| # taz.de -- ARD-Doku „Der Fall Biermann“: Der von drüben | |
| > Vor 40 Jahren wurde Wolf Biermann ausgebürgert. Eine Doku erinnert an die | |
| > großen Zeiten des Sängers und an einen Staat, der keine Kritik ertrug. | |
| Bild: Heute hier, morgen dort. Ach nee, das war er nicht. Passt aber gut zu Wol… | |
| Geht es heute um die DDR, scheint es oft als wäre der erste | |
| Arbeiter-und-Bauernstaat auf deutschem Boden ein etwas piefiges, aber | |
| ansonsten harmloses Ländchen gewesen. Und Wolf Biermann kommt heute meist | |
| rüber wie ein ziemlich aufgeblasener Typ, der nicht gut singt und noch | |
| schlechter Gitarre spielt. | |
| Der Dokumentarfilm „Der Fall Biermann – Mit der Gitarre gegen die | |
| Staatsmacht“ zeigt, dass beides nicht stimmt. Er steigt ein mit Szenen von | |
| den Weltjugendfestspielen in Berlin, Hauptstadt der DDR, im Sommer 1973: | |
| Hippies liegen auf der Wiese vor dem Fernsehturm auf dem Alexanderplatz, | |
| FDJler knutschen auf einer Parkbank. Der Sprecher sagt: „Die sonst so | |
| präsente Staatsmacht ist kaum zu spüren.“ | |
| Dabei war die Stasi überall. Nur: „Im Gegensatz zum Normalzustand ließen | |
| sie das laufen“, sagt der Historiker Bernd Florath. Verantwortlich für das | |
| Fest, mit dem eine weltoffene DDR präsentiert werden soll, ist Erich | |
| Honecker, seit 1971 starker Mann im ostdeutschen Staat. | |
| Der DDR-Musiker Wolf Biermann, der eigentlich schon seit Jahren nicht mehr | |
| öffentlich auftreten darf, hat große Hoffnungen in die Festspiele gesetzt. | |
| Ganz offiziell hat er ein Lied über den sozialistischen Helden Che Guevara | |
| bei der zuständigen Kommission eingereicht. Es wird abgelehnt. | |
| ## Rübergemacht – in den Osten | |
| Biermann und Honecker sind alte Bekannte. 1950 hatte Biermann, der | |
| Jungkommunist aus dem westdeutschen Hamburg, eine Rede vor dem damaligen | |
| Vorsitzenden der kommunistischen Jugendorganisation der eben gegründeten | |
| DDR gehalten. 1953 zieht Biermann, dessen kommunistischer Vater in | |
| Auschwitz ermordet wurde, in die DDR, wird deren Staatsbürger, macht | |
| Abitur, studiert und geht als Regieassistent an Bertolt Brechts Berliner | |
| Ensemble. Nebenbei singt er, spielt Gitarre – und gründet ein eigenes | |
| kleines Theater, das mit einem kritischen Stück über den Mauerbau den Ärger | |
| der Mächtigen auf sich zieht. | |
| Das Stück wird nicht aufgeführt, das Theater verboten – und dessen Chef die | |
| Mitgliedschaft in der Partei versagt. Aus der Traum von der Karriere im | |
| sozialistischen Deutschland. Was dagegen geht, sind Auftritte im Westen. | |
| Das DDR-Fernsehen berichtet sogar von Biermanns Erfolgen auf den | |
| Ostermärschen. Der hofft auf eine zweite Chance in den DDR. | |
| Stattdessen greift Honecker den Sänger 1965 öffentlich an: Biermann verrate | |
| „sozialistische Grundpositionen“, es sei an der Zeit, der „Verbreitung | |
| fremder und schädlicher Thesen und unkünstlerischer Machwerke, die zugleich | |
| auch stark pornografische Züge aufweisen, entgegenzutreten“. | |
| Nun verschwindet Biermann völlig aus der DDR-Öffentlichkeit. Seine | |
| Schallplatten erscheinen im Westen. Die MDR-Doku zeigt seltene Filmszenen | |
| von den Aufnahmen in der berühmten Wohnung in der Chausseestraße 131. Bald | |
| ist die Fangemeinde in der Bundesrepublik größer als die in der DDR. | |
| ## Rübergemacht (worden) – in den Westen | |
| Wohl auch deswegen hofft Biermann 1973, dass ihm und „Comandante Che | |
| Guevara“ noch einmal eine Chance in dem Teil Deutschlands gegeben wird, für | |
| den er stehen will. Doch der Staat will ihn nicht: Während eines Auftritts | |
| vor linken Gewerkschaftern in Köln am 13. November 1976 wird Biermann die | |
| DDR-Staatsbürgerschaft entzogen und die Wiedereinreise verweigert. | |
| Hintergrundmusik zum Film ist natürlich Biermann selbst. Hingebungsvoll | |
| spielt er Gitarre und singt mit seiner tiefen Stimme seine aufwieglerischen | |
| und zugleich lyrischen Texte. Dabei wird zum einen klar: Trotz aller | |
| Repression war die DDR für Wolf Biermann zum Zeitpunkt seines Rausschmisses | |
| noch immer der Versuch, das sozialistische Paradies auf Erden zu schaffen. | |
| Was ihn von den Machthabern unterschied, war eine Frage: Wie? | |
| Zum anderen wird deutlich, dass Wolf Biermann einmal ein großartiger Autor, | |
| Instrumentalist, Sänger und Performer war. Und die DDR ein mieses | |
| Spießerregime, dessen Oberguru sich nicht entblödete, Kulturschaffende | |
| persönlich kaltzustellen. | |
| 8 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Rüdiger Rossig | |
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