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# taz.de -- 80 Jahre „Operation Gomorrha“: Trümmer für die Zukunft
> In Hamburg jährt sich zum 80. Mal die britisch-amerikanische
> Luftoffensive „Operation Gomorrha“ mit 37.000 Toten. Endet die Erinnerung
> mit den letzten Zeitzeuginnen*?
Bild: Mittelstraße 89 Hamburg
Drei hölzerne Karteikästen stehen in einem Regal im [1][Stadtteilarchiv
Hamm], darin ein Schatz, in dem sich Hunderte, Tausende Geschichten
verbergen. Solche des Leids, diese vor allem. Die Objekte bergen die Namen
von Zeitzeugen. Sie haben den Hamburger „Feuersturm“ von 1943 überlebt.
„Für uns ist das das zentrale Thema“, sagt Stadtteilarchivar Gunnar Wulf.
„Wir waren hier in Hamm im Zentrum des Feuersturms.“
Das Wort ist für Betroffene und ihre unmittelbaren Angehörigen, ihre Kinder
und Enkel, eine biografisch entscheidende Vokabel: Es bezeichnet vor allem
die Luftangriffe der britischen Royal Air Force auf die Stadtteile Hamburgs
mit der höchsten Bevölkerungsdichte, zirka 37.000 Menschen sind in den
Nächten und Tagen vom 24. Juli bis 3. August 1943 ums Leben gekommen.
Strittig ist historisch, ob die britischen Bomber in diesem Areal bei für
sie perfekten Wetterbedingungen auch rüstungszuliefernde Kleinbetriebe
auslöschen wollten. Oder mit ihrer „Operation Gomorrha“, wie sie ihre
Kriegsaktionen nannten, einzig biblisch anmutende Rache nehmen, Vergeltung
üben wollten für die Luftkriege des nationalsozialistischen Deutschlands
auf London und Coventry – mit einem demoralisierenden Bombardement der dort
noch lebenden Bewohner, alte Männer, Frauen, Kinder. Wahr bleibt, dass bei
den letzten halbwegs legalen Reichstagswahlen im März 1933 ausgerechnet in
dieser Gegend die NSDAP vergleichsweise geringen Zuspruch erhielt, KPD und
SPD dafür umso mehr.
Mit blauem Kuli auf hellblauen Kärtchen jeweils notiert sind in den fast
abseitig gestellten Adresskästen Geburtsdatum, die alte Straße im 1943
ausgebombten, ausradierten Hammerbrook und Hamm, die alte Schule,
Festnetznummern, sowie erste Hinweise, wo diese Person den sogenannten
„Feuersturm“ überlebte. Oder dass sie ein Zusammentreffen mit früheren
Nachbarn ihrer Straße wünscht. Oder wie ihr Lehrer in der Schule hieß.
Seit 1987 gibt es dieses Stadtteilarchiv, das es sich zur Aufgabe macht,
die Geschichte jenes Viertels aufzuarbeiten. Es war mit 90.000 Menschen mal
dicht bewohnt, geteilt in zwei Hälften – „Oben-Hamm“, in der die
Bürgerlichen lebten – und das auch topografisch tiefer gelegene
„Unten-Hamm“, wo die weniger Feinen wohnten, Arbeiter und Arbeiterinnen,
Kleingewerbetreibende.
Noch heute bildet die vielbefahrene Hammer Landstraße eine Art unsichtbare
Grenze durch den Stadtteil, die Kulturschaffende mit Aktionen wie dem im
August beginnenden „Hammer Sommerfestival“ zu überbrücken versuchen. Da
nach dem Krieg, um die Wohnungsnot zu beheben, vor allem viele kleine
Wohnungen gebaut wurden, ist der ganze Stadtteil heute weniger wohlhabend.
Heute leben in Hamm, im bürgerlichen hoch gelegenen wie im kleinbürgerlich
unteren Teil nur noch rund 38.000 Menschen, davon viele Singles, denn
Familien ziehen oft weg, wenn das zweite Kind kommt, weil der Platz nicht
reicht.
Das Stadtteilarchiv ist Ausgangspunkt unserer Hamm-Erkundung mit dem Rad,
das Gedächtnis dieser Gegend, die so gar nicht schön aussieht wie andere
Hamburger In-Quartiere, etwa das Schanzenviertel. Die Adresse führt zu
einem modernen Kulturzentrum an der großen Straßenkreuzung Sievekingdamm
und Hammer Landstraße. Per Fußgängerrampe ist es über eine Art Hochplateau,
Platz der Kinderrechte genannt, erreichbar. Fern vom Autolärm bietet das
Zentrum auch Platz für ein Straßencafé mit jungen Bäumen, sichtbar wird es
von der Bevölkerung angenommen.
