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# taz.de -- Ralph Giordanos Bücher jetzt öffentlich: Die Bibliothek eines Mah…
> Seit heute zeigt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme die Bücher des in Hamburg
> geborenen Publizisten und Holocaust-Überlebenden Ralph Giordano.
Bild: Trügerisches Idyll: Aus dem Fenster der Giordano-Bibliothek blickt man a…
Hamburg taz | Wenn am heutigen Freitag die Ralph-Giordano-Bibliothek in der
früheren SS-Waffenmeisterei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnet wird,
ist das ein so erfreulicher wie ambivalenter Vorgang. Erfreulich, weil
endlich ein Ort gefunden ist, an dem die 3.300 Bücher des 2014 verstorbenen
Hamburger Journalisten öffentlich zugänglich sein werden. Ambivalent, weil
die Bücher des in Hamburg-Barmbek von der Gestapo Gefolterten, Überlebenden
und zeitlebens Mahnenden an einem Ort der Täter stehen.
Allerdings steht das Gebäude nicht unkommentiert auf dem Lagergelände: Die
einstigen SS-Garagen, in deren Anbau besagte Waffenmeisterei lag, zeigen
eine Dauerausstellung über die Lager-SS – ein exzellent präsentierter
Counterpart zur Hauptausstellung in einer einstigen Häftlingsunterkunft.
Der Ort ist also erklärt und kommentiert. Und um den Tätern auch symbolisch
nicht das letzte Wort zu überlassen, ist es ein kluger Widerhaken, genau
hier Bücher von Opfern aufzustellen. Und es sind nicht irgendwelche Bücher:
Sehr systematisch kann man anhand von Giordanos Bibliothek dessen
Recherchen zum Judentum, zum Holocaust und dem milden Umgang der Deutschen
mit den NS-Tätern nach 1945 nachzeichnen, von Giordano kritisiert in seinem
Buch „Die zweite Schuld“.
Viele Bücher gelten auch Giordanos Lebensthema „Israel“ samt
Nahost-Konflikt; überraschend viele dem Armenier-Genozid, lange vor der
großen öffentlichen Debatte. Seine – durchaus umstrittene – Kritik an Isl…
und Islamismus sowie seinen Protest gegen den Bau der großen Kölner Moschee
spiegeln Bücher zum Islam.
## Mehr als ein auratischer Erinnerungsort
Wenig überraschend auch die Bände über Krankheit und Trauer, sind doch zwei
seiner drei Ehefrauen an Krebs gestorben. Verwundert ist man, in den
Regalen des 40-Quadratmeter-Raums größere Bestände über Eisenbahnen und
Tiere vorzufinden, und man spürt: Hier scheint auch der Privatmensch
Giordano auf – mit seinen teils randständigen Interessen, aber auch mit
seinem durch die Nazis „eingeprügelten“ Jüdischsein, wie er selbst es
einmal formulierte. Seit 1945 lebte er, so sah er es, aus der Verpflichtung
des Überlebenden heraus.
Symbol hierfür mag ein siebenarmiger jüdischer Leuchter auf einem der
Regale sein – ein Versuch, Privatsphäre in den sachlich kargen Raum zu
bringen. Zudem gibt es natürlich ein gerahmtes Foto Giordanos als Urheber
dieser Bibliothek.
Trotzdem, eine eindimensional auratische Ehrfurchtsstätte ist dies nicht
geworden: Gerade will man sich beim Blick aus dem Fenster an einem
niedlichen weißen Holzhäuschen erfreuen, da sagt
Gedenkstätten-Bibliothekarin Carola Kieras: „Das war das Haus des für seine
Brutalität bekannten Lagerkommandanten Max Pauly. Im Sommer lud er seine
fünf Kinder dorthin ein, die Gefangenen in Sichtweite.“ Vorbei ist es mit
dem vermeintlichen Idyll, freigelegt die darunter liegende Schicht aus
Brutalität und Leiden.
## Verfolgungstrauma ein Leben lang
Warum aber kommt der Nachlass Giordanos, der nie in Neuengamme inhaftiert
war, ausgerechnet hierher? „Als wir angefragt wurden, haben wir sofort ja
gesagt“, sagt Gedenkstätten-Leiter Detlef Garbe. „Andere Institutionen
hatten abgesagt, und es kann ja nicht sein, dass diese Bücher keinen Ort
finden.“ Auch Bibliothekarin Kieras sagt: „Es ist unsere Pflicht, uns mit
den Opfern zu befassen – zumal Neuengamme inzwischen nicht mehr nur für
einstige Häftlinge zuständig ist, sondern auch für andere NS-Verfolgte in
Hamburg.“
Hierfür war Giordano, der sich Anfang 1945 samt Familie in einem Keller
versteckte, damit seine jüdische Mutter nicht deportiert wurde, wichtige
Symbolfigur: Ein Leben lang hat Giordano, dessen autobiografischer Roman
„Die Bertinis“ ihn 1982 berühmt machte, unter dem Verfolgungstrauma
gelitten.
