| # taz.de -- Gedenk-Politik: Von der Pflicht, zu erinnern | |
| > Als ein Investor das ehemalige Hamburger Gestapo-Hauptquartier kaufte, | |
| > verpflichtete ihn die Stadt, einen angemessenen Erinnerungsort zu | |
| > schaffen. Aber was heißt angemessen? | |
| Bild: Einkaufsparadies überm Gestapo-Keller: die im Werden begriffenen „Stad… | |
| Hamburg taz | Wenn man den Streit positiv sieht, ist es den HamburgerInnen | |
| nicht gleichgültig, wie in der Stadt mit der Erinnerung an die NS-Zeit | |
| umgegangen wird. Auf den ersten Blick scheinen die Fronten sehr klar: Hier | |
| der private Investor Quantum, der 2009 der Stadt die Stadthöfe am Neuen | |
| Wall abgekauft hat und dort ein nobles Einkaufsparadies mit Läden, | |
| Wohnungen und Büros schaffen will. | |
| Doch der Ort hat eine Vergangenheit: Die Hamburger Gestapo hatte dort ihr | |
| Hauptquartier, in den Kellern wurde verhört und gefoltert. Per Vertrag hat | |
| die Stadt Quantum verpflichtet, angemessen daran zu erinnern. Nun aber, | |
| knapp ein halbes Jahr vor Eröffnung der neuen Stadthöfe, regt sich Kritik | |
| bei BürgerInnen und in der Politik: Es sei eine „Privatisierung der | |
| Gedenkkultur“, sagt Uwe Leps vom neu gegründeten Förderkreis Gedenkort und | |
| Lernstätte Stadthaus, während Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher | |
| der Linksfraktion, „große Skepsis“ hat, dass das angedachte | |
| Erinnerungskonzept tatsächlich angemessen ist. | |
| ## „Komplizierte Situation“ | |
| Enno Isermann dagegen, Sprecher der Kulturbehörde, hat vor allem den | |
| Eindruck, dass der Investor in Sachen Erinnerungsauftrag „sehr eng mit uns | |
| und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme plant“. „Die Situation ist ganz | |
| kompliziert“, fügt Hackbusch noch hinzu, und das trifft es allemal. Denn | |
| die Vorwürfe erweisen sich als teils belegbar, teils aber noch nicht, die | |
| Planungen sind teils bekannt, teils nicht – und die Gratwanderung zwischen | |
| begründeter Kritik und Vorverurteilung schwierig. | |
| Eines lässt sich sicher sagen: Die Stadt hat lange wenig getan, um an die | |
| Geschichte des Hauses zu erinnern. 1981 wurde an der Außenfassade eine | |
| Plakette angebracht, die laut Isermann, der lange dort seinen Arbeitsplatz | |
| hatte, ausgesprochen leicht zu übersehen war. Erst mit dem Verkauf an | |
| Quantum wurde die Idee eines echten Gedenkortes erstmals ernsthaft überlegt | |
| und dann bindend in den Vertrag übernommen. | |
| Damit, so sagt es Oliver von Wrochem von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, | |
| ist Hamburg typisch für das Zögern in Deutschland, sich mit der Geschichte | |
| der NS-Zeit zu befassen – weder Vorreiter also noch besonders spät. Einem | |
| Bericht der Mopo zufolge hat Quantum versucht, sich mit einer Million Euro | |
| von der Verpflichtung zum Gedenkort freizukaufen, sei damit aber an der | |
| Kulturbehörde gescheitert. Deren Sprecher Isermann weiß von einem solchen | |
| Versuch nichts; Quantum selbst kommentiert den Vorwurf nicht. | |
| ## „Zugänglicher Lernort“ | |
| Im Kaufvertrag heißt es, dass Quantum sich verpflichtet, „in Abstimmung mit | |
| dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Lernort mit | |
