinlich fiel es ihm schwer, den
Einwandern aus niedrigen Schichten auf Augenhöhe zu begegnen.
## Die jugendliche Frische
Zwar grenzte er sich scharf von rechten Formationen wie Pro Köln ab, fand
aber, dass man auf Probleme bei neudeutschen Bürgern muslimischen Glaubens
hinweisen dürfe. Viele nahmen ihn in Schutz, andere, mit meist besseren
Argumenten, glaubten, in ihm einen Rechtspopulisten zu erkennen. Dabei
hatte er in einem Punkt vollkommen recht, nämlich damit, dass das Jüdische
nicht nur bei vielen Deutschen verhasst war und ist, sondern auch bei
Muslimen. Ging es aber um Antisemitismus, verfiel Giordano nicht in einen
Klageton, sondern einen – bis ins hohe Alter – verständlichen Ton
jugendlicher Frische. Er wollte sich eben nichts bieten lassen; das war ein
Mann, der in jedem Kampf immer lieber in Vorhand ging.
Im Übrigen betonte Giordano immer, dass er viele säkulare muslimische
Freunde habe, mit ihnen jedoch darauf bestehe, dass die Scharia unter gar
keinen Umständen das Grundgesetz ergänzen oder gar ersetzen dürfe.
Man musste Ralph Giordano, den Ungemütlichen, mögen, auch wenn er nicht von
aufdringlichstem Liebreiz war. Streitfähige wie ihn gibt es in einem Land,
in dem man sich sich so ungern in die Wolle kriegt, nicht so viele. An den
Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs ist dieser Antifaschist gestern im
Alter von 91 Jahren in einem Kölner Krankenhaus gestorben.
10 Dec 2014
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Literatur
Schriftsteller
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Neuengamme
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