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# taz.de -- Öjendorfer See in Hamburg: Alster für Arme
> Am Stadtrand von Hamburg liegt der Öjendorfer See. Nach dem Krieg wurden
> dort Trümmer entsorgt. Heute ist es ein Ort zum weit Gucken.
Bild: Weit gucken zwischen Scherben
Hamburg taz | Es gibt in Hamburgs Osten einen schönen See, da können
Spaziergehende kilometerweit gucken. Am tollsten ist der Blick vom
Nordende. Da stehen wie in einem Amphitheater Bänke am grünen Uferhang, mit
Glück sind sie bei Sonnenschein nicht alle besetzt. Daneben ein Unterstand
mit Aushang vom Naturschutzbund. Wann immer sonntags die Vogelführung ist.
Aber bitte mit E-Mail-Anmeldung.
Kleiner Schönheitsfehler: Hinter uns rauscht die Autobahn nach Berlin. Die
muss man auch kurz überqueren, will man von Norden auf kürzestem Weg über
ein Sträßlein namens „Bruhnrögenredder“ zum See stoßen. Mit dem E-Bike …
das gut, es führt eine schmale Brücke über diesen Autobahngraben. Die zu
überqueren, ist jedes Mal spannend, die letzte Challenge vorm Ziel. Man
macht die Ohren zu oder stellt sich vor, die Autobahn wäre ein wildes
Wasser.
Endlich angekommen, muss man um den Öjendorfer See auf jeden Fall einmal
rum und es wird auch gleich still. Aus der Luft sieht der langgezogene See
aus wie der kleine Zwilling von Hamburgs berühmter Alster. Nur dass hier in
den Quartieren drumherum die ärmere Bevölkerung lebt, das zeigt ein Blick
auf Hamburgs Stadtteilstatistiken. Die Kinderarmut ist hoch, die
Altersarmut ebenso. Hinweisschilder, etwa darauf, keine Wasservögel zu
füttern, sind hier auf Deutsch und Türkisch.
## Hunde und Hundebesitzer
Und viele Hunde gibt es. Und Hundebesitzer, die sich über ihre Hunde
anfreunden und Gruppen von Hundefreunden, die sich längst kennen. Und auch
mal Gemecker, wenn ein Tier ohne Leine läuft und kläfft. „Wie blöd kann man
nur sein?“, schimpft den Besitzer ein anderes Herrchen an.
Dabei ist der Park wirklich weit, umfasst laut Umweltbehörde 150 Hektar.
Und es gab ihn nicht schon immer. Vor hundert Jahren waren hier Felder,
dann wurde hier von 1925 bis 1929 Kies und Sand abgebaut, um ein
benachbartes Marschgebiet für den Wohnungsbau aufzuschütten. Dann kam der
Krieg und die zehn bis zwölf Meter tiefe Grube wurde mit Trümmern gefüllt
aus dem fast vollständig zerstörten Stadtteil Hamm. Dafür fuhr von dort bis
zum heutigen Park bis 1954 eine Trümmerbahn.
Der Park mit seinen Hügeln und einem Rodelberg wurde erst 1968 fertig. Da
war die Autorin vier, lief dort als Kind Schlittschuh, wenn der See
gefroren war und endlos groß erschien. Ebenso wie der Berg, von dessen
Grashängen sich die Kinder im Sommer runterrollen ließen.
Dann und wann lag auf den Wegen eine Scherbe aus Porzellan. Und die Eltern
erklärten das mit jenem Krieg, diesem unfassbaren. Auch heute noch wird,
wer nach unten guckt, fündig. Kleine weiße Fitzelchen, teils noch blau
bemalt, kaputte Kacheln, Reste von Tassen und Schüsseln erinnern an die
traurige Geschichte.
Als Erwachsene hat die Autorin das Gelände, an das heute auf westlicher
Seite auch noch ein großer Friedhof anschließt, als langweilig verbucht.
Bis eines Tages ein Informant, der etwas loswerden wollte, zum Gang um den
See einlud, da er den Ort als abhörsicher einschätzte. Etwas umrunden
können, dabei weit auf Wasser gucken und reden, das gibt es sonst so in
Hamburg nur an der Alster.
Nur ist es an der Alster sehr voll, und die Schwäne sind im Winterquartier.
Hier in Öjendorf ist Anfang Februar auf der Wasserfläche viel los. Junge
Schwäne plustern sich auf, schlagen mit den Schwingen und fliegen eine Art
Scheinangriff auf Artgenossen. Die Paarungszeit scheint zu beginnen. Auch
Gänse, Rohrdommeln und andere Vogelarten leben auf dem Wasser, ihre Welt
ist heute durch viel Gestrüpp und teils durch Zäune vor uns Menschen
geschützt. Direkt ans Ufer so wie früher beim Schlittschuhlaufen kommt die
Autorin heute nur an einzelnen Stellen, etwa den zwei Badestränden.
## Diesen Winter rauscht der Fluss
Trotzdem ist es ein toller See. Dass sich die Grube mit Wasser füllte,
liegt an einem Durchstich vom benachbarten Schleemer Bach. In diesem
regenreichen Winter rauscht der Zufluss. Am Südende des Sees, wo auch ein
Kiosk offen hat und ein Minigolfplatz überwintert, läuft das Wasser ab und
wieder zurück in den Bach. Ein zweiter Kiosk steht am Nordende bei einem
großen Spielplatz neben einer riesigen Wiese, deren Beschilderung im Sommer
das Grillen erlaubt.
Der ganze Park ist Teil des von der Hamburger Umweltbehörde vor einigen
Jahren definierten „Grünen Rings“ um die ganze Stadt, auf dem im April
einige Hundert Verrückte versuchen, beim „Mega-Marsch“ in einem Stück die
100 Kilometer rund um Hamburg zu wandern (die meisten brechen das ab). Der
grüne Ring ist möglich, weil es solche Parks und Flüsschen gibt wie hier.
Einmal rundrum um einen See zu gehen, hat etwas Befriedigendes, und um den
Öjendorfer See ist das machbar. Anders als an der Alster bewegt man sich
hier auf keinem Laufsteg, es gibt keinen „Sehen-und-Gesehen-werden“-Effekt.
Am Westufer ist der von Buchen gesäumte Weg manchmal sehr matschig, dann
geht es nur von Pfütze zu Pfütze. Das ist blöd, wenn einem ein Herrchen mit
Kampfhund entgegenkommt. Aber das geschieht nur selten.
3 Mar 2025
## AUTOREN
Kaija Kutter
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