# taz.de -- Debatte Entlassener Gedenkstätten-Leiter: Krieg der DDR-Aufklärer | |
> Der Zoff um die Entlassung von Knabe, der die Stasiopfer-Gedenkstätte | |
> Berlin leitete, ist nicht nur eine Personalie. Es geht um die | |
> DDR-Aufarbeitung. | |
Bild: Die Gedenkstättenarbeit zum Yad Vashem des Ostens hochstilisiert: Hubert… | |
BERLIN taz | Ein Aufsichtsgremium hat kein Vertrauen mehr zu seinem | |
Vertreter vor Ort und trennt sich von ihm. Ein alltäglicher Vorgang. | |
Normalerweise geht es dann nur noch um die Höhe der Abfindung. Anders bei | |
der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Seit zweieinhalb Monaten vergeht fast | |
kein Tag, an dem nicht [1][eine Pro- oder Kontra-Erklärung durch die | |
sozialen Medien zirkuliert] und ihren Nachhall in der Presse findet. Der | |
Debatte haftet etwas irritierend Maßloses an. Es geht um mehr als die | |
Ablösung des Spitzenpersonals einer großen Gedenkstätte. Es geht, eine | |
Generation nach der friedlichen Revolution, um die generelle Ausrichtung | |
der Aufarbeitung der DDR-Dikatur. | |
Der Anlass des vom Aufsichtsgremium erzwungenen Personalwechsels hat | |
scheinbar nichts damit zu tun: sexistischer Umgang mit jungen | |
Mitarbeiterinnen des Vizedirektors, zu große Nachsicht des | |
Gedenkstätten-Direktors Hubertus Knabe. | |
Das Pro-Knabe-Lager sieht darin eine Intrige des Berliner Linksparteichefs | |
Lederer, zugleich Kultursenator, im Bunde mit Konservativen aus dem | |
Bundeskulturministerium und anderen. Dieses Meinungslager speist sich aus | |
eher konservativen ehemaligen Diktaturgeschädigten, die ihre Leiden bis | |
heute zu wenig materiell und moralisch anerkannt sehen. Sie sahen | |
Hohenschönhausen und seinen Direktor, der ihre Positionen zu seiner Mission | |
machte, als Leuchtturm. Manche aus diesem Lager sympathisieren inzwischen | |
ganz offen mit rechtspopulistischen Positionen. Sie haben insofern recht, | |
als im linken Spektrum auch einige Sektkorken geknallt haben dürften, als | |
der „Stasi-Jäger“ Knabe strauchelte. Aber reicht das als Beleg für eine | |
Verschwörung? | |
Es befremdet, dass die VerteidigerInnen Knabes sein unbestreitbares | |
Engagement herausstellen, jedoch mit keinem Wort auch nur erwägen, dass an | |
den Sexismusvorwürfen junger Gedenkstättenmitarbeiterinnen etwas dran sein | |
könnte. Auch fehlt manchem aus diesem Lager offenbar ein verbales | |
Instrumentarium, um heutige Verhältnisse angemessen kritisieren zu können. | |
Stattdessen greifen sie auf Begriffe zurück, mit denen sie früher die | |
Diktatur bekämpften. Grobschlächtig werden politische Entscheidungen oder | |
Rechtsauffassungen, die sie nicht teilen, zu „diktatorischen“ Praktiken | |
oder gar zur „Zersetzung“ hochstilisiert. | |
## Knabes Medienmächtigkeit | |
Es gibt auch ein „Anti-Knabe-Lager“, das die Bastion Hohenschönhausen schon | |
lange schleifen will. Diesen Leuten hat Knabe zu politisch agiert, wie etwa | |
bei seiner heftigen Attacke gegen die drohende Berufung von Andrej Holm zum | |
Staatssekretär in Berlin. Aber wäre Berlin besser bedient, wenn jemand, der | |
die Öffentlichkeit und seinen Arbeitgeber mehrfach über seine | |
Stasi-Biografie getäuscht hat, Staatssekretär geworden wäre? Knabes | |
