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# taz.de -- Theodor Fontane und Brandenburg: Fast unverfälscht
> Mit seiner spezifischen Art hat Theodor Fontane dem Tourismus in
> Brandenburg den Weg geebnet. Eine Wanderung um den Stechlinsee.
Bild: Der große Stechlinsee im Abendlicht
Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheimnisvoll, einem Stummen
gleich, den es zu sprechen drängt. Aber die ungelöste Zunge weigert ihm den
Dienst, und was er sagen will, bleibt ungesagt. Und nun setzten wir uns an
den Rand eines Vorsprungs und horchten auf die Stille.
Die blieb, wie sie war: kein Boot, kein Vogel, auch kein Gewölk. Nur Grün
und Blau und Sonne.“ So beschrieb Fontane 1873 seinen Besuch am Großen
Stechlinsee. 145 Jahre später setzen wir uns wie er ans Ufer und lassen den
See auf uns wirken. Es ist ein kalter, aber freundlicher Wintertag.
Die Bänke am Ufer sind verwaist. Der Kiosk, der im Sommer die Badegäste mit
Bockwurst und Caipirinha versorgt, ist geschlossen. Auch die Kanus sind
verschwunden. Der Wind kräuselt die riesige Wasserfläche, die sich im
dichten Waldgebiet des Naturparks ausbreitet. Ansonsten ist es still. Wie
zu Fontanes Zeiten.
Der See ist noch immer eins der tiefsten und klarsten Gewässer Brandenburgs
– sein Name leitet sich vom slawischen steklo für „Glas“ her. „Er geht…
Fuß tief, und an mehr als einer Stelle findet kein Senkblei seinen Grund“,
schrieb der Dichter. Was es zu seiner Zeit nicht gab, ist die Fischerei
Stechlinsee. An der kommen wir vorbei, als wir den See auf dem Uferweg
umrunden. Zwei schlichte Häuschen, davor rustikale Holztische und Bänke.
Die meisten nennen sie „Alte Fischerhütte“.
Schon seit mehreren Generationen spannt die Familie Böttcher hier die Netze
aus. „Mein Opa baute die Fischerei auf, als er 1948 aus Westpreußen kam“,
erzählt Rainer Böttcher. Er selbst hat eher widerwillig den Beruf von Vater
und Großvater ergriffen. Doch heute ist er froh darüber. Auch seinen Sohn
konnte er überzeugen. „Wo hat man sonst so viel Freiheit?“, fragt er. „Es
gibt ja keinen, der uns bei der Arbeit reinreden kann. Und wenn du dann
morgens auf den See rausfährst und die Vögel zwitschern hörst, möchtest du
mit niemand sonst tauschen.“ Einträchtig sitzt er mit Vater und Sohn auf
der Bank in der Sonne. Vor ihnen die Aquakultur, aus der sie Forellen,
Saiblinge und Welse fischen. Aale und Barsche holen sie aus dem See.
Und die Stechlin-Maräne, die als besondere Delikatesse gilt. Was dagegen
nicht im Räucherofen landet, ist die Fontane-Maräne. Sie wurde erst vor
etwa fünfzehn Jahren vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie entdeckt,
das gegenüber der Fischerei am Seeufer steht. Zu Ehren des Schriftstellers
hat man die endemische Fischart auf seinen Namen getauft. Schließlich hat
er mit seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und vor allem durch
den Roman „Der Stechlin“ dem See ein literarisches Denkmal gesetzt. Und
wenn es eine Gegend gibt, die zeigt, was Literatur bewirken kann, dann ist
es die um den Großen Stechlinsee.
Als der Autor das erste Mal hierherkam, war Neuglobsow, der Ort am See,
noch eine ärmliche Glasmachersiedlung. Von ihr hat sich das über 230 Jahre
alte Glasmacherhaus erhalten, ein uriges kleines Fachwerkhäuschen, in dem
heute die Touristeninformation untergekommen ist.
