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# taz.de -- Deutscher Humor: Der Mario Barth des Bürgertums
> Zum Auftakt des Fontane-Jahrs ein Anwurf: Der Schriftsteller Theodor
> Fontane ist schuld, dass deutsche Komödien so schlecht sind.
Bild: Fontane-Denkmal in Neuruppin, Brandenburg. Nicht komisch
Es gibt viele schlechte Gründe zum Lachen: Nach-unten-Treten, Sexismus,
Rassismus, Klassismus; sich lustig machen über Schwächere – eine
Machtgeste. Das bloße Nachäffen von Politiker*innen, wie es Oliver Welke in
der „Heute-Show“ praktiziert. Das sich Hinwegsetzen über andere, denen sich
das Publikum moralisch überlegen fühlt. Selbstgerechtigkeit: Hauptsache,
mensch sitzt auf der richtigen Seite.
Der Apotheker, Reisereporter und Romancier Theodor Fontane wäre dieses Jahr
200 Jahre alt geworden. Und Fontane gilt in deutschen Klassenzimmern als
großer Humorist. Doch auch er wählte die schlechten Gründe zum Lachen.
Fontane war der Mario Barth des Bürgertums, und darunter leiden wir noch
heute.
„Sonderbar, ich kann Sherry vertragen und auch Port, wenn er lange gelagert
hat, aber Mosel und Selterwasser, das benimmt mich ….“ Im Frühjahr 1892
druckte die Deutsche Rundschau die Satire „Frau Jenny Treibel“; es ist
Fontanes Werk mit dem höchsten Redeanteil, gezimmert wie eine
Fernsehkomödie. Fast alle Figuren entstammen der Bourgeoisie. Die eine
Familie, Treibel, erlangt ihr Prestige durch Bonzentum; Schmidts, die
anderen, fachsimpeln lieber im erlauchten Kreis von Gymnasiallehrern.
Frau Kommerzienrätin Jenny Treibel palavert zwar von hehren
Bildungsbürger-Idealen: „Aber mir gilt die poetische Welt (…), am
nichtigsten aber ist das, wonach alle Welt so begehrlich drängt:
äußerlicher Besitz, Vermögen, Gold.“ Doch praktiziert sie stets das
Gegenteil – spätestens seitdem sie ihren Jugendfreund Willibald Schmidt für
den reichen Fabrikanten Treibel hat sitzen lassen. Diese Menschen werden
wohl nie die times of their lives haben, aber mithilfe von Komik und Ironie
finden sie sich dann doch zurecht im Leben – zugegeben, das zu lesen ist
bisweilen amüsant.
Das Leben zu erheitern, und keinen Deut mehr, ist auch das schlichte Ziel
vieler Komödien, und die vermeintlichen Defizite der anderen sind weiter
das probateste Mittel, Lacher zu erzielen. Seit dieser Woche zum Beispiel
läuft „Kalte Füße“ im Kino: Eine Verwechslung bringt Denis, einen
halbstarken Kleinkriminellen, ins Haus des Schlaganfallpatienten Raimund,
den er nun zu pflegen hat. Die beiden ergehen sich in Scharmützeln; statt
eines Bads sprüht der Junge den Alten mit Deo ein, der spuckt dem Jungen
Brei ins Gesicht. Scheiße! Fuck! Beide Charaktere sind letztlich wirklich
fies, blöde und nix darunter, Raimunds Enkelin lutscht an Denis’ gefrorenem
Urin.
Als Blaupause für „Kalte Füße“ diente offenbar der französische
Kassenschlager „Ziemlich beste Freunde“ (2011). Doch übertritt dieser Film
tatsächlich soziale Grenzen zwischen den ungleichen Figuren, erst so mischt
der Arbeitslose Driss aus der Banlieue das Leben des reichen,
querschnittsgelähmten Philippe auf – da sind die Menschen nicht einfach nur
die, als die sie anfangs erscheinen. Und sie sind erst recht keine
Witzfiguren.
Fontane aber will mit seinem Humor genauso wenig die Verhältnisse zum
Tanzen bringen wie viele deutsche Komödien. Für ihn ist Humor kaum mehr als
eine Haltung, mit der er sich und seine Figuren über die Welt stellt. An
den Fabrikanten Friedrich Witte schrieb er schon 1851, der Humor sei „das
göttliche Durcheinanderschmeißen von Groß und Klein, ein keck-lustiges
Auf-den-Kopf-Stellen unserer Satzungen“. Fontane wollte seinem Publikum
bewusst machen, dass es selbst nur ein ganz kleiner Teil der Welt ist.
## Nur ein Mittel, die Welt erträglich zu machen
So schrumpft Fontanes Humor zum Mittel, das Schlechte in der Welt
erträglich zu machen – aber nichts daran zu ändern. Nur drei Jahre vor
Erscheinen der „Jenny Treibel“ erörtert er dies mit einem weiteren
Brieffreund, Friedrich Stephany: Der Realismus werde „erst ganz echt sein,
wenn er sich (…) mit der Schönheit vermählt und das nebenherlaufende
Häßliche, das nun mal zum Leben gehört, verklärt hat. Wie und wodurch? Das
ist seine Sache zu finden; der beste Weg ist der des Humors.“
Mit dem Hässlichen fertigwerden: Schließt das etwa aus, die Verhältnisse
zum Wackeln zu bringen – Missstände anzugreifen und die Menschen, die sie
verantworten? Kritische Geister wünschen sich heute gerne das Disruptive,
auch vom Humor; das politische Kabarett aber bestätigt lieber die
Selbstgerechtigkeit seiner Anhänger*innen. Subversiv ist das nicht. Anders
als etwa die australische Comedian Hannah Gadsby, die vergangenes Jahr das
Unerwartete tat – und sich öffenlich weigerte, weiter um ihr Lesbischsein
drumrumzuwitzeln, zu sehen in ihrem Programm „Nanette.“ Manchmal ist das
beste Lachen jenes, das im Halse stecken bleibt.
Der Humor Fontanes aber verbleibt stets im Feld der Selbstironie. „Es
scheint mir eine törichte Annahme, dass auf den Höhen der Menschheit das
Eheglück ausgeschlossen sein solle“, klotzt Jenny. Toll, über sich selbst
lachen zu können. Doch was, wenn sich dadurch zwar alle entwaffnen, sich
aber nichts ändert?
Lachen kann befreiend wirken, ja. Aber manchmal führt es auch in eine
unheimliche Enge. So endet Fontanes Realismus in schrecklicher, falscher
Harmonie, wie sie nach wie vor auf vielen Brettern und Leinwänden gezeigt
wird – das Publikum bekommt, was es erwartet. Kennste, kennen alle, und wir
verstehen uns.
Sicher hilft Humor, die Welt (und sich selbst) zu ertragen. Aber das reicht
doch nicht.
13 Jan 2019
## AUTOREN
Fabian Stark
## TAGS
Theodor Fontane
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Deutscher Film
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Französisches Kino
Theatertreffen Berlin
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