## Vorleben und Verbindungen eines Stadtteils
Die Karteikästen im Archiv sagen viel über das Vorleben dieses Stadtteils.
In ihnen Spuren einer Erinnerungsorganisation, die mal wie eine
Facebook-Gruppe funktionierte, ein Kontaktstiftungsinstrument: „Wir
benutzen die Karteikarten aber kaum noch. Viele Menschen sind auch schon
gestorben“, sagt Gunnar Wulf, der in dieser Gegend Kind war und über eine
ABM-Maßnahme zu seinem Job kam – er ist seit Anfang an dabei. Früher wurden
mit Hilfe der Adressen auch Verbindungen hergestellt, von ehemaligen
Bewohnern, die ihre Freunde und Nachbarn suchten.
In dem Regal steht auch eine aus den Trümmern geborgene alte
Schreibmaschine und ein aus Papier nachgebautes Modell der Villa
Ohlendorff. Denn Hamm-Oben war einmal Treffpunkt der Reichen und Wichtigen
– lange vor dem heute prominenten Blankenese an der Elbe. Hier hatten
einflussreiche Hamburger Kaufleute und Reeder ihre Sommersitze.
Wer erkunden will, wie diese Welt mal aussah, muss sich zum großen Tisch in
der Mitte des Stadtteilarchivs nur umdrehen. Dort sind in eng aneinander
gestellten Kästen über 43.000 Fotos nach Straßennamen sortiert,
Lichtbilder, die die Menschen im Lauf der Jahre vorbeibrachten. Alle in
Schwarz-Weiß. Teils wunderschöne Jugendstil- und Gründerzeitfassaden, die
ans heutige Wien erinnern, interessante Läden, alte Straßenbahnen, große
Kindergruppen, die auf der Straße spielen. Auch für die Nachbarstadtteile
wie Rothenburgsort, Borgfelde und Hammerbrook sind hier Bilder zu finden.
Es kommen auch heute noch Menschen vorbei und suchen danach, aber es sind
nur noch wenige, manchmal aber auch die Kinder der ums Leben Gekommenen.
Sie wollen dann sehen, [2][wie die Straße aussah, wo ihre Eltern mal
lebten.] Ob es von dem Haus oder dem Laden noch ein Foto gibt? Es ist sogar
möglich, über ein altes Straßenregister – das in der Hamburger
Staatsbibliothek einsehbar ist –, nachzuschauen, wer damals unter welcher
Hausnummer wohnte. „Wir müssen immer aufpassen“, sagt Stadtteilarchivar
Wulf. „Die Leute klauen sonst einfach die Bilder.“ Wer eines haben möchte,
könne es bestellen. „Ein Abzug drei Euro.“
In der Mitte des großen Tisches liegen Bücher, auch sie kann man erwerben.
Darunter das Heft „Die längste Nacht“ mit den Berichten von zwölf
Zeitzeugen zum Hamburger „Feuersturm“, 2013 wurde sie zum 70. Jahrestag
erstellt. Die erste Angriffswelle in der Nacht zum 25. Juli 1943 galt
zunächst anderen Stadtteilen in Hamburgs Westen und traf nur vereinzelt
Häuser in Hamm, weil die Bomber nicht genau zielten. Meteorologisch
herrschte „perfektes“ Angriffswetter: viele Tage lang wolkenloser Himmel.
## Unsagbares Glück im Unglück
„Mancher hat durch dieses Unglück unsagbares Glück“, heißt es in dem Hef…
Herr M. zum Beispiel wurde in dieser Nacht „ausgebombt“, während die
Bewohner im Keller ausharrten, die elterliche Wohnung zerstört. Der damals
15-jährige lieh sich ein Rad und flüchtete zu seinen Großeltern an den
Stadtrand. „Uns wäre der Verlust der Wohnung leichter gefallen, wenn wir
geahnt hätten, dass dadurch unser Leben gerettet worden ist“, schrieb er
später. „In der nächsten Angriffsnacht ging Hammerbrook im Feuersturm unter
und wir hätten noch im Zentrum des Glutofens gewohnt.“ Von den Bewohnern
seiner Nachbarhäuser habe keiner überlebt.
