# taz.de -- Kolumne Zwischen Menschen: Wo der Sommer nicht hilft | |
> Buchenwald ist unfassbar und kann trotzdem wieder geschehen, wenn wir das | |
> Grauen in unserer Normalität einfach hinnehmen. | |
Bild: Eine Gedenktafel auf dem ehemaligen Appellplatz in der Gedenkstätte Buch… | |
Alles an Buchenwald ist unfassbar. Doch nichts ist so unbegreiflich wie der | |
Zoo. „Hier waren die Bären“, sagt die Besucherführerin. Wir stehen vor | |
einem Gehege mit Felsen. Davor ist ein Foto von Bären angebracht, die | |
miteinander balgen. „Und dahinten, das war der andere Zoo, der menschliche | |
Zoo“, sagt die Führerin. | |
An das Bärengehege grenzt der Lagerzaun. Dort erstreckt sich das Gelände | |
mit den Baracken. 56.000 Menschen starben im Konzentrationslager | |
Buchenwald. Unermessliches Leid ist auf diesem Feld geschehen. Und direkt | |
nebenan hat der Oberkommandant Koch für die SS-Leute und ihre Familien zum | |
Entspannen einen Zoo mit wilden Tieren angelegt. | |
Die Häftlinge mussten sie mit Fleisch füttern. „Jedem das Seine“ steht in | |
Buchenwald am Tor – das römische Ideal für die Freiheit des Einzelnen. Die | |
Lagerleitung hat es umgedeutet: Jeder bekommt das, was er verdient – die | |
Häftlinge eben das Lager. | |
Es ist vor allem dieser Sarkasmus, der hier alles unerträglich macht. Das | |
Schlimme ist nicht das Grauen, sondern das, was man darin kennt und deshalb | |
mit sich verbindet. Wie in einem Horrorfilm, in dem einem der Clown Angst | |
macht oder das Kind, das stumm am Ende eines Flurs steht. Diese | |
schreckliche Normalität bringt alles ins Rutschen. Als würde sich der Raum | |
zu einem ungleichmäßigen Quader verziehen, in dem es keine Gesetzmäßigkeit | |
mehr gibt. | |
Die Besucherführerin spricht laut und fast überdeutlich. Vielleicht ist | |
dieses klare Sprechen ihre Schutzhülle, denke ich, das, was sie aufrichtet | |
hier. Ich bin dankbar, dass sie da ist, bin dankbar für die Menschen, die | |
mich umgeben. Die Führung hüllt diesen Ort in eine zeitliche Dramaturgie, | |
gibt ihm einen vermeintlichen Anfang und ein Ende. | |
Buchenwald ist eines der größten deutschen Konzentrationslager und das | |
zweite, das ich besuche. Es liegt bei Weimar, der Stadt der Hochkultur, in | |
der einst Goethe und Schiller lebten. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier | |
Menschen vom Bahnhof zehn Kilometer hinauf auf den Ettersberg zur | |
Zwangsarbeit getrieben. Menschen, die als anders galten, Juden, Sinti und | |
Roma, Widerständige, Homosexuelle. | |
Zwei Jahre zuvor war ich im Winter in Hamburg im KZ Neuengamme gewesen. Ich | |
bin allein durch die Baracken gelaufen, um mich eine Weite, in der ich mich | |
nirgends festhalten konnte und die sich langsam in mir ausbreitete. | |
Auch jetzt in Buchenwald spüre ich etwas Schutzloses. Als wäre die eigene | |
Haut weg. Als würde etwas durch die Knochen bis tief in einen hineinwirken. | |
Vielleicht macht das die Bedeutungslosigkeit, die hier jedem Ich gegeben | |
wurde. Dass es keine Ichs geben durfte. Nur eine Masse Mensch. | |
Ich habe gehofft, dass mir der Sommer hilft, Buchenwald zu ertragen, aber | |
letztlich ist es die Gemeinschaft. Die Menschen in der Gruppe um mich | |
verbinden mich mit der Welt außerhalb des Zauns, in der feste Maßstäbe | |
gelten. | |
## Verschobene Maßstäbe | |
Doch dann denke ich, dass sich seit meinem letzten Besuch im | |
Konzentrationslager die Maßstäbe draußen verschoben haben. Der Zaun | |
zwischen dem Lager und dem Draußen ist nur eine dünne Linie. Der Sarkasmus, | |
mit dem das Leid von Menschen betrachtet wird, nimmt zu, Rassismus und | |
Hetze breiten sich aus. Mitglieder der derzeit größten deutschen | |
Oppositionspartei AfD bezeichnen den Nationalsozialismus als einen | |
Vogelschiss in der deutschen Geschichte, das Holocaust-Mahnmal in Berlin | |
als ein „Denkmal der Schande“. | |
„Der Ort ist der Ort“, sagt die Führerin. „Man kann ihn nur wirklich | |
begreifen, wenn man hier ist.“ Wir gehen durch kalte Keller, in denen die | |
Leichenberge lagerten, sehen Haken, an denen Menschen aufgehängt wurden. | |
„Wenn eine Generation an Zeitzeugen wegstirbt“, sagt sie, „dann kippt es, | |
dann schlägt das politische Klima wieder um. Und die Zeugen sterben jetzt.“ | |
Wir schauen betroffen. | |
Es ist dieser Ort, der mir die Vergangenheit ins Jetzt bringt und mir vor | |
dem Jetzt Angst macht. Hier merke ich, wie wichtig Personen wie die | |
Besucherführerin sind, die daran erinnern, was Menschen Menschen antun | |
können. Dass Buchenwald unfassbar ist und trotzdem wieder geschehen kann, | |
wenn wir das Grauen in unserer Normalität einfach hinnehmen. Die Felsen, | |
auf denen die Bären neben dem Lager balgten, stehen noch immer. Die Zeugen | |
sterben jetzt. Jetzt sind wir die Zeugen. Die Zeugen unserer Zeit. | |
3 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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