Entschieden hat er bezeugt, dass die Deutschen den Nationalsozialismus
unter Hitler verinnerlicht hatten. „Die Verschmelzung war bis auf Reste
total“, hat er einmal gesagt. Und empört registriert, wie milde die
Deutschen später die Täter straften. Und nach den fremdenfeindlichen
Anschlägen Anfang der 1990er-Jahre schrieb er einen Brief an Helmut Kohl
und warf dem Staat eine verheerende Schwäche gegenüber rechtsextremen
Gewalttätern vor.
## Bibliothekarin ist Enkelin eines Widerstandskämpfers
Bibliothekarin Kieras hat noch eine weitere, sehr persönliche Motivation,
sich für Giordanos Nachlass einzusetzen: Sie ist Enkelin des
Widerstandskämpfers Georg Kieras, der im Vorstand der damals illegalen SPD
und von 1935 bis 1938 inhaftiert war. Später wurde er als Soldat in die
„Strafdivision 999“ für sehr gefährliche Kriegseinsätze gesteckt. Kieras
überlebte. Nun engagiert sich seine Enkelin, um der NS-Opfer zu gedenken.
Wenn es ums Erinnern geht, besteht auch eine direkte Verbindung zwischen
Giordano und Neuengamme: 2004 habe sich Giordano für die Erinnerung an das
Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde eingesetzt, sagt Garbe.
„Dorthin hat die SS, als sie Neuengamme im April 1945 räumte, um Spuren zu
beseitigen, 9.000 kranke Häftlinge des KZ Neuengamme und seiner Außenlager
gebracht. 3.000 von ihnen starben innerhalb von nur drei Wochen“, sagt der
Gedenkstätten-Leiter. „Da die Sandbosteler von einem Gedenkort 2004 nicht
viel hören wollten, hat sich Giordano mit anderen Überlebenden engagiert,
um dieser Forderung Gewicht zu verleihen.“
Konkrete Berührungspunkte existieren auch zwischen Giordano und dem
einstigen Neuengammer Häftling Fritz Bringmann, dessen Bücher – derzeit
gelagert in der regulären Neuengammer Bibliothek – bald mit in den
Giordano-Raum ziehen sollen. Bringmann hat vor allem Bücher zur politischen
Theorie des Nationalsozialismus und zu den NS-belasteten
Schleswig-Holsteiner Nachkriegsregierungen gesammelt. Außerdem waren beide
in der KPD.
Allerdings, sagt Garbe, „wären sich Bringmann und Giordano sicher nicht
immer einig, wenn sie jetzt hier am Tisch säßen“. Denn während Bringmann
stets Mitglied der kommunistischen Partei blieb, schied Giordano 1957 aus
und verfasste das Buch „Die Partei hat immer recht“, in dem er sich mit der
zermürbenden Bürokratie von KPD und SED auseinandersetzt.
## Lebensgefährtin will Giordano umbetten
Trotzdem, sagt Garbe, „wären beide sicher einverstanden, ihre Bücher an
diesem Ort zu sehen“. Zumal beide vehement für Aufarbeitung und Gedenken
kämpften – Bringmann als Generalsekretär der „Amicale Internationale“ f…
die Errichtung der Gedenkstätte Neuengamme, das nach dem Krieg lange als
Gefängnis genutzt wurde, und Giordano als mahnender Journalist und Autor.
Bleibt die Frage, warum Giordanos Bücher in Hamburg gezeigt werden und
nicht in Köln, wo er die längste Zeit lebte. Tatsächlich hat er dies nicht
selbst verfügt, sondern seine Bücher einer Erbengemeinschaft vermacht. Aber
seine letzte Lebensgefährtin Marina Jakob nahm das nicht hin. Sie sorgte
dafür, dass ihr nicht nur die Hälfte von Giordanos Büchern gehörte, sondern
alle. Und da mehrere Hamburger Institutionen den Nachlass aus
Kapazitätsgründen nicht nehmen wollten, hat sie in Neuengamme angefragt.
Zudem möchte sie Giordano, derzeit auf dem Kölner Südfriedhof begraben,
umbetten und auf Hamburgs jüdischem Friedhof bestatten lassen. „Giordano
hat dem Notar zwar mündlich mitgeteilt, dass er in Köln bestattet werden
wolle“, sagt Jakob, „aber das hat er gesagt, damit die Beerdigungsgäste es
leichter hätten. Im Herzen ist er Hamburger geblieben.“
Außerdem beträgt die Liegezeit auf dem Kölner Friedhof – wie allgemein
üblich – 30 Jahre, und Marina Jakob vermutet, dass ihr Mit-Erbe das Grab
dann auflösen wird. „Auf einem jüdischen Friedhof“, sagt sie, „bestünde
Giordanos Grab auf ewig.“
17 Feb 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Neuengamme
KZ
SS
Häftlinge
Holocaust
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Literatur
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