Ihre Rede handelt von der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1943. Die ersten
Flieger warfen Bomben, die die Dächer der Häuser wegsprengten. Dann folgten
Phosphor- und Brandbomben, die die meist aus Holz gebauten Treppenhäuser
entzündeten. Zeitzeugin Frau S. berichtet, wie sie diese überlebte: „Mutter
und ich rasten den Grevenweg rechts runter zum Gesundbrunnen am Sportplatz,
dort war ein öffentlicher Luftschutzkeller. Wohin die anderen sich gewandt
hatten, weiß ich nicht.“
## Luftschutzkeller wurden zur Todesfalle
Dort angekommen, sei es schon sehr voll gewesen. „Wir hätten im Stehen
sterben können, so eng war es“, erzählt die Zeitzeugin. Für Tausende
Hamburger seien diese Luftschutzkeller zur Todesfalle geworden, denn die
boten Schutz vor Einsturz, aber nicht vor glutheißen Flammen. Andere
suchten Freiflächen in einem Park oder auf einem Sportplatz.
Wieder andere flüchteten ins Wasser. Dem damals sechsjährigen Wolf
Biermann, später der berühmte Dichter und Sänger in der DDR, der damals in
Hammerbrook Kind war – und seit Langem wieder in Hamburg lebt –, wurde
zusammen mit seiner Mutter ein Kanal zur Rettung.
Überlebt haben viele, die einen Platz in einem der Bunker fanden, für die
es aber nicht genug Kapazitäten gab. 10.000 Plätze für 90.000 Einwohner.
Juden und Zwangsarbeiter mussten draußen bleiben. Das Stadtteilarchiv hat
einen solchen Bunker am Wichernweg trockengelegt und restauriert.
Gunnar Wulf macht hier seit Jahren Führungen, jüngst erst für eine Gruppe
junger Kriminalbeamter. Er sagt Sätze, wie, dass dieser Bunker auch zeige,
dass „nie wieder Krieg“ sein dürfe. Drei Worte, die in Deutschland bis zum
russischen Krieg gegen die Ukraine Common Sense waren.
Wir fahren mit dem Rad vom Stadtteilarchiv am Sievekingdamm über den
Thörls-Park, wo eine nachgebaute „Trümmerbank“ steht. Ein Kunstwerk, das …
die Kleinbahn erinnert, die hier in den fünfziger Jahren bergeweise Schutt
abtransportierte, hin zum neun Kilometer entfernten Stadtrand, wo durch
Trümmerhügel der spätere Öjendorfer Park entstand.
Auf der Bank ruhen sich zwei junge Männer aus, eingewandert aus Iran, die
in der nahegelegenen Berufsschule eine Umschulung machen. Sie haben die
daneben stehende Erklärtafel nicht gelesen und von „Gomorrha“ noch nie
gehört: „Aber man darf hier sitzen?“ Selbstverständlich. So ist es ja
gedacht: Kunst aus Bombentrümmern, die zur alltäglichen Benutzung einlädt.
Dann ein Stopp im Cafe May am Hammer Park, wo draußen am Tisch bei Quiche
und Cola eine angenehme Straßencaféatmosphäre herrscht: ein
[3][Nachbarschaftstreff,] der übliche Multikultimenschenmix, alles
friedlich. An der Hammer Kirche fotografieren wir das dortige Mahnmal, das
daran erinnert, dass von deutschem Boden aus von 1933 bis 1945 „Gewalt und
Terror, Mord und Vernichtung“ in die Welt der Völker getragen wurden. Und
wo es heißt: „Am Ende schlugen Gewalt und Zerstörung auf deutschen Boden
zurück“.
## Breites Wissen früher über die Luftangriffe
Fast niemand, der in Hamburg bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts
aufgewachsen ist, weiß nicht von diesen Luftangriffen, sie gehören zur
hanseatischen Nach-NS-Zeit-Erinnerungsgeschichte, jüngst erst titelte das
Hamburger Abendblatt, tonangebende Zeitung der Stadt, auf ihrer Seite 1
„Als der Tod vom Himmel fiel“.
