# taz.de -- Gestapo-Geschichte im Einkaufszentrum: 70 Quadratmeter Gedenken | |
> In Hamburg wird derzeit heftig gestritten, ob man die Geschichte des | |
> einstigen Gestapo-Hauptquartiers neben Kaffeehaustischen erzählen kann. | |
Bild: Historischer Verbindungsgang im „Geschichtshaus Stadthaus“ | |
HAMBURG taz | „Buchhandlung, Geschichtsort & Café“ steht in schwungvoller | |
Kreideschrift auf einem Aufsteller geschrieben, der sich einem in der | |
Hamburger Innenstadt auf dem breiten Gehweg der Straße „Stadthausbrücke“ … | |
den Weg stellt – also hereinspaziert, lockt doch eine neue Buchhandlung, | |
erst im Mai eröffnet, samt sich anschließendem Café mit einem gut gefüllten | |
Kuchentresen mit Tartelettes und Croissants. | |
Dabei ist es das hier ein besonderer Ort: Nur wenige Meter vom allgemein | |
bekannten Jungfernstieg entfernt war in dem wuchtigen Gebäudeensemble, das | |
im Erdgeschoss nun zum Bücherblättern und Kaffeetrinken einlädt, von 1933 | |
bis 1943 das Hauptquartier der Hamburger Gestapo untergebracht, deren | |
Machtbereich bis weit nach Schleswig-Holstein und westwärts nach Bremen und | |
in die Wesermarsch reichte. | |
Hier gab es praktischerweise gleich jede Menge Zellen, in die man die | |
Menschen nachts einsperrte, um sie tagsüber in den Verhörräumen zu | |
misshandeln und zu foltern, darunter anfangs einige Abgeordneten von SPD | |
und KPD aus dem benachbarten Hamburger Rathaus. Hier wurden Widerständler | |
aller politischen Fraktionen, Swing-Jugendliche, sogenannte Bibelforscher, | |
angebliche Asoziale sowie Homosexuelle vorgeführt; hier wurden die | |
Verfolgung und Deportation der norddeutschen Roma und Sinti organisiert; | |
hier stellte man in den Schreibstuben nicht zuletzt die Hamburger, Bremer | |
und Lübecker Polizeibataillone zusammen, die in den baltischen Ländern, | |
Polen und der Sowjetunion Massenerschießungen durchführten, bevor sie | |
zurückkehrten und von nichts mehr etwas wussten. | |
Und nun soll man auf einer neu eingerichteten Etage, in der es nach Holz | |
riecht, in leichter Unterhaltungsliteratur blättern können und hernach | |
entspannt Kaffee trinken? Geschichtsinitiativen und die Angehörigen | |
ehemaliger Opfer – in der Regel sind es die Enkel und Enkelinnen – sind | |
darüber hell entsetzt und sprechen dem neuen Ort in seiner jetzigen Fassung | |
jede Glaubwürdigkeit und erst recht jede Sensibilität ab. | |
„Essen oder lustige Bücher lesen geht gar nicht an diesem Ort“, sagt etwa | |
Bärbel Klein. Ihr Großvater Carl Jonny Hagen wurde nach Denunziation durch | |
Nachbarn 1935 festgenommen, kam ins Stadthaus, wurde dort furchtbar | |
verprügelt und anschließend für Jahre in eines der Emslandlager verbracht. | |
Von einem „konzeptionellen Dreiklang“ spricht dagegen die Hamburger | |
Kulturbehörde und argumentiert mit einem „lebendigen Erinnerungsort“. | |
Damit setzt sich fort, was begann, als sich nach dem Ende der NS-Diktatur | |
niemand ernsthaft damit beschäftigte, wie man erinnerungspolitisch mit | |
einem zentralen Hamburger Ort umgehen könnte, in dem das Blut buchstäblich | |
an den Wänden klebte. Und das in einer Großstadt, die jahrzehntelang von | |
den Sozialdemokraten regiert wurde. Es waren doch in großer Zahl ihre Leute | |
gewesen, die hier drangsaliert worden waren. | |
Stattdessen wurde nach Abzug der britischen Verwaltung in dem anfangs | |
stadtbekannten und vor allem stadteigenen Schreckensgebäude die Hamburger | |
Baubehörde untergebracht, fand der Fuhrpark der Senatoren ausreichend | |
Platz; den Rest erledigte der Vergessenswillen der Wirtschaftswunderära. | |
Auch die großen bundesrepublikanischen Erinnerungsschübe der 1970er und | |
