| # taz.de -- Kein gewöhnliches KPD-Mitglied: Die neuen Akten des Gestapo-Verrä… | |
| > KPD-Mitglied Alfons Pannek war einer der einflussreichsten Mitarbeiter | |
| > der Hamburger Gestapo. Nun sind neue Quellen zu Panneks Werdegang | |
| > aufgetaucht. | |
| Bild: Schickte Dutzende in den Tod: Alfons Pannek | |
| Hamburg taz | 1942 glaubten die meisten Deutschen noch an den Sieg. In | |
| Hamburg gab es einen kleinen Kreis eingefleischter Kommunisten, die es | |
| besser wussten. Sie hatten valide Informationen aus dem Ausland, vor allem | |
| der Sowjetunion. Sie analysierten die militärische und wirtschaftliche | |
| Stärke des „Dritten Reichs“, verglichen diese mit der geballten Macht der | |
| Gegner in West und Ost und gelangten zu dem Schluss: Die Niederlage | |
| Deutschlands ist ausgemacht. | |
| Darauf wollten sie sich vorbereiten. Sie gründeten geheime Zellen aus | |
| Gleichgesinnten in Betrieben wie der Werft Blohm & Voss. Wenn die Rote | |
| Armee in Hamburg einmarschieren würde, wollten sie der Ansprechpartner | |
| sein. „Nach Hitler kommen wir“, war ihre Überzeugung. Bernhard Bästlein, | |
| Robert Abshagen, Franz Jacob, Oskar Reincke sind die Namen führender | |
| Gestalten dieser wenig bekannten Widerstandsgruppe. | |
| Zu ihrem Kreis gehörte auch ein Mann mit ausgewiesener Biographie: | |
| KPD-Mitglied seit den 1920er-Jahren, Emigrant in den Jahren nach 1933, | |
| Spanienkämpfer, von den Nationalsozialisten zeitweise ins Zuchthaus | |
| gesteckt. Sein Name: Alfons Pannek. Er betrieb eine Leihbücherei in | |
| Hoheluft, seine Geliebte leitete in Eimsbüttel eine Wäscherei, ein | |
| wichtiger geheimer Treffpunkt des kommunistischen Kreises. Das Problem: | |
| Pannek war nicht echt. Er war ein Spion der Gestapo, ein „V-Mann“, wie man | |
| solche Mitarbeiter im Reichssicherheitshauptamt nannte. | |
| In der Geschichtsschreibung ist „Vertrauens-Mann“ Alfons Pannek nicht | |
| unbekannt. Seine Taten ab 1942 sind gut dokumentiert. In der Endphase des | |
| „Dritten Reichs“ war er einer der einflussreichsten Mitarbeiter der | |
| Hamburger Gestapo. Er brachte Dutzenden Menschen den Tod. | |
| ## Strafakten aus dem Keller | |
| Jetzt sind bislang unbekannte Quellen zu Panneks Werdegang vor 1942 | |
| aufgetaucht: die Akte seines Verfahrens vor dem Hanseatischen | |
| Oberlandesgericht (OLG) mit Originalschriftstücken, die sich auf die Zeit | |
| bis 1941 beziehen. Sie ist eine von 460 Strafakten aus der NS-Zeit, die im | |
| Hamburgischen Staatsarchiv neu entdeckt wurden. | |
| Der Autor dieser Zeilen hatte im Herbst 2017 das Staatsarchiv nach | |
| möglichen Beständen des OLG aus der Zeit des „Dritten Reichs“ gefragt. Na… | |
| einigem Hin und Her bekannten die Verantwortlichen: Im Keller lagern „fünf | |
| Meter Strafakten des OLG“ aus den Jahren 1933 bis 45. Diese Dokumente seien | |
| „unbearbeitet“, „nicht erfasst“. Die Zeit gab neulich einen ersten Einb… | |
| in den Aktenfund. Einer der interessantesten Einzelfälle ist der von Alfons | |
| Pannek, der hier erstmals vorgestellt wird. | |
| Der 1907 geborene Landarbeiter und Maurer engagierte sich in den Kämpfen am | |
| Ende der Weimarer Republik auf Seiten der KPD. Aber er war von vornherein | |
| kein ganz gewöhnliches Parteimitglied, wie aus der Anklage der | |
| Staatsanwaltschaft und dem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts | |
| gegen ihn hervorgeht. Beide Dokumente sind in der Akte überliefert. | |
| Pannek sei ein Mann für spezielle Aufgaben gewesen. Er habe Sprengstoff | |
| besorgt, habe die bei Kommunisten verhasste SPD ausspioniert, indem er | |
| Sozialdemokraten bewog, „über interne Angelegenheiten ihrer Partei“ zu | |
| sprechen. Ab 1931 habe Pannek auch den „Polizeizersetzungsapparat“ der KPD | |
| geleitet. | |
| ## Im spanischen Bürgerkrieg | |
| Ziel dieser Einheit sei es gewesen, in den Reihen der Polizei | |
| Vertrauensleute für die Kommunisten zu finden. Nach der Machtübernahme | |
| durch die Regierung der nationalen Erhebung sei Pannek „in die Tschechei“ | |
| geflohen. Dort habe er in der Abteilung „Agitation und Propaganda“ der | |
| emigrierten deutschen Kommunisten gearbeitet. | |
| 1937 sei er dann von Prag in den Bürgerkrieg nach Spanien gezogen, wo er | |
| „auf rotspanischer Seite“ gekämpft habe. Dort sei er politischer Kommissar | |
| der 11. Internationalen Brigade geworden, im Range eines Leutnants. Als | |
| solcher habe er für die Absetzung des unpopulären Anführers der Brigade | |
| gesorgt, habe selbst das militärische Kommando übernommen und die Truppe in | |
| den Kämpfen bei der Stadt Ternel angeführt. | |
| Nach einer Verwundung sei er 1938 nach Prag zurückgekehrt. Nach dem | |
| deutschen Einmarsch sei Pannek dort im März 1939 festgenommen und nach | |
| Hamburg überstellt worden. | |
| Netzwerke von Kommunisten und Sozialdemokraten zu zerschlagen, war ein | |
| zentrales Ziel der nationalsozialistischen Polizei und Justiz in den Jahren | |
| bis zum Beginn des Krieges. Das schlägt sich eindrücklich in den entdeckten | |
| OLG-Akten nieder. In dem Bestand sind etwa mehrere „Schutzhaftbefehle“ | |
| gegen Gewerkschaftsmitglieder enthalten, auf denen die Unterschrift von | |
| Bruno Streckenbach prangt, bis 1939 Hamburger Gestapochef und danach | |
| SS-Massenmörder in Polen und der Sowjetunion. | |
| ## Rekrutierung als Gestapo-Spion | |
| Am 25. Juli 1941 verurteilt das Hanseatische Oberlandesgericht Pannek wegen | |
| Vorbereitung zum Hochverrat zu sechs Jahren Zuchthaus. Aber die | |
| Urteilsbegründung hat merkwürdige Beiklänge. Der Angeklagte habe erkannt, | |
| dass sein Weg „falsch“ gewesen sei, steht da. Er habe erkennen lassen, dass | |
| er bereit sei, „zum Aufbau einer neuen Ordnung“ beizutragen. Im Übrigen | |
| habe er im spanischen Bürgerkrieg „die Schattenseiten des Kommunismus“ | |
| kennengelernt. Und: Er habe dort beobachtet, „wie die Juden überall im | |
| trüben fischen und sich bereichern.“ | |
| Sein ausführlich geschilderter Werdegang liest sich fast wie eine | |
| Bewerbung: Pannek hat eine gegnerische Partei ausgehorcht, hat auf | |
| Polizisten eingewirkt und ist geübt im Umgang mit Sprengstoff und Waffen. | |
| Er ist ein Mann, den man brauchen kann. | |
| Nun beginnt das brisanteste Kapitel der Akte Pannek: der bürokratische | |
| Prozess seiner Strafverschonung und Rekrutierung als Gestapo-Agent.„Ich | |
| beabsichtige, Pannek als V-Mann einzusetzen und bitte, die Strafhaft | |
| vorläufig zu unterbrechen“, schreibt ein Hamburger Gestapo-Beamter an den | |
| „Herrn Generalstaatsanwalt“. Das Schreiben vom 18. August 1941 trägt den | |
| roten Stempel „Geheim!“. | |
| „Pannek hat seine Zuverlässigkeit bereits unter Beweis gestellt. Er ist | |