Im Gegensatz etwa zu Dresden, wo kurz vor dem alliierten Sieg über den
deutschen Nationalsozialismus mit Luftangriffen auch Tausende Menschen ihre
Leben ließen, hat es aber in Hamburg später „keine dezidiert antibritische
Stimmung gegeben“, wie der Historiker Helmut Stubbe da Luz sagt, der die
Ausstellung zum 80. Jahrestag der „Operation Gomorrha“ kuratierte. „Das m…
auch dran gelegen haben, dass die Briten als Besatzungsmacht nicht die
Schlechtesten waren.“
## Historisches Wissen und Fühlen verblasst
Es scheint zudem, als ob es an Alster, Elbe und Bille bei vielen eine Art
vorbewusstes Wissen gab, dass das alles eben Teil des fürchterlichen, vom
NS-Deutschland begonnenen Krieges war. Man schien zu wissen, dass der
Schmerz ob der Getöteten eine selbstverschuldete Vorgeschichte hatte. Das
historische Wissen und Fühlen verblasst indes.
Als kürzlich mal wieder in Hamburg bei Bauarbeiten im Schanzenviertel eine
Fliegerbombe entdeckt wurde, musste das halbe Viertel für etliche Stunden
evakuiert werden – und bei spontanen Umfragen bei den Flüchtenden wussten
die meisten nicht zu sagen, woher diese „Blindgänger“ stammten, nämlich a…
dem Zweiten Weltkrieg.
Im Hamm benachbarten Stadtteil Rothenburgsort ist es nur die ansonsten
randständige CDU, die regelmäßig an einem dort aufgestellten Gedenkort an
diese „Operation Gomorrha“ erinnert. Ob das Gedenken je aus rechten
Gedankenwelten entspringt, wollen wir von Gunnar Wulf wissen. „Manchmal
musste ich mir im Bunker paar Sachen anhören. Ich habe dann mit den Älteren
auch diskutiert“, sagt er.
## Senat hält sich zurück mit Erinnerungspolitik
Wulf weist dann immer darauf hin, dass die Deutschen angefangen hatten, in
London gezielt Wohnbevölkerung zu bombardieren. Der Hamburger Senat hält
sich seit Längerem mit direkten erinnerungspolitischen Initiativen zurück,
die Ereignisse im Sommer 1943 erfassen die Gefühle einer ganzen Stadt nicht
mehr, keine Gedenkveranstaltungen wie einst auf dem Friedhof Ohlsdorf mit
Zehntausenden Menschen.
Die meisten der früheren Bewohner aus Hamm oder Hammerbrook leben nicht
mehr. SPD-Kultursenator Carsten Brosda hat immerhin eine, wenngleich wenig
ertragreiche, Universitätstagung zum Thema beschirmherrt. Und die am
Stadtrand gelegene Universität der Bundeswehr zeigt eine überaus
instruktive, vom Historiker Helmut Stubbe da Luz [4][kuratierte
Ausstellung] zu „Hamburgs Gomorrha 1943 und die Folgen“ – sie wird gut
besucht, Alte und etwas Jüngere, einige Schulklassen.
Wer heutzutage wenigstens eine Art Vorstellung von der „Ausbombung“ (der
Begriff der Nachkriegszeit unter Überlebenden) sich ausmalen möchte, stelle
sich, etwa bei einer Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg oder, aus dem Süden
kommend, über die Elbbrücken eingereist, jeweils rechts der letzten zwei
bis vier Kilometer engste Bebauung mit einigem Gewerbeanteil vor –
vergleichbar mit dem Berliner Neukölln.
Unten-Hamm, Rothenburgsort und Hammerbrook, das waren proletarische Viertel
im Aufstieg: mit Wohnungen, die lichter und trockener waren als die
vorsätzlich zugunsten der Hafenökonomie abgewrackten Quartiere in
direkterer Elbnähe.
## Fläche des vieltausendfachen Todes
Geblieben ist davon so gut wie nichts, wiederaufgebaut werden sollten die
Quartiere auch nicht, dafür kamen Kleinhöker, Ramschbetriebe, hier und da
ein Puff, wenige Kneipen. Die Stadtentwicklungsbehörden wiesen die Gegend
als Industriegebiet aus, eine No-Go-Area für ängstliche Menschen, faktisch
ja auch eine Fläche des vieltausendfachen Todes.
Die Gegend war in den fast zwei Jahren bis zur NS-Kapitulation ein
Sperrgebiet, umzäunt. „Eine zügige Bergung der allein auf dieser relativ
kleinen Fläche angefallenen Leichen schien unmöglich“, schreibt das
Stadtteilarchiv. Hammerbrook und Unten-Hamm: fürs erste und lange Zeit
aufgegeben.
