# taz.de -- Verhaftungswelle in der Türkei: „Cumhuriyet“ baut auf Solidari… | |
> Auch nach der Festnahme von 13 Mitarbeitern macht das Traditionsblatt | |
> weiter. Die Dienstagausgabe erscheint mit dem Titel „Wir geben nicht | |
> auf“. | |
Bild: Der Protest geht weiter, die Zeitung druckt weiter: Demonstration für �… | |
Berlin taz | In seiner 93-jährigen Verlagsgeschichte hatte Cumhuriyet so | |
manchen Kampf zu bestehen. Seine Journalisten wurden nicht nur bedroht oder | |
inhaftiert, sondern sieben von ihnen ermordet; in den 1990er Jahren war das | |
fast normal. | |
Vor etwa einem Jahr sah die Cumhuriyet-Zentrale von außen genauso aus wie | |
heute. Polizei sperrte die Straße mit gepanzerten Fahrzeugen ab und | |
Menschen riefen Parolen, wonach Cumhuriyet von seinen Unterdrückern zu | |
befreien sei. Seit Montag sitzt der Chefredakteur wieder hinter Gittern. Es | |
scheint, als seien der Regierung die Feinde ausgegangen. | |
Der stellvertretende Premierminister Numan Kurtulmus sagte, dass dies keine | |
Operation gegen Cumhuriyet gewesen ist, sondern eine gegen die Stiftung, | |
der Cumhuriyet gehört. Premierminister Binali Yıldırımwar ehrlicher. | |
Angesichts von Kritik aus dem Westen schlug er im Stil seines Mentors Rezep | |
Tayyip Erdoğan zurück: „Die Türkei ist kein Land, das sich von Drohungen | |
zurechtweisen lässt. Wir werden nicht von euch ‚Pressefreiheit‘ lernen. Wir | |
werden diejenigen, die ganz offen Fetö (die Gülenisten) unterstützen, nicht | |
straflos davonkommen lassen.“ | |
Aus der Sicht jener Medien, die es sich im Schoße der Regierung bequem | |
gemacht haben, waltet nun Gerechtigkeit. „Operation gegen die | |
Terrorfestung“, lautet eine Schlagzeile. Aber die Festung ist noch nicht | |
vergiftet. Studenten, Politiker, Journalisten, Aktivisten, Rentner – jeder, | |
der bereit ist, Stellung zu beziehen, ist da. Es werden Lieder voller Stolz | |
und Empörung gesungen, es werden Nächte im Freien unter Decken verbracht, | |
denn sie wissen, dass die Regierung nur den richtigen Moment abwartet, um | |
erneut zuzuschlagen | |
## „Wir geben nicht auf“ | |
Und die Zeitung lebt. Am Dienstag erschien sie mit der Schlagzeile „Wir | |
geben nicht auf“. Dort, wo sonst Kolumnen der jetzt Festgenommenen stehen, | |
zeugen weiße Flecken von dem Polizeieinsatz und den 13 Festnahmen. | |
Ozan, der wie andere Kollegen seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen | |
möchte, arbeitet seit zehn Jahren bei Cumhuriyet. Er leitet das | |
Inlandsressort. Er arbeitet an diesem Dienstag genauso hart wie an jedem | |
anderen Tag an der Zeitung. Seine Kollegen sind im Gefängnis, seine | |
Unterstützer sind auf der Straße. | |
„Es ist im Moment nicht klar, was in den Köpfen jener vorgeht, die darauf | |
versessen sind, Cumhuriyetzum Schweigen zu bringen“, sagt er. „Wir wissen | |
nicht, ob sie unseren Vorstand auswechseln oder uns schließen wollen. Was | |
können wir angesichts der Tyrannei noch aushalten? Wie ertragen wir es, | |
wenn unsere Zeitung, die unsere Heimat ist, geschlossen wird? Aber wir | |
kämpfen noch. Solange diese Leute, die draußen stehen und die ganze Nacht | |
warten, uns trotz der Raserei der Polizei schützen; solange sich weltweit | |
Stimmen erheben, so lange gibt es Widerstand. Das gibt uns Hoffnung.“ | |