| unterschiedlichen Inhalten (Ausstellung, Seminare, Veranstaltungen, | |
| Inszenierungen, Dokumentationen) zur Nutzung des Stadthauses in den Jahren | |
| 1933 – 1943 … in geeigneten Räumen auf seine Kosten zu realisieren sowie | |
| dauerhaft den Betrieb und die öffentliche Zugänglichkeit sicher zu | |
| stellen.“ In dieser „Dokumentations- und Gedenkstätte“ soll nach den Pl�… | |
| des Senats eine „Gesamtschau des Widerstandes gegen den | |
| Nationalsozialismus“ entstehen, so heißt es in einer Senatsdrucksache vom | |
| August 2014. | |
| Material dafür lieferte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, das laut | |
| Förderkreis an eine private Ausstellungsfirma weitergegeben wurde, die die | |
| Ausstellung auf den Weg bringen soll. Laut Kulturbehörde beruht das | |
| Ausstellungskonzept auf ihrem Vorschlag. | |
| Tatsächlich macht sich die Skepsis des Förderkreises, dessen Mitglieder | |
| vielfach aus Hamburger Geschichtswerkstätten kommen, vor allem an einem | |
| anderen Punkt fest: Die Ausstellungsfläche soll in der Verantwortung einer | |
| Buchhandlung stehen, die dort dann auch ein Café betreibt. | |
| Uwe Leps vom Förderkreis Gedenkort und Lernstätte Stadthaus glaubt nicht, | |
| dass ein solches Konzept realistisch ist. Die Buchhändlerin, die von der | |
| Kulturbehörde dafür angefragt ist, werde genug damit zu tun haben, ihr | |
| Geschäft zu betreiben. Was an aktiver Gedenkarbeit anfalle, etwa Führungen, | |
| die Betreuung von Besuchern, Schulklassen und Projektgruppen, Seminare zum | |
| Thema Verfolgung und Widerstand während der Naziherrschaft, könne und wolle | |
| sie nicht leisten. Auf Anfrage der taz hin hat sich die Buchhändlerin nicht | |
| geäußert. | |
| In der Kulturbehörde teilt man die Vorbehalte des Förderkreises nicht. Im | |
| Café könne es auch Veranstaltungen von Dritten geben; was die Fachkompetenz | |
| der Buchhändlerin anbelange, so habe sie in der Vergangenheit bereits mit | |
| der Behörde bei Veranstaltungen zum Thema zusammengearbeitet. In den | |
| Räumlichkeiten, so schreibt Isermann später noch ergänzend und etwas | |
| allgemein, seien „verschiedene Veranstaltungsformate geplant“. Und dann | |
| folgt etwas, was möglicherweise dem Zentrum des Konflikts recht nahe kommt: | |
| „Aus Sicht der Behörde ist hierbei eine Mitwirkung der | |
| Geschichtswerkstätten und anderer Partner sehr zu begrüßen.“ | |
| ## Opfer nicht gefragt | |
| Eben das hat Uwe Leps kritisiert: Opferverbände und Geschichtswerkstätten | |
| seien bislang nicht angesprochen worden. Und das ist der einzige Punkt, an | |
| dem die Kulturbehörde ein Versäumnis einräumt: „Es ist richtig, dass es | |
| Gesprächsbedarf gibt“, sagt Enno Isermann. | |
| Für Norbert Hackbusch sind damit nicht alle Fragen geklärt. „Es muss von | |
| außen sichtbar sein, dass es ein Haus der Gestapo war“, fordert er. Bei | |
| Quantum begegnet man dem gelassen: Die Plakette, zu der sich die Stadt | |
| schließlich durchgerungen hatte, hänge nach wie vor an dem Gebäude und | |
| bleibe dort auch erhalten. Ende Januar wird auf Initiative des | |
| Förderkreises dort eine Demo stattfinden, um der Kritik Nachdruck zu | |
| verleihen. | |
| 24 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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