Ein harter Kern von etwa 25 Ehrenamtlichen hat daran gearbeitet, die
Erinnerung an den Stadtteil Hamm überhaupt erst zu schaffen. Bis vor etwa
zehn Jahren sei das Archiv von Zeitzeugen häufig besucht worden, berichten
Gunnar Wulf und seine Kollegin Stephanie Kanne.
Für Oben-Hamm mit seiner grünen Lunge, dem Hammer Park, gab es nach dem
Krieg einen Wiederaufbauplan, kaum zerstört liegt es höher auf einem
Geestrücken. Es wurde mit breiten Zufahrtsstraßen auch zur nahen Autobahn
am Horner Kreisel – gen Ostsee und Westberlin – durchzogen und mit
günstigen kleinen Wohnungen derart wiederhergestellt, dass es seine alte
urbane Qualität und seinen Charme trotzdem nicht wieder gewann. Auch wenn
es dort, wie rund ums Café May am Park, viele schöne Ecken gibt – diese
gewisse metropole Quirligkeit wie einst, sie fehlt.
## Was schuf der Herrgott im Zorn?
Fragt man junge Leute, wo in Hamburg sie eine Wohnung suchen, nennen sie
nur Eimsbüttel, Altona und Ottensen und natürlich das legendäre
Schanzenviertel, beliebt sind die alten Gründerzeitbauten westlich der
Alster. „Billstedt, Hamm und Horn, schuf der Herrgott im Zorn“, lautet ein
Taxifahrerspruch, der angesichts der „Operation Gomorrha“ als Witz nicht
mehr richtig zündet.
Wir fahren vom Mahnmal an der Hammer Kirche kommend über einen steilen
Radweg den Geesthang runter nach Unten-Hamm. Anfangs noch an teils
propperen, keineswegs prunkvollen Wohnhäusern vorbei, bald aber auf lauten
Autostraßen mit ungemütlichem Lkw-Verkehr.
Das untere Hamm und Hammerbrook wurden als Wohngebiete viele Jahre eben gar
nicht wiederaufgebaut. Vor dem Bombardement gab es mehr Brücken, viel mehr
Kanäle, mehr Wohnhäuser, mehr urbane Infrastruktur, sogar eine U-Bahn-Linie
– die sich, so die Hamburger Stadtplanung, wieder in Verkehr zu bringen
nach 1945 nicht mehr lohnte.
Viele Alte erinnern sich noch sehr gut, ihre Erinnerungen sind voll da.
Auch die Mutter der Co-Autorin erzählt von diesen Bombennächten. Sie kam
gerade mit ihrer Mutter und ihren kleinen Brüdern von einer vorsorglichen
Landverschickung zurück nach Hamburg, als der Himmel am Hauptbahnhof
schwarz vor Rauch war. Ihr Vater kaperte kurz entschlossen das Motorrad
seines Nachbarn mit Beiwagen und fuhr damit die fünfköpfige Familie
schnellstmöglich raus aus der Stadt ins 30 Kilometer entfernte Siek. Auch
von dort sah man die Flugzeuge am Himmel.
Seit der Ukrainekrieg ausgebrochen ist, spricht die 86-Jährige häufiger
davon, wie viele ihrer Generation in dieser Stadt. Die Zeitzeugen, die den
„Feuersturm“ erlebten, sehen sich durch den Krieg in der Ukraine
hochbelastet. So berichtet es Ulrich Lamparter von der Hamburger Uniklinik
Eppendorf, der Betroffene im Rahmen des Projekts „Das Erinnerungswerk
Hamburg Feuersturm 1943“ im Mai 2022 befragte.
## Manifeste posttraumatische Symptome
Es ist bereits das zweite Forschungsprojekt. Das erste wurde 2013
abgeschlossen und kam zu dem Fazit, dass die Erinnerung an diese Nächte
sehr präzise sich hält und in einer Art Sondergedächtnis abgespeichert
bleibt, wie Lamparter kürzlich bei einem Vortrag berichtete. Bei etwa einem
Drittel der über 60 befragten Überlebenden zeigten sich manifeste
posttraumatische Symptome, bei einem weiteren Drittel eine „basale
Erschütterung“.
Die Aufarbeitung der psychomentalen Folgen sei lange Zeit rudimentär
gewesen „und musste angesichts des Holocaust auch rudimentär bleiben“,
sagte er und zitierte Hort Eberhard Richter mit dem Satz, „Es war nicht
vorzeigbar, was an Zufügungen im Dienste des Nazi-Unrechts geschehen war.“
Und doch blieb immer ein Schmerz, eine Wunde bei den Überlebenden, die
öffentlich kaum thematisiert werden konnte.
