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# taz.de -- Wolfgang Kopitzsch über Gestapo-Gedenkort: „Uns nicht zu beteili…
> Der Historiker und ehemalige Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch
> kritisiert das Konzept, mit dem in Hamburg an die norddeutsche
> Gestapo-Zentrale erinnert werden soll.
Bild: Ausstellungsstücke zum „Geschichtsort Stadthaus“ in den Räumen der …
taz: Herr Kopitzsch, was sagen Sie zum Umgang Hamburgs mit dem Stadthaus,
dem Ort, an dem die Gestapo saß?
Wolfgang Kopitzsch: Die Verfolgtenorganisationen, also die Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes und wir, der Arbeitskreis ehemals verfolgter und
inhaftierter Sozialdemokraten, deren Bundes- und Landesvorsitzender ich
bin, haben erst im November 2017 erfahren, wie der Gedenkort Stadthaus
aussehen soll. Allein, uns nicht an den Plänen zu beteiligen und mit uns
kein Wort zu reden, finde ich schon heftig.
Was für eine Rolle hat das Stadthaus gespielt?
Teile des Hauses gab es schon zu Zeiten der Sozialistengesetze. Danach,
also ab 1890, hat es eine intensive Bekämpfung der Sozialdemokratie und der
Arbeiterbewegung gegeben. Es gab eine politische Polizei, die sehr
sorgfältig und aufwendig kontrolliert hat – das ist vom Stadthaus aus
geschehen. Dann setzt sich das in der Weimarer Republik in Teilen fort, bis
mit deren Ende ab 1933 die Staatspolizei entsteht und dann die Geheime
Staatspolizei. Dazu kommt der Komplex der Sicherheitspolizei, wo es darum
geht, dass die Kriminalpolizei mit der Gestapo zu einem einheitlichen
Körper wird, vor allem personell. Man kann anhand des Stadthauses also
erzählen, wie sich ein Überwachungs- und Terrorstaat seinen hochkomplexen
Verwaltungsapparat schafft. Und das soll nun auf etwa 50 Quadratmetern
geschehen.
Wie weit reichte der Einfluss des Stadthauses?
Das Stadthaus war nicht nur für Hamburg zuständig, sondern für den
Wehrkreis X, also Schleswig-Holstein, einschließlich Lübeck; dazu kommen
weite Teile Nordniedersachsens, so der Raum zwischen Elbe und Weser, dann
Bremen und große Teile des Gaus Weser-Ems. Große Teile Norddeutschlands
wurden also vom Stadthaus aus mitverwaltet, kontrolliert und überwacht.
Warum ist so viele Jahre in Sachen Stadthaus nichts passiert?
Das Stadthaus stand schon 1948 im Fokus – damals haben sich viele
Überlebende an den damaligen Bausenator Paul Nevermann gewandt, der hat das
Anliegen in den Senat eingebracht, aber dort ist es nicht weiter intensiv
behandelt worden. Und so ist das immer wieder gewesen: Der Gebäudekomplex,
in dem ja die Hamburger Baubehörde unterkam, kam Ende der 1970er-Jahre
wieder in die Diskussion: Es gab damals die verdienstvolle Initiative der
Gewerkschaft ÖTV, die zum Teil auf eigene Kosten wenigstens für eine
Gedenktafel gesorgt hat. Es gab immer wieder Diskussionen auch innerhalb
der Behörde selbst: „Müsste man da nicht mal was machen?“
Vor fünf Jahren ist die Baubehörde dann aus dem Gebäude ausgezogen.
Jutta Blankau als damals zuständige Senatorin hat 2013 beim Umzug der
Behörde nach Wilhelmsburg eine Veranstaltung durchgeführt: Es kamen über
300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – und die meisten wussten nicht in
welchem Gebäude sie gearbeitet hatten und waren sehr überrascht. Als
Zeitzeuge sprach Jens Peter Burmester, Sohn von Carl Burmester, Kommunist,
der im Stadthaus 1934 zu Tode gekommen ist. Ich war damals Polizeipräsident
und habe die historischen Hintergründe erläutert. Es war also immer wieder
im Bewusstsein – aber ist offensichtlich immer wieder verdrängt worden.
Und was ist mit den neuen Eigentümern?
Erkennbar hat sich die Quantum Immobilien AG, der Projektentwickler für das
heutige Stadthaus, nicht für diese Dimension interessiert. Was ein schweres
Versäumnis ist – denn wenn ich so ein Riesengebäude kaufe, muss ich erstens
wissen: Was will ich damit machen? Und zweitens: Was war denn hier?
Sie sind in die Geschichte auch persönlich involviert, oder?
Ich kenne die Thematik von Kindesbeinen an. Unser Vater war Jahrgang 1906,
stammte aus einer alten sozialdemokratischen Familie in Thüringen. Er ist
mit 18 in die SPD eingetreten, war aktiv im Reichsbanner, war dann von 1927
an Polizist, seit 1931 in Altona. Er kannte eine ganze Menge Leute aus der
Arbeiterbewegung, die Freundschaften haben sich nach dem Krieg fortgesetzt.
