| # taz.de -- NS-Gedenkort in Hafen-City teileröffnet: Gedenken trifft Park-Äst… | |
| > Vom Lohsepark deportierten die Nazis rund 8.000 Juden, Sinti und Roma. | |
| > Der Gedenkort ist ein ambivalenter Mix aus Freizeit und Erinnern. | |
| Bild: Hier können Spaziergänger zur einstigen Gleistrasse der Deportationszü… | |
| Hamburg taz | Dieser Park ist arg aufgeräumt: Gemäht der Rasen, gefegt das | |
| Pflaster, adrett grün, grau, zartrot Wege und Mauern. Dazu minimalistisch | |
| gerade oder schräg verlaufende Wege, mal rauf, mal runter. Ein Jogger, ein | |
| Hund, ein Spielplatzkind. | |
| Eine künstliche Naherholungs-Oase ist der Lohseplatz in Hamburgs Hafencity | |
| geworden, einziges Alleinstellungsmerkmal: diese vielen mittelbequemen | |
| Sitzreihen, wie im Wartesaal brav aneinander geleimt. | |
| Wer versiert ist, versteht, dass sie symbolisieren, was der Lohseplatz | |
| einst war: Vorplatz des Hannoverschen Bahnhofs, 1872 als | |
| Gründerzeit-Kopfbahnhof eröffnet, in Sichtweite des heutigen | |
| „Spiegel“-Hochhauses ungefähr. Damals hat er auch „Venloer“ und „Par… | |
| Bahnhof geheißen, weil er Hamburg mit der halben Welt verbinden sollte. | |
| Gereicht hat es dann nur bis nach Hannover und ins Ruhrgebiet, und seit | |
| Eröffnung des Hauptbahnhofs 1906 fungierte er vor allem als Güterbahnhof. | |
| ## Nach 1945 schwieg man | |
| Bedrohlich wurde der Hannoversche Bahnhof zwischen 1940 und 1945, als | |
| Hamburgs Gestapo ihn zum Deportationsort umfunktionierte. Knapp 8.000 | |
| Juden, Sinti und Roma aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen | |
| wurden vom Hannoverschen Bahnhof deportiert – in KZ und Ghettos von Riga, | |
| Minsk, Lódź, Theresienstadt, Auschwitz und Bełżec. Wenige überlebten. | |
| Daran erinnerte lange nichts; nach 1945 schwieg man darüber. Dabei sind die | |
| Deportationen durchaus öffentlich gewesen: Ganz Hamburg sah und wusste, | |
| wenn an der Moorweide Menschen auf Laster geladen oder an der Sternschanze | |
| in die Bahn gezwungen wurden. | |
| Aber den Erhalt der Täterspuren erstrebte man nach 1945 nicht; noch 1952 | |
| sprengte man den beschädigten Hannoverschen Bahnhof und riss in den 1980ern | |
| angrenzende Gebäude ab. Dann wuchs Gras. Lagerhallen entstanden, die Brache | |
| moderte. So lange, bis die ersten Hafencity-Pläne keimten, man im einstigen | |
| Freihafen ein Wohnen-am-Wasser-Nobelviertel plante und der Baugrund begehrt | |
| und teuer wurde. Da begannen sich einzelne mit der Historie des Ortes zu | |
| befassen, die Kulturbehörde brachte 2005 eine erste Informationstafel an, | |
| ließ 2007 Rasen säen. | |
| ## Park-Ästhetik wird nicht gestört | |
| Die Idee: am Lohseplatz einen handlichen Gedenk-Ort zu machen, der mit dem | |
| Hafencity-Bauboom nicht kollidierte. 2007 fanden Historiker allerdings | |
| heraus, dass ein paar Meter weiter sehr wohl authentische Spuren | |
| existierten: die Kante des einstigen Bahnsteigs 2 sowie der Verlauf der | |
| Gleistrasse. | |
| Für ein angemessenes Gedenken würde man also mehr Platz brauchen, vom | |
| Lohseplatz bis zum Bahnsteig, den die Behörde geistesgegenwärtig unter | |
| Denkmalschutz stellen ließ. Zügig beschloss die Bürgerschaft 2008, dort | |
| einen Gedenkort zu schaffen, bis spätestens 2013. | |
| Das hat sich etwas hingezogen. Doch seit Kurzem kann man das einstige | |
| Gleisbett begehen – in einer Vertiefung, was daran liegt, dass die | |
| restliche Hafencity zwecks Hochwasserschutzes erhöht wurde. Die | |
| Park-Ästhetik stört diese „Fuge“ aber nicht. Das Grauen ist nur präsent, | |
| wenn man sich ihm stellt. | |
| Das wird im Frühjahr 2017 anders werden: Dann sollen 20 Tafeln mit Namen | |
| aller Deportierten die historische Bahnsteigkante säumen, für jeden | |
| Transport eine. Wobei die Namen der Juden seit 1965 in einem | |
| Senats-Gedenkbuch stehen, die der Sinti und Roma bis heute nicht. Dafür | |