Die Friedensbewegungen der Nachkriegszeit, interessanterweise sowohl in
Großbritannien wie in der Bundesrepublik, speiste sich aus den
Überlebenden, jenen Menschen auch in Hamburg, die auf „Krieg“, wie sie
sagen, unbedingt verzichten wollen, jetzt und für alle Generationen nach
ihnen.
Lamparter befragte auch Kinder von Zeitzeugen. Die Hälfe hat konkretes
Wissen über die damaligen Luftangriffe und kann sich in das Erleben der
Eltern einfühlen. Und auch wenn die beiden Generationen es nicht leicht
miteinander gehabt hätten, stimmten sie einig der Aussage zu: „Ich wollte,
dass meine Kinder wissen, wie schlimm Krieg ist.“
Es gibt Zukunftspläne für die geschundenen Viertel. Auf der Nahtstelle
zwischen der Hafencity, dem Hafen und Hammerbrook und Hamm, am Ausgang der
Elbbrücken, entsteht das zukünftig höchste Gebäude der Stadt, der
„Olaftower“ genannt wird, weil der frühere Bürgermeister Olaf Scholz sich
für dieses Projekt stark gemacht hat.
Danach sind die Areale, die die „Operation Gomorrha“ plattmachte, wieder
dran. Nicht mehr nur Gewerbegebiet, sondern schöne Wohnhäuser mit viel
Grün, ein bisschen so wie früher, etwa wie das Osterbrook-Viertel, das in
Unten-Hamm schon entstanden ist.
## „Gute Mischung, gute Busverbindung“
Da in der Nähe, an der Bushaltestelle Braune Brücke an der Süderstraße, der
Zentralachse von Unten-Hamm, steht eine Frau, wie sie äußerlich zur Roten
Flora im Schanzenviertel nicht besser passen könnte. Darf man fragen?
Gerne! Lebst du hier? Sie heißt hier Lisa, und sie sprudelt los: „Ja, seit
vier Jahren. Ist ja keine rechte Ecke mehr hier. Früher viele Hell’s
Angels, Zuhälter und so. Jetzt wohnen hier klasse Leute. Gute Mischung,
gute Busverbindung nach Altona und in die Stadt.“
Und in Wurfweite entfernt eine Kneipe an der Bille, dem dritten Fluss
Hamburgs, idyllisch gelegen, szenig, weltoffen, aufgeklärt, mit
alternativem Programm zum Gedenken an die „Operation Gomorrha“. Die
Bürgerinitiative BOOT – Untertitel „Sport, Kultur, Nachbarschaft und
Gastronomie im Billebecken“ – nimmt sich der Erinnerungen an.
Es heißt zum Anspruch: „Die friedliche Heilung der Stadt ist ein wichtiger
Prozess – wir sehen uns mit unseren Zielen im BOOT e.V. als Teil dieses
Heilungsprozesses. Wir halten es aber für ebenso wichtig, den Blick auf die
Lücken frei zu halten – Sie zeigen uns, dass nichts, was wir zu sehen
meinen, selbstverständlich für immer da sein wird.“
## Sich kümmern um die Folgen des „Feuersturms“
Stephanie Kanne, Kollegin von Stadtteilarchivar Gunnar Wulf, ist
Historikerin – und seine designierte Nachfolgerin. Wird sie sich denn auch
um die Folgen des „Feuersturms“ kümmern? Sie sagt: „Natürlich mache ich…
dieser Frage weiter. Mich interessieren aber auch Fragen des Kolonialismus,
dazu habe ich bereits in einem Museum gearbeitet.“
Sie meint zum Beispiel die Teilhabe wohlhabender Hamburger an kolonialer
Ausbeutung (nicht nur) in Afrika. Hamburger, die so prunkvolle Häuser wie
die Villa Ohlendorff in Hamm bauen konnten. „Ich werde da mit Oben-Hamm zu
tun haben“ – diese Aufarbeitung stehe jetzt an.
So geht die Zukunft, auch für diesen Stadtteil – wie sonst?
25 Jul 2023
## LINKS
[1] https://hh-hamm.de/home/stadtteilarchiv/
[2] https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/asearch
[3] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/13229782/2019-11-20-basfi-bkm-platz…
[4] https://www.ub.hsu-hh.de/ausstellung-ausgebombt-hamburgs-gomorrha-1943-und-…
## AUTOREN
Jan Feddersen
Kaija Kutter
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