# taz.de -- Tag der offenen Tür in Stasi-Gedenkstätte: Flori und der böse Wo… | |
> Wolf Biermann singt in Hohenschönhausen. Das passt Florian Havemann, Sohn | |
> eines bekannten DDR-Dissidenten, gar nicht. | |
Bild: Nimmt nie ein Blatt vor dem Mund: Wolf Biermann | |
Christa Wolfs erste Worte im Roman „Kindheitsmuster“ sind ein Fluch, zuerst | |
gesprochen von William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist | |
nicht einmal vergangen.“ Ein Fluch, den Wolf in sich und ihrer Generation | |
erkannte: Kriegskinder, bis ins Mark von den Verbrechen der | |
Elterngeneration geprägt. Ein Fluch der aber auch eine, gerne übersehene, | |
auf der nächsten Generation lastende bittere Prophezeiung war. | |
Die Kinder der DDR können ein trauriges Lied davon singen – oder ein böses. | |
Wolf Biermann der sich nie lange bitten ließ, Lumpen und jene, die er dafür | |
hielt, als solche zu bezeichnen, hatte entsprechend zügig die Hand in den | |
Saiten um auszuteilen wie es nur der Sänger kann: Die Gitarre eine Knarre, | |
die Worte Patronen. | |
„Der ausgeflippte Have / | |
Hier war er ein dreister Sklave / | |
dort macht er den linken Clown / | |
Wer abhaut aus dem Osten / | |
Der ist auf unsere Kosten / | |
von sich selber abgehaun.“ | |
Im Jahr 1976, Florian Havemann, Sohn des Chef-Dissidenten der DDR, des | |
Physikers Robert Havemann, war gerade einmal 24 Jahre alt und seit fünf | |
Jahren im Westen, als Biermann ihn auf einem Konzert mit diesen Worten | |
grüßte. Der Auftritt in Köln war der letzte vor der Ausbürgerung des | |
Liedermachers, der mehr als einmal kolportierte, „Flori Havekind“ hätte nur | |
mithilfe der Stasi das Arbeiter- und Bauernparadies verlassen können. Nicht | |
grad der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. | |
## Ganz ohne falsche Bescheidenheit | |
Der stolze „Drachentöter“ (Biermann über Biermann) wurde darauf zum | |
klampfenden Faktotum der antikommunistischen Nationale, herausgeputzt | |
(nicht zu sehr, selbstredend) und ausgestellt immer dann, wenn es den | |
Kronzeugen, einen wahren Kommunisten nämlich brauchte, um den | |
realexistierenden Sozialismus als das verlogene Dreckstück anzuprangern, | |
das er zweifellos war. Biermanns Ich war eines, das ganz ohne falsche | |
Bescheidenheit seinen Applaus annehmen konnte. Havemann derweil folgte | |
nicht dem Vater in die Naturwissenschaften, viel näher an Biermann | |
entschied er sich fürs kreative Fach: Theater. | |
Als die Zumutung DDR endlich das Zeitliche gesegnet hatte, waren Biermanns | |
Verdienste im Dienste des Antagonisten von hinreichendem Umfang, um nicht | |
zum gänzlich alten Eisen gelegt zu werden, für das ihn der inzwischen | |
gesammelte Rost im Schnauzbart sicher qualifiziert hätte. Havemanns | |
linkslastige Ideentreue machten aus dem Schriftsteller kurz vor der | |
Jahrtausendwende einen Laienrichter am brandenburgischen Verfassungsgericht | |
– auf dem Ticket der PDS, die später in der Linken aufgehen sollte. | |
Und dann kamen die Abrechnungen. Diesmal legte Flori vor. „Havemann“ hieß | |
der fette Schinken, in dem er 2007 mit dem Vater, dem Großvater, Biermann, | |
ja der ganzen Welt reinen Tisch machte. Zumindest so lange, bis der Verlag | |
eine ungebührlich verleumdete Protagonistin entschädigen und im Buch | |
kräftig schwärzen musste. Biermann ließ Havemanns Behauptung, er hätte ein | |
Verhältnis mit Margot Honecker gehabt, in der Welt. Kaum einer hatte sein | |
Genital näher an der Macht. Tausendsassa, der. | |
Ein Jahrzehnt später folgte die Biermann-Autobiografie: „Warte nicht auf | |
bessre Zeiten!“. Darin wiederholt Biermann die Flucht-Kolportage, gewiss | |
vom Verlagsjustiziar geprüft und als Meinungsäußerung nicht zwingend | |
faktisch zu belegen: „Florian Havemann floh 1971 auf – so schätzen wir es | |
ein – dubiosen MfS-Wegen in den Westen“. „So schätzen wir es ein“ – … | |
Worten kann er ja, der Biermann. | |
## B. singt einfach weiter | |
Dieser Satz nun stößt dem Havemann kräftig auf. Schließlich hat ihm die | |
vormalige Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, | |
bescheinigt, dass es so nicht war. Die Behauptung Biermanns aber steht im | |
Raum und will den partout nicht verlassen. Auch B. selber bleibt und singt | |
einfach weiter, zum Beispiel am 7. Juli in der [1][Gedenkstätte | |
Hohenschönhausen] beim [2][Tag der offenen Tür] (schön ironischer Titel für | |
ein Event im früheren Stasiknast). | |
Nun ist es aber so, dass der Liedermacher zwar durchaus sein Fett | |
wegbekommen hat von den Genossen, gesessen in Hohenschönhausen hat er aber | |
nicht. Havemann schon. 1968. Der junge Florian hatte seinen Unmut über den | |
sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei kundgetan und teuer für den | |
kritischen Ausbruch bezahlt. Nun beklagt er sich, dass Biermann in „seiner“ | |
Gedenkstätte Programm mache, während der gleichzeitig Ehrabschneiderisches | |
über einen früheren Häftling verbreite. | |
Havemanns Ärger kommt nicht von ungefähr, ist viele Jahre alt. Und von | |
Biermann kann man ja sowieso halten, was man will. Eines aber ist gewiss: | |
Kein Stasi-Offizier hätte sich das ausdenken können. Das machen die alles | |
selber, in Freiheit noch dazu. | |
Der zweite Satz in Christa Wolfs Kindheitsmustern sagt über das Vergangene: | |
„Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd“. Frieden kann so kein | |
Mensch je finden, denn der Fremde wird er selbst. | |
6 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stiftung-hsh.de/ | |
[2] https://www.stiftung-hsh.de/veranstaltungen/vorschau/konzert-von-wolf-bierm… | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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