80er Jahre ließ man am Stadthaus vorbeiziehen. Erst eine Initiative von | |
gewerkschaftlich organisierten Angestellten sorgte Mitte der 1980er Jahre | |
dafür, dass wenigstens eine Tafel an der Fassade die Geschichte des Hauses | |
nicht länger verschwieg. | |
Es handelte schließlich 2009 der zwischenzeitliche CDU-Senat Ole von Beusts | |
auf seine Weise: Er verkaufte den Gebäudekomplex für 54 Millionen Euro an | |
einen sogenannten Entwickler, der diesen sanieren, umbauen und neu nutzen | |
würde, und privatisierte das mögliche Gedenken gleich mit. Vereinbart wurde | |
damals mit dem Unternehmen Quantum AG, dass auch ein „Lernort mit | |
unterschiedlichen Inhalten“ eingerichtet werden soll, wie es in einer | |
Senatsdrucksache heißt. Benannt wurden als „Inhalte“: Ausstellungen, | |
Seminare, Veranstaltungen, Inszenierungen und Dokumentationen. | |
## Von anvisierten 700 Quadratmetern blieben 70 übrig | |
Mittlerweile sind der Um- und Ausbau erfolgt, man hat sich für das neu | |
ausgestaltete Ensemble den Slogan „Stadthöfe – Hommage an das Leben“ | |
ausgedacht, die Ortspresse schwärmt ob der gebotenen Mondänität aus altem | |
Stein und neuem Glas, ein schickes 4-Sterne-Hotel ist eingezogen, das auf | |
den Namen „Tortue“ hört – und von den anfangs anvisierten 700 Quadratmet… | |
für den Lernort, der sich über das Unter- und Erdgeschoss hätten erstrecken | |
sollen, sind ganze 70 Quadratmeter übrig geblieben – gegenüber von | |
Buchhandlung und Café. Zu finden sind dort auf einigen provisorischen | |
Tischen lediglich Auszüge einer ersten Ausstellung über die Rolle der | |
Hamburger Polizei während der NS-Zeit aus dem Jahre 2012, die seinerzeit | |
das gesamte Untergeschoss des Hamburger Rathauses füllte. | |
Einführend steht dazu ein wuchtiger Schreibtisch, schräg angebracht im | |
Fenster, was wohl symbolisieren soll, dass hier die Menschlichkeit keinen | |
Halt mehr fand und alle Gewissheiten ins Rutschen kamen; ein Hinweisschild | |
erzählt ergänzend, dass man nicht genau wüsste, wer an diesem Schreibtisch | |
gesessen hat. | |
Wo man schon bei Tischen ist: Ein runder Tisch lädt als „runder Tisch“ dazu | |
ein, in einem Buch seine Eindrücke einzutragen, wobei sich derzeit wütende | |
Empörung und beschwichtigende Kommentare die Waage halten. Über allem läuft | |
eine Projektion, die in knappen Sätzen verkündet, dass alles erst im Werden | |
sei. Denn die eigentliche Ausstellung kommt noch: im nächsten Jahr, auf | |
ebenjenen 70 Quadratmetern. | |
Ausrichten soll diese Ausstellung die städtische Gedenkstätte Neuengamme, | |
deren Leiter keinen Hehl daraus macht, dass er mit der ihm übertragenen | |
Aufgabe hadert: „Wenn man über die zentrale Rolle der Stadthausbrücke im | |
Verfolgungsgeschehen informieren und auch eine Gesamtschau des politischen | |
Widerstands jener Zeit bieten möchte – bei allem Respekt vor neuen Medien, | |
dafür ist die Fläche sehr klein“, so Detlef Garbe. | |
„Uns ist die Kritik bekannt“, heißt es knapp vonseiten der Hamburger | |
Kulturbehörde. Die weiterhin guter Dinge ist, dass am Ende alles gut werden | |
wird. Bleibt noch der Beirat, den Geschichtsinitiativen, | |
Angehörigenverbände und Historiker der Kulturbehörde zuletzt abgetrotzt | |
haben – auf die Idee, selbst einen solchen einzurichten, um sich fachlich | |
beraten zu lassen, war man nicht gekommen. Und [1][der nicht müde wird, | |
mehr Platz zu fordern], was man ihm entschieden verwehrt. Am Ende könnte es | |
auf eine juristische Prüfung der damaligen Vereinbarung hinauslaufen. | |
30 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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