| während seiner Schutz- und U-Haft mit verschiedenen Funktionären der | |
| KPD-Abschnittsleitung Nord zusammengelegt worden. Er hatte den Auftrag, in | |
| Erfahrung zu bringen, welche Tätigkeit diese Leute ausgeübt haben. In | |
| mehreren Fällen konnte Pannek wichtige Hinweise geben, die wesentlich zur | |
| Aufklärung (…) beigetragen und die ganze Sache richtig ins Rollen gebracht | |
| haben.“ | |
| ## Auftrag in Kopenhagen | |
| Die Gestapo möchte Pannek ins von Deutschland besetzte Kopenhagen schicken. | |
| Dort würden deutsche Kommunisten Flugblätter an Soldaten verteilen mit der | |
| Aufforderung, „nicht gegen Russland zu kämpfen.“ Eine Verwendung von Pannek | |
| als Vertrauens-Mann sei „aus staatspolizeilichen Gründen dringend | |
| erwünscht“. Von diesem Plan sei dem Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof | |
| schon am 18. 12. 1940, also vor seiner Verurteilung, berichtet worden. Die | |
| Gestapo bitte nun darum, die Haft „sofort für 6 Monate zu unterbrechen.“ | |
| Der zuständige Hamburger Staatsanwalt, Wilhelm Stegemann, will sich | |
| absichern. Er hat schon Todesstrafen für Kommunisten gefordert und | |
| durchgesetzt. Er möchte nicht für das Entweichen eines verurteilten | |
| Kommunisten verantwortlich sein. Am 15. September schreibt Stegemann an das | |
| Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin und fragt, ob dort eine | |
| Strafunterbrechung für Alfons Pannek befürwortet werde. Seine reguläre | |
| Strafe ende erst am 25. 4. 1945. | |
| Am 3. November 1941 geht bei der Hamburger Staatsanwaltschaft die Antwort | |
| von SS-Sturmbannführer Richard Panzinger, Leiter der Amtsgruppe | |
| „Gegnerbekämpfung“ im RSHA ein: „Nach eingehender Überprüfung der | |
| Verwendungsmöglichkeiten des Pannek als V-Mann befürworte ich den Antrag | |
| der Staatspolizeileitstelle Hamburg auf Strafunterbrechung für denselben.“ | |
| Auch aus dem Reichsjustizministerium kommt ein befürwortendes Schreiben vom | |
| Leiter der Abteilung Strafrechtspflege im Reichsjustizministerium, Wilhelm | |
| Crohne, verbunden mit einem dringenden Rat: Die Haftentlassung solle „in | |
| der Anstalt nicht bekannt werden.“ Es solle die Verlegung des Pannek in ein | |
| anderes Zuchthaus vorgetäuscht werden. | |
| ## „bewährt sich bestens“ | |
| So geschieht es und Pannek macht sich als V-Mann gut. Als die | |
| „Strafunterbrechung“ sich dem Ende neigt, schreibt die Hamburger Gestapo an | |
| Staatsanwalt Stegemann: „Zwischenzeitlich ist gegen Pannek hier | |
| Nachteiliges nicht bekannt geworden. In seiner Tätigkeit für uns bewährt er | |
| sich bestens. Er zeigt große Regsamkeit und ist auch sonst durchaus | |
| brauchbar. Die mit ihm arbeitende Dienststelle ist sehr zufrieden und | |
| Pannek ist dort zur Zeit unentbehrlich. Seine politische Zuverlässigkeit | |
| wird bejaht.“ | |
| Stegemann notiert am 10. 5. 1943 handschriftlich: „keine Bedenken“. Panneks | |
| Strafe wird nun vollständig zur Bewährung ausgesetzt. Bewährungsfrist: 31. | |
| 5. 1946. | |
| „V-Männer sind die eigentlichen Träger des Kampfes gegen die marxistischen | |
| Organisationen“, schrieb Reinhard Heydrich, bis zu seiner Ermordung 1942 | |
| Chef des RSHA und zentraler Planer des Holocaust. Heydrich war überzeugt, | |
| dass V-Männer für die Ausschaltung linker Widerstandsgruppen noch | |
| effektiver seien als „verschärfte Vernehmungen“, das Nazi-Wort für Folter. | |