Und so habe ich noch Max Brauer kennengelernt, Paul Nevermann, Herbert
Weichmann und viele andere, die im Widerstand waren. Ich bin mit ihnen
großgeworden und fühle mich ihnen verpflichtet.
Wie hat ihr Vater die Nazizeit überstanden?
Die Nazis boten ihm an, er könne unter ihnen Polizei-Karriere machen – das
hat er abgelehnt. Mein Großvater mütterlicherseits, auch er ein alter
Sozialdemokrat, vermutlich auch Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat 1918
in Wilhelmshaven, verschaffte ihm dann 1938 eine Arbeit als Schlosser im
Torpedobau für die Kriegsmarine.
Wie kam Ihr Vater zurück nach Hamburg?
Er war bei der Befreiung wieder in Thüringen, wurde Polizist, man kannte
ihn ja als Sozialdemokraten. Er war zuletzt Oberleutnant der Volkspolizei,
aber ein Gegner der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED und hat das
zu laut gesagt. Er ist 1948 vom Dienst enthoben worden, war in Gefahr, als
angeblicher „Schumacher-Agent“ verhaftet zu werden – aber Kollegen bei der
Grenzpolizei halfen ihm bei der Flucht über die grüne Grenze. 1949 hat er
dann in Hamburg wieder bei der Polizei angefangen.
Sie selbst wollten nicht Polizist werden?
Als Brillenträger war ich denkbar ungeeignet, auch mein Rücken war nicht so
ganz in Ordnung. Ich habe Lehramt studiert und ging 1978 nach dem Examen
direkt in die Arbeitslosigkeit, denn damals wurden keine Referendare
eingestellt. Ich habe dann zuerst über Bildungsgeschichte geforscht, bekam
bald das Angebot an der Polizeischule zu unterrichten. Und da hatte ich ja
den richtigen Hintergrund.
Sie haben auch über den Altonaer „Blutsonntag“ geforscht …
Das war das Thema einer meiner Staatsexamensarbeiten. Der Verein für
Hamburgische Geschichte wollte die damals sogleich veröffentlichen, aber
der damalige Leiter der Forschungsstelle für die Geschichte des
Nationalsozialismus in Hamburg, Werner Jochmann, hat das verhindert. Er
meinte, da würde die Sozialdemokratie zu kritisch gesehen.
Im Stadthaus wurde auch das Wüten der Hamburger Polizei-Bataillone in
Osteuropa koordiniert – auch dazu haben Sie geforscht.
Nehmen wir allein das Bataillon 101: Die haben mindestens 7.500 jüdische
Menschen erschossen, oft von Angesicht zu Angesicht. Dazu kommen mindestens
30.000 Fälle von Beihilfe zum Mord. Und dann war das 101er an mindestens
50.000 Deportationen in verschiedene Vernichtungslager beteiligt. Und wir
haben das Bataillon 102, wir haben 103, 104 und 305, dazu die Bremer
Polizeibataillone 105 und 303 und das Lübecker Polizeibataillon 307 mit
zusammen hunderttausenden von Opfern. Und da heißt es nun von den
Verantwortlichen für den angeblichen Gedenkort Stadthaus: Wir haben acht
Thementische, das stellen wir auf einem der Tische dar; da sind dann dafür
1.000 Zeichen vorgesehen, das ist eine Viertelseite Text und zwei, drei
Bilder. Und wenn ganz viel Geld da sei, könne man ja noch einen Computer
hinstellen …
Im Stadthaus gab es auch Haft- und Verhörzellen. Sie beharren auf die
Authentizität des Ortes?
Man darf nicht über die Orte hinweggehen. Ich habe mich neulich mit Roland
Jahn unterhalten, dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Er sagte
mir: „Die Stasi-Akten ins Bundesarchiv, okay. Aber was machen wir mit den
Objekten, auch den Räumen, wo das damals stattgefunden hat?“ Jahn sagt
völlig zu Recht, dass es die Orte sind, die wir bewahren müssen. Denn die
Leute wollen diese Orte aufsuchen, sie wollen sie sehen, um Geschichte zu
begreifen.
Das Stadthaus heißt jetzt „Stadthöfe“ und beherbergt schicke Geschäft und
ein Hotel.
Ich weiß, dass man dort sagt: „Der Protest dagegen wird sich schon
totlaufen.“
Aus dem Umfeld der Betreiber heißt es: „Ach, wir kriegen das schon hin, wir
müssen nur den Kopitzsch wieder einfangen.“
Ähnliche Aussagen habe ich auch von „Parteifreunden“ schon gehört. Kriegen
sie nicht hin, das wissen sie auch ganz genau. Und ich bin ja bei weitem
nicht der einzige, der Kritik äußert.
4 Jan 2019
## AUTOREN
Frank Keil
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