Eine Ausstellung gibt dort Einblick in die Geschichte der Glashütte, die
1780 unter Friedrich dem Großen begründet wurde, um grünes „Waldglas“
herzustellen. „Es war eine Frau, die tatkräftige Johanna Pirl, die die
Glashütte nach dem Tod ihres Mannes zum Erfolg führte“, betont
Kulturführerin Renate Fechner. Doch die Arbeits- und Lebensbedingungen
sollen alles andere als rosig gewesen sein. Die schwere Arbeit der
Glasbläser, die die ganze Lungenkraft erforderte, führte zusammen mit den
prekären hygienischen Verhältnissen oft zum frühen Tod.
„Hütte neben Hütte; sonst nichts sichtbar als der Rauch, der über die
Dächer zog“, fasste Fontane seine Eindrücke aus Neuglobsow zusammen. Schon
bald nach seinem Besuch wurde die Glashütte unrentabel und 1890
stillgelegt. Die Bevölkerung schrumpfte. Und wer weiß, was von dem Ort
übrig geblieben wäre, hätte der Autor der „Wanderungen“ nicht seinen Les…
vom Stechlinsee vorgeschwärmt. Noch mehr sorgte sein 1898 erschienener
„Stechlin“ dafür, dass immer mehr Neugierige kamen und bald ein reger
Ausflugsverkehr einsetzte.
## Sommerfrischeträume
Nach diversen Intellektuellen fanden sich Unternehmer und Bankiers ein, die
sich ihre Sommerfrischeträume in Form von stolzen Villen mit Namen wie
Versunkene Glocke oder Friesenhaus verwirklichten. Zu ihnen gehört auch die
Villa Bernadotte, die zwischen den eher schlichten Häusern heraussticht.
„Manche Besucher halten sie für das Schloss Stechlin. Aber das hatte
Fontane ja frei erfunden“, schmunzelt die Führerin.
Sie erzählt, dass es um 1900, kurz nach Erscheinen des „Stechlin“, einen
regelrechten Bauboom gab und der Bodenpreis zwischen 1903 und 1910 von
sechzig Pfennig auf sechs Goldmark stieg. Bald war Neuglobsow nicht mehr
das „Verlassenste, Einsamste und Schönste, was man sich nur denken konnte“,
wie Hans Fallada in seinen Jugenderinnerungen „Damals bei uns daheim“ etwas
wehmütig schreibt. Die rasante Entwicklung gipfelte 1928 in der
Inbetriebnahme der Kleinbahn Gransee–Neuglobsow, die Zigtausende von
Erholungssuchenden hierherbrachte, 1945 allerdings als Reparationsleistung
komplett demontiert wurde.
Und heute? Neuglobsow ist ein beliebter staatlich anerkannter Erholungsort.
Es gibt ein überschaubares Angebot an Lokalen und Unterkünften. Neben der
1779 eröffneten Gaststätte, heute Fontanehaus, wo der Dichter zweimal
Quartier bezogen haben soll – Spezialität ist die als „Fontane-Schmaus“
angepriesene, mit Speck und Porree gefüllte Rinderroulade –, kann man im
Luisenhof, in diversen Ferienwohnungen und Privatzimmern unterkommen.
„In der Saison könnten wir schon noch das eine oder andere Hotel brauchen“,
heißt es in der Touristeninformation. Aber im Herbst lasse die Nachfrage
merklich nach. Dann macht Neuglobsow einen sehr beschaulichen Eindruck. Und
auch das dürfte in gewisser Weise dem Dichter geschuldet sein. Einerseits
hat er mit seinem Werk den Großen Stechlinsee bekannt gemacht, andererseits
aber auch bewirkt, dass der frühzeitig – 1938 – unter Naturschutz gestellt
wurde.