Medienmächtigkeit war ohnehin nur die Kehrseite der Zurückhaltung derer, | |
die ihre Meinung nur am Biertisch, nicht aber in der Öffentlichkeit | |
äußerten. Problematisch zu sehen ist sicher, dass Knabe seine | |
Gedenkstättenarbeit zum Yad Vashem des Ostens hochstilisierte. Einem | |
Stasi-Zersetzungs-Opfer mag man derartige Denkprovokationen durchgehen | |
lassen, einem durchtrainierten Politologen aus dem Westen nicht. | |
Aber auch im „Antilager“ werden Popanze aufgebaut, um aus dem Konflikt | |
Gewinne in den Verteilungskämpfen der hochsubventionierten | |
Aufarbeitungslandschaft zu erzielen. Suggeriert wird, in der Gedenkstätte | |
würden Jugendliche ideologisch „überwältigt“, zu diesem Zweck sogar in | |
Zellen gesperrt. Olle Kamellen: So etwas gab es unbestritten in | |
Einzelfällen, offizielles Programm ist es nicht. Die vielen | |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Zeitzeugen, die jährlich für fast eine | |
halbe Million Besucher in der Gedenkstätten einen guten Job machen, werden | |
damit pauschal abqualifiziert. | |
Ein Popanz ist auch, die Aufarbeitung habe bisher nur verstrickte Personen | |
öffentlich vorgeführt. Von der Rehabilitierung politisch Verfolgter bis hin | |
zur psychosozialen Beratung und politischen Bildung: Aufarbeitung ist | |
gerade keine Anleitung für einen Stellungskrieg in ewig alten | |
Schützengräben. Im Gegenteil soll sie im Idealfall helfen, dass die damals | |
Involvierten und die Gesellschaft als Ganzes „gesunden“. | |
## In der Opferrolle fixiert | |
Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Aufarbeitungs-Nadelstiche, auch die | |
aus Hohenschönhausen, einen neuen Typ jüngerer Politiker an die Spitze der | |
Berliner Linkspartei gebracht haben. Die Selbsterneuerungskräfte der | |
SED-PDS allein hätten dazu nicht ausgereicht. Diesen Erfolg aber will das | |
„Pro Hohenschönhausen“-Lager nicht sehen. Es suggeriert weiter, dass die | |
alten Mächte heute noch viel Einfluss hätten. Die Stasi-Opfer werden damit | |
tragischerweise in ihrer Opferrolle fixiert, obwohl sie die eigentlichen | |
Sieger der Geschichte sind. | |
Bisher sind die Zwischentöne in dieser Debatte eher leise. Ehemalige | |
Bürgerrechtler befürchten inzwischen in einer gemeinsamen Erklärung, dass | |
durch eine Fokussierung des Streites auf die Person des | |
Gedenkstättendirektors die Aufarbeitung selbst Schaden nehmen könnte. | |
Im September hatte der Stiftungsrat dem Direktor zum Frühjahr 2019 | |
gekündigt und ihn bis dahin freigestellt. Daraufhin war Knabe vor das | |
Arbeitsgericht gezogen und [2][hatte durchgesetzt, zwischenzeitlich wieder | |
zur Arbeit kommen zu dürfen]. Der Stiftungsrat wiederum hatte dagegen | |
Beschwerde eingelegt und Knabe mit sofortiger Wirkung als Vorstand | |
abberufen. Mitte Dezember schlossen dann beide Seiten einen Vergleich, der | |
die laufenden Rechtsstreitigkeiten beendete. Offen bleibt, ob das zu einer | |
Befriedung und einem wirklichen Diskurs führen wird. | |
Die Aufarbeitung braucht, 30 Jahre nach dem Ende der SED-Herrschaft, eine | |
Neutarierung, aber auch ein Hohenschönhausen. Das ist ein sensibler | |
Prozess, etwas für Florette, nicht für Dreschflegel. | |
3 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Booß | |
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