| Der Hamburger Vertrauens-Mann Pannek liefert seinen Gestapo-Vorgesetzten ab | |
| 1942 wertvolle Hinweise. Sie führen zur Festnahme zahlreicher Mitglieder | |
| der kommunistischen Bästlein-Gruppe, die dann vor Gericht gestellt und | |
| entweder zum Tode oder zu Zuchthausstrafen verurteilt wurden. | |
| ## Kurzerhand gehängt | |
| Ende 1943 hilft Pannek bei der Ergreifung des Ehepaars Gustav und Elisabeth | |
| Bruhn. Gegen das Ehepaar und die beiden weiteren Gesinnungsgenossen Hans | |
| Hornberger und Kurt Schill läuft ein „ordentliches“ Ermittlungsverfahren | |
| der Hamburger Staatsanwaltschaft. Noch bevor es zu einer | |
| Gerichtsverhandlung kommt, werden die vier auf Grund eines | |
| außerordentlichen Befehls des Reichsführers SS Heinrich Himmler am 14. | |
| Februar 1944 ins KZ Neuengamme gebracht und dort am selben Tag erhängt. | |
| Zu diesem Vorgang findet sich in den neu entdeckten OLG-Akten ein | |
| erschütterndes Dokument der Staatsanwaltschaft. Es trägt den Stempel | |
| „Geheime Reichssache“ und ist auf den 8. Mai 1944 datiert. Die Ermordung | |
| der vier Beschuldigten hätte einen Staatsanwalt sogar im NS-Staat erzürnen | |
| können. In einem normalem Staat hätte der Fall sofort ein | |
| Ermittlungsverfahren wegen vierfachen Mordes ausgelöst. | |
| Aber was schreibt der Hamburger Staatsanwalt dazu? Ihn interessiert der | |
| Vorgang nur insoweit, als er die „Hingerichteten“ noch als Zeugen in | |
| weiteren Verfahren hätte gebrauchen können. Er teilt dem Oberreichsanwalt | |
| in Berlin mit, dass „die durch die Geheime Staatspolizei durchgeführte | |
| Exekution der Beschuldigten Eheleute Bruhn, Hornberger und Schill die | |
| Durchführung der an mich abgegebenen Strafsachen … nicht beeinträchtigt | |
| hat.“ | |
| „Von den Hingerichteten war nur Hornberger in der Anklage Nr. 2. … als | |
| Zeuge benannt. Sein Fehlen beeinflußte weder den Schuldspruch noch die | |
| Strafhöhe bei den einzelnen Beschuldigten. Hinsichtlich der noch nicht | |
| angeklagten Flüchtigen aus der Sache … werden die Hingerichteten nicht als | |
| Zeugen benötigt. Gez. S.“ | |
| ## Menschen in den Tod geschickt | |
| Der Staatsanwalt hat seinen Nachnamen abgekürzt. Diese „Geheime | |
| Reichssache“, die eine nachträgliche Zustimmung zum vierfachen Mord | |
| darstellt, wollte er offenbar nicht mit seinem vollständigen Namen | |
| unterschreiben. | |
| Am Ursprung dieser Mordaktion steht der „Vertrauens-Mann“ Alfons Pannek. | |
| Bis April 1945 schickte er Menschen in den Tod, die von seinen | |
| Vorgesetzten bei der Gestapo Hamburg als „besonders gefährliche | |
| Staatsfeinde“ eingestuft wurden. | |
| Der Gestapo-Spion und frühere Kommunist wurde nach dem Zusammenbruch der | |
| nationalsozialistischen Herrschaft zwar vor Gericht gestellt und zu 12 | |
| Jahren Zuchthaus verurteilt wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. | |
| Aber verbüßen musste er die Strafe nicht. Er kam ebenso rasch wieder frei | |
| wie sein ehemaliger direkter Vorgesetzter bei der Hamburger Gestapo. | |
| Staatsanwalt Wilhelm Stegemann, der die mörderische V-Mann-Tätigkeit | |
| Panneks bewilligt und gedeckt hatte, musste sich nach dem Krieg nie vor | |
| Gericht verantworten. | |
| 14 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Buchen | |
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