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# taz.de -- Sturm auf Stasi-Zentrale vor 29 Jahren: Politmärchen und Verschwö…
> Bürgerkomitees! Unser Autor Christian Booß über die wahren Beteiligten
> von damals – und was Frösche damit zu tun haben.
Bild: Was von der Stasi übrig blieb: Akten, Akten, Akten – in den Räumen de…
Manche Ereignisse eignen sich offenbar besonders für Legendenbildungen. Der
Tag, an dem die Stasi-Zentrale von Demonstranten gestürmt wurde – am 15.
Januar 1990 – ist so ein Datum. Bekanntermaßen strömten am Nachmittag
Tausende Berliner Demonstranten vor die Tore der Lichtenberger
Ruschestraße. Darunter Roland Jahn, jahrelang erzwungenermaßen DDR-Bürger
im Westberliner Exil, nun dank Revolution auf Politikexkursion in
Ostberlin. Er erlebte wie Tausende andere, wie auf einmal das Tor aufging
und die Leute hineinstürmten. Wie von Geisterhand, heißt es teilweise heute
noch.
Diese Wahrnehmung ähnelt etwas dem berühmten Frosch im Brunnen, der die
helle Scheibe über sich für die Welt hält. Hätte der Frosch, um die Sache
modern zu adaptieren, ein Handy und könnte sich von anderen Artgenossen
erzählen lassen, wie es draußen aussieht, er würde zu anderen Schlüssen
kommen. Genau darin lag schon damals das Problem: Die Demonstranten hatten
keine Handys, selbst die Organisatoren wussten nicht genau, was drinnen auf
dem Stasi-Gelände vor sich ging.
Dort war am frühen Nachmittag die Bewachung des Ministeriums in die Hände
der Volkspolizei und einer Gruppe von Bürgerkomitee-Mitgliedern übergeben
worden. Diese waren aus den DDR-Bezirken nach Berlin gekommen. Die Leute
waren es leid, dass sie seit Dezember die Stasi lahmgelegt hatten, das
Ministerium aber weiterarbeitete.
Angesichts von Massenprotesten im ganzen Land, abtrünniger
Koalitionspartner, kritischer Fragen der Opposition am runden Tisch und
einer drohenden Demonstration hatte die Regierung Modrow kapituliert: Es
sollte keine neuen Geheimdienste vor den Wahlen mehr geben, die Reste des
MfS in Sicherheitspartnerschaft mit den neuen Gruppierungen aufgelöst
werden.
## Um Panik zu vermeiden
So standen denn auch Vertreter des Bürgerkomitees Suhl und Leipzig mit der
Volkspolizei am Eingang Ruschestraße, als die große Zahl der Demonstranten
nach 17 Uhr gegen das Tor drängten. Um Panik zu vermeiden, beschlossen
Bürgerkomitee-Mitglieder, die Demonstranten reinzulassen. Und ließen
deswegen einen Demonstranten, der über das Tor gesprungen war, um es zu
öffnen, gewähren. Die Polizei folgte ihrer Empfehlung – so ging das Tor
auf.
Diese Fakten sind lange bekannt. Nur dass manche der Frösche von einst es
bis heute nicht wahrhaben wollen, dass nicht die Demonstranten, zumindest
nicht sie alleine, die Stasi zu Fall brachten. Ein Historiker verbreitet
bis heute die Mär vom Sturm der Demonstranten, ein ehemaliger
Jungbürgerrechtler schrieb diese Legende erst kürzlich wieder für eine
senatsoffiziöse Publikation auf. Und auch Roland Jahn, heute Chef der
Stasi-Unterlagen-Behörde, unterschlägt in seiner jüngsten
Veranstaltungseinladung zum Thema, dass die Staatsmacht schon Stunden vor
der Demo kapituliert hatte.
Offenbar ist es ihnen peinlich, dass Aktive aus der Provinz und nicht die
Berliner Oppositionsszene dem Stasi-Drachen den Kopf abschlugen.
Zum Autor: Dr. Christian Booß, Historiker und Journalist, 2001–2006
Pressesprecher der Stasi-Unterlagenbehörde, dort bis 2018
Forschungsprojektleiter; seit 2016 Vorsitzender des Aufarbeitungsvereins
Bürgerkomitee 15. Januar e. V.
15 Jan 2019
## AUTOREN
Christian Booß
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