## Fontane-Events
Zwar hat auch das nicht verhindern können, dass zu DDR-Zeiten ganz in der
Nähe ein Atomkraftwerk errichtet wurde: längst stillgelegt, aber noch nicht
ganz zurückgebaut, sodass aus dem Wald unheimliche Türme ragen. Doch das
Ufer blieb unverbaut. Spätestens mit der Gründung des Naturparks
Stechlin-Ruppiner Land wurde 2001 auch weiteren Landschaftszerstörungen ein
Riegel vorgeschoben.
So ist es ein Genuss, auf dem Uferweg in rund drei Stunden den See zu
umrunden – auch und gerade an schönen Wintertagen, wenn alles still ist.
Wer weiß, wie viele Neugierige sich mit der Fontane-App auf den Weg machen,
wenn in diesem Jahr der 200. Geburtstag des Dichters gefeiert wird!
Jedes Stück Brandenburg, das der Dichter in irgendeiner Weise durch seine
Werke geadelt hat, wird sich in das Jubiläumsprogramm einreihen. Mit
Ausstellungen, Lesungen, Theaterstücken, Installationen und kulinarischen
Spurensuchen bestücken die unterschiedlichsten Orte die nächsten zwölf
Monate mit Fontane-Events.
Tatsächlich ist Brandenburg dem Dichter zu Dank verpflichtet. Mit seinen
„Wanderungen“ hat er die Mark überhaupt erst auf die touristische Landkarte
gesetzt. Ohne die vier Bände mit je 400 bis 600 Seiten, die er dem Land
zwischen Oder und Elbe gewidmet, im Lauf von Jahrzehnten immer wieder
ergänzt und aktualisiert hat, würde vielen wohl heute noch Brandenburg als
Pampa gelten.
Dabei sind seine „Wanderungen“, die er eher in der Art eines modernen
Freelancers recherchiert hat, ein merkwürdiges narratives Konstrukt: ein
kunterbunter Mix aus Reportage, Anekdoten, Auszügen aus Kirchen- oder
Tagebüchern einschließlich seitenlanger, ermüdender
Schlachtenbeschreibungen. Aber gerade diese unorthodoxe Art von
Reiseliteratur hat mehr Wirkung gezeigt als alle möglichen
Hochglanzbroschüren der Tourismuswerber.
Vielleicht, weil der Autor die bedeutenden Städte wie Potsdam ausgelassen,
sich auf weniger bedeutende, auch unscheinbare Orte konzentriert und auch
solche erwähnt hat, die so langweilig sind, dass sie nicht leben und nicht
sterben können.
Gleichzeitig nimmt er ein hochaktuelles Marketinginstrument vorweg, das
Storytelling. Indem der Autor Geschichten von Land und Leuten erzählt,
dabei Testimonials von Wirtinnen, adligen Schlossherrn oder gesprächigen
Kutscher anführt, hat er den Orten ein Gesicht und dem Land eine Identität
gegeben. Ähnliches haben seine Romane, Erzählungen und Gedichte bewirkt.
Was wäre Ribbeck heute ohne die Ballade vom Birnbaum und dem gutmütigen
Gutsherrn?
Es wäre irgendein Ort, aber nicht die schmucke Visitenkarte des Havellands,
zu der es sich nach der Wende gemausert hat, weil die Bewohner – und
allerlei Zugereiste – dort die Legende vom Birnbaum weitergesponnen haben.
Nun helfen sie die Sehnsucht stillen, die Fontane mit seinen Zeilen erzeugt
hat. Dem Beispiel des Bilderbuchdorfs versuchen nun auch andere zu folgen.
Karwe, Paretz, Plaue – sie alle sitzen in den Startlöchern, um sich im
Fontane-Jahr neu zu positionieren. Nur gut, dass der Große Stechlinsee
nicht angetastet werden darf. Fontane sei Dank!
19 Jan 2019
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Brandenburg
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Tourismus
Schwerpunkt Stadtland
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Juli Zeh
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