Canan ist Gerichtsreporterin für Cumhuriyet. Sie steht demnächst selbst vor | |
Gericht, der Staatsanwalt fordert für sie 23 Jahre Haft wegen eines | |
Artikels darüber, wie Staatsanwälte Luxuswohnungen zu Sonderpreisen | |
erwarben. „Ich war noch nie so tief besorgt wie heute“, sagt sie. „In der | |
Türkei ist jetzt alles möglich. Wir machen weiter unsere Arbeit, so gut wie | |
wir können, denn es gibt keinen Grund für uns, uns zu beugen.“ | |
Necati, seit 12 Jahren Buchhalter bei Cumhuriyet, ist wütend. Seine Chefin | |
Günseli Ozaltay gehörte zur letzten Gruppe von Verhafteten. Er sagt: „Die | |
AKP-Herrschaft wird kommen und gehen, aber Cumhuriyet wird bleiben. Wir | |
werden nicht aufgeben. Nichts ist vorbei.“ | |
Ali Çelikkan ist Cumhuriyet-Reporter und derzeit Gastredakteur der taz. Aus | |
dem Englischen von Dominic Johnson. | |
1 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Ali Celikkan | |
## TAGS | |
Cumhuriyet | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Verhaftungen | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Wolf Biermann | |
EU-Türkei-Deal | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Cumhuriyet | |
Cumhuriyet | |
Pressefreiheit in der Türkei | |
Murat Sabuncu | |
Cumhuriyet | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pressefreiheit in der Türkei: „Cumhuriyet“: Wir geben nicht auf | |
13 Mitarbeiter der Zeitung „Cumhuriyet“ wurden Anfang November | |
festgenommen. Trotzdem arbeitet die Redaktion weiter. Hier beschreibt sie, | |
wie und warum. | |
ARD-Doku „Der Fall Biermann“: Der von drüben | |
Vor 40 Jahren wurde Wolf Biermann ausgebürgert. Eine Doku erinnert an die | |
großen Zeiten des Sängers und an einen Staat, der keine Kritik ertrug. | |
Umstrittenes Flüchtlingsabkommen: Türkei droht der EU | |
Noch vor Ende des Jahres will Ankara den Deal aufkündigen, sollte die | |
Visafreiheit nicht umgesetzt werden. Die EU hatte sie unter Bedingungen | |
zugesichert. | |
Zensur in der Türkei: Redaktionen versiegelt und enteignet | |
Aus den kurdischen Gebieten dürfen de facto keine Journalisten mehr | |
berichten. Ein Medium nach dem anderen wird geschlossen. | |
Kommentar Deutsch-türkische Diplomatie: Mehr Mut wagen! | |
Womöglich kann selbst die Bundeskanzlerin den Staatsumbau in der Türkei | |
nicht ändern. Dennoch wäre ein kritisches Zeichen wichtig. | |
Cumhuriyet-Journalist über seine Zeitung: „Einfach unsere Arbeit machen“ | |
Ali Celikkan beschreibt die Situation nach dem Putschversuch vom Juli – und | |
wieso es falsch ist zu schweigen. | |
Die Geschichte von „Cumhuriyet“: Atatürks Wunschkind | |
Lange galt die Zeitung als einseitig, zuletzt aber nahm der | |
Meinungspluralismus zu. Über Kurdenkonflikt und Armeniergenozid berichtete | |
sie sensibel. | |
Verhaftungen bei „Cumhuriyet“: Schwarzer Montag in der Türkei | |
Ein schwerer Schlag gegen die wichtigste Oppositionszeitung: Der | |
Chefredakteur und elf Mitarbeiter sind inhaftiert worden. | |
Pressefreiheit in der Türkei: Jetzt auch die Cumhuriyet | |
Der Chefredakteur der größten Oppositionszeitung wurde festgenommen. | |
EU-Parlamentspräsident Schulz hält das Vorgehen für nicht tolerabel. | |
Druck auf die Presse in der Türkei: Kein Geld, keine Kritik | |
Mit einem neuen Gesetz entzieht die Regierung unliebsamen Medien die | |
Anzeigeneinnahmen. Betroffen ist auch „Cumhuriyet“. |