| steht auf der Lohseplatz-Gedenktafel: „Von Protesten der Hamburger | |
| Bevölkerung gegen die Deportationen ist nichts bekannt.“ | |
| ## Dokumentationszentrum ist geplant | |
| Dies war auch das Fazit der Ausstellung „In den Tod geschickt. Die | |
| Deportation von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945“, die Linde | |
| Apel von der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte 2009 im | |
| Kunsthaus zeigte. Sie wird – neben einer Präsentation des Hamburger | |
| Stolperstein-Projekts – Kern der Dauerausstellung sein, die ab 2019/2020 | |
| den Gedenkort Lohseplatz ergänzt. | |
| Dazu will die Stadt, unterstützt von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ein | |
| Dokumentationszentrum im Erdgeschoss eines noch zu bauenden Bürogebäudes | |
| errichten. Und sobald Gebäude und Ausstellung fertig geplant sind – ein | |
| Architektur- und ein Grafikbüro arbeiten daran – will die Stadt einen | |
| Investor suchen, der das Haus baut. Von ihm wird die Stadt dann vermutlich | |
| ein Dauernutzungsrecht für das Erdgeschoss für mindestens 99 Jahre | |
| erhalten. Dass die Stadt im Gegenzug einen kräftigen Baukostenzuschuss | |
| spendiert, darf man getrost vermuten. | |
| Warum man in Zeiten massiven Büro-Leerstands ausgerechnet ein Bürogebäude | |
| plant, statt das Dokumentationszentrum in ein bestehendes Gebäude zu | |
| setzen? „Im näheren Umkreis des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs gibt es | |
| keine Bestandsgebäude, die barrierefrei 1.000 Quadratmeter | |
| Ausstellungsfläche vorweisen“, sagt Kulturbehördensprecher Enno Isermann. | |
| So viele Quadratmeter müssen es sein, das haben auch die Opferverbände | |
| gefordert. | |
| ## Keine schrillen Banner | |
| Dem Bau eines Einzelgebäudes wiederum stand laut Hafencity | |
| GmbH-Pressesprecherin Susanne Bühler der Masterplan entgegen, der „für die | |
| Hafencity generell eine mehrgeschossige Bebauung vorsieht“. | |
| Doch diese typisch hanseatisch-kaufmännische Lösung, die an die mäßig | |
| gelungene städtische-private „Mischfinanzierung“ der Elbphilharmonie | |
| erinnert, birgt Nachteile: Denn die Nutzung der oberen Stockwerke durch | |
| Firmen solle, sagt Oliver von Wrochem, für den Lohseplatz verantwortlicher | |
| Historiker der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, „mit dem Dokumentationszentrum | |
| vereinbar sein“. | |
| Das ist schwer zu definieren und kann aufgeweicht werden, falls man keine | |
| geeigneten Mieter findet. Dass diese Firmen große, schrille Banner an die | |
| Fassade hängen, will man allerdings verhindern: Man werde festschreiben, | |
| sagt Kulturbehördensprecher Isermann, „dass auf der dem Park zugewandten | |
| Außenfassade nur auf das Dokumentationszentrum hingewiesen werden darf“. | |
| Auch wird der Eingang zu den privaten Büros nicht zum Lohseplatz hin | |
| liegen. | |
| ## Lebendiges Nebeneinander | |
| Finanzieren wird das Dokumentationszentrum die Kulturbehörde, denn die | |
| KZ-Gedenkstätte Neuengamme kann diesen Posten – obwohl künftig | |
| Mitverwalterin des Zentrums – nicht stemmen. Die Betriebskosten will der | |
| Senat in den Doppelhaushalt 2019/2020 einstellen. | |
| Bleibt die Frage, ob sich Gedenkort, Spazierweg und Spielplatz so verquickt | |
| miteinander vertragen. Ja, er finde das gut, sagt von Wrochem. Durch dieses | |
| lebendige Nebeneinander könne man Jugendliche an das Thema heranführen. | |
| Außerdem werde das Dokumentationszentrum in Workshops und Seminaren | |
| aktuelle Bezüge herstellen. „Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus, | |
| Ausgrenzung und Zwangsmigration – das gibt es alles noch heute“, sagt er. | |
| Wichtig sei allerdings, dass man historische und aktuelle Ereignisse nicht | |
| gleichsetze, sondern auch Unterschiede vermittle. | |
| 28 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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