# taz.de -- Streit um Hamburgs Ex-Gestapo-Leitstelle: Ein bisschen Gedenken | |
> Von der Stadthausbrücke aus organisierte die Gestapo die Unterdrückung. | |
> Nun sollen dort Geschäfte, ein Hotel und Eigentumswohnungen geplant – und | |
> ein Mini-Gedenkort. | |
Bild: Hier ging's durch auf dem Weg zum Verhör: der „Seufzergang“. | |
HAMBURG taz | Die Blumensträuße im Eingangsbereich verlieren schon die | |
ersten Blätter. „Die ersten Tage sind vorbei, und ich habe fast | |
ausschließlich positive Rückmeldungen erhalten“, sagt Stephanie Krawehl. | |
Ihre neue Buchhandlung „Lesesaal“ hat frisch eröffnet. | |
Der Ort, an dem sie nun ist, ist kein beliebiger: Das wuchtige Ensemble an | |
der Stadthausbrücke beherbergte während der NS-Zeit die Leitstelle der | |
Gestapo, außerdem die örtliche Kriminalpolizei und schließlich auch | |
Einheiten der Ordnungspolizei. Wer immer in Hamburg, aber auch in Bremen | |
und Schleswig-Holstein gegen das NS-Regime opponierte oder nur dessen | |
verdächtigt wurde, wurde hier verhört, misshandelt und gefoltert. | |
Mancher überlebte die Torturen nicht. Darüber hinaus wurden hier die Arbeit | |
der berüchtigten Polizeibataillone, die im Osten Europas | |
Massenerschießungen durchführten, ebenso koordiniert wie der Einsatz | |
Hamburger Polizisten bei der Annexion Österreichs und des Sudetenlandes | |
Und nun hat Stephanie Krawehl hier ihr Geschäft, nebenan wird die Eröffnung | |
eines hochpreisigen Hotels vorbereitet. Die Eröffnung ihrer Buchhandlung | |
als Intro einer neuen Nutzung der Stadthausbrücke hat in der Hamburger | |
Gedenkszene für viel Wirbel gesorgt. | |
## Angedockt an eine Buchhandlung | |
Und weil Aufregung sich gerne auf eine Person fokussiert, geriet Krawehl | |
kurzzeitig ins Zentrum des Unmuts. Man warf ihr vor, zuerst an ihren | |
geschäftlichen Umsatz zu denken und erst danach an das Leid, das Menschen | |
hier erlitten haben. Die Beschuldigte sagt mit fester Stimme: Sie hat hier | |
ihre Buchhandlung, für die sie die inhaltliche Verantwortung trägt. Für | |
mehr nicht! | |
Und sie sei auch nicht für die Gestaltung der kommenden Ausstellung, die | |
auf einer 70 Quadratmeter großen Fläche, gegenüber ihrer Buchhandlung | |
liegt, verantwortlich. Was keinesfalls heiße, dass sie nicht von der Idee | |
überzeugt sei, einen Gedenk- und Informationsort mit einem Café und eben | |
ihrer Buchhandlung zu verknüpfen – sonst wäre sie hier nicht eingestiegen. | |
„Gedenkkultur darf heute nicht mehr diese tote Erinnerungskultur sein, wo | |
viele Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden hängen“, sagt Krawehl. „Das Erinn… | |
an das Schreckenszenario, das hier zweifellos da war, muss verbunden werden | |
mit dem Leben – sonst läuft die Erinnerungskultur aus.“ | |
Alles begann im Jahr 2009, als die Stadt Hamburg, die hier ihre Baubehörde | |
untergebracht hatte, das demnächst frei werdende Ensemble dem Entwickler | |
Quantum Immobilien AG überantwortete. Vage wurde die Errichtung einer | |
Gedenkstätte vereinbart, ohne dass man eine inhaltliche Konzeption | |
bedachte, ohne dass man die Opferverbände eingebunden hat. Die | |
Kulturbehörde wurde von der am Ende einsetzenden Kritik scheinbar völlig | |
überrascht, versucht aber derzeit tapfer die Scherben zusammenzufegen. | |
Denn mittlerweile ist die für die Gedenkstätte vorgesehene Fläche von | |
ehemals 530 Quadratmetern auf besagte 70 Quadratmeter geschrumpft. Aktuell | |
werden diese anlässlich der Eröffnung von Stephanie Krawehls „Lesesaal“ v… | |
einer Interimsausstellung bespielt, die auf fünf Tischen im Schweinsgalopp | |
die Schreckensgeschichte des Hauses zu erzählen versucht. Die Eröffnung | |
einer Dauerausstellung ist für Mitte 2019 zumindest versprochen. | |
Inhaltlich richten soll diese die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Deren Leiter | |
Detlef Garbe stellt fest: „Wir übernehmen die Zulieferung der Inhalte, | |
arbeiten dazu mit einer Ausstellungsagentur zusammen – aber die Konzeption | |
des Ortes bleibt Sache des Eigentümers.“ Und das ist eben nicht mehr die | |
Stadt, sondern es sind die Ärztlichen Versorgungswerke Sachsen, | |
Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sowie Quantum. | |
## Verhörzellen überbaut | |
Garbe verbirgt eine gewisse Skepsis nicht: „Wenn man über die zentrale | |
Rolle der Stadt-hausbrücke im Verfolgungsgeschehen informieren und auch | |
eine Gesamtschau des politischen Widerstandes jener Zeit bieten möchte – | |
bei allem Respekt vor neuen Medien und QR-Codes, dafür ist die Fläche sehr | |
klein und das ist mein Problem damit.“ | |
Dazu passt, dass das Gebäude selbst über die Jahre quasi | |
erinnerungspolitisch entkernt wurde: Die ehemaligen Arrest- und | |
Verhörzellen etwa sind überbaut worden, wie es im Fachjargon heißt. Einzige | |
bauliche Spur ist der sogenannte Seufzergang: ein niedriger, unterirdischer | |
Gang, durch den die Gefangenen von ihren Zellen zu den Verhörräumen geführt | |
wurden. Und dann steht man da, hört den Hall, spürt die Kälte des Gemäuers | |
und bekommt mit einem mal eine Art Vorstellung, was hier einst geschehen | |
ist. | |
8 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
NS-Architektur | |
NS-Gedenken | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Gestapo | |
Erinnerungskultur | |
Gestapo | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
NS-Gedenken | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gestapo-Geschichte im Einkaufszentrum: 70 Quadratmeter Gedenken | |
In Hamburg wird derzeit heftig gestritten, ob man die Geschichte des | |
einstigen Gestapo-Hauptquartiers neben Kaffeehaustischen erzählen kann. | |
Umgang mit Gestapo-Gedenkort: Hamburger Dilettantismus | |
Von der Hamburger Stadthausbrücke aus organisierte die Gestapo den | |
Nazi-Terror. Statt des geplanten Gedenkortes gibt es nun eine Debatte um | |
eine Buchhändlerin. | |
Gedenk-Politik: Von der Pflicht, zu erinnern | |
Als ein Investor das ehemalige Hamburger Gestapo-Hauptquartier kaufte, | |
verpflichtete ihn die Stadt, einen angemessenen Erinnerungsort zu schaffen. | |
Aber was heißt angemessen? | |
Stadtentwicklung: Hamburg für alle in Edellage | |
Neuer Käufer für die alte Baubehörde an der Stadthausbrücke: Für 54 | |
Millionen Euro will die Quantum AG den denkmalgeschützten Komplex | |
übernehmen. |