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# taz.de -- Verhaftungen bei „Cumhuriyet“: Schwarzer Montag in der Türkei
> Ein schwerer Schlag gegen die wichtigste Oppositionszeitung: Der
> Chefredakteur und elf Mitarbeiter sind inhaftiert worden.
Bild: Bloß kein Protest: Polizei und Wasserwerfer wachen nach den Verhaftungen…
Berlin taz | Mit einem Angriff auf die wichtigste Oppositionszeitung der
Türkei, Cumhuriyet, hat das Regime von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
gestern begonnen, eine der letzten Bastionen des freien Wortes zu
zerschlagen: Zwölf wichtige Mitarbeiter der Zeitung, darunter der
Chefredakteur Murat Sabuncu, sind verhaftet worden. Der Geschäftsführer
Akin Atalay und der frühere Chefredakteur Can Dündar entgingen ihrer
Festnahme nur, weil sie sich im Ausland aufhalten. Gegen Can Dündar ist ein
förmlicher Haftbefehl erlassen worden.
Die Polizei kam in den frühen Morgenstunden. Aydin Engin, 75 Jahre alt,
einer der bekanntesten Menschenrechtler des Landes und Kolumnist bei
Cumhuriyet, wurde um 6 Uhr abgeführt. Frühestens in fünf Tagen darf ihn –
ebenso wie die anderen Festgenommenen – ein Anwalt besuchen. Die
Cumhuriyet-Mitarbeiter können insgesamt 30 Tage in Polizeihaft festgehalten
werden, bevor ein Richter über ihre weitere Haft entscheidet.
Einen weiteren bekannten Kolumnisten, Kadri Gürsel, der auch
Vorstandsmitglied des Internationalen Presseinstituts (IPI) ist, trafen die
Polizisten am Morgen in seiner Wohnung nicht an. Er wird nun ebenfalls mit
Haftbefehl gesucht.
Vor dem Verlagsgebäude beobachteten am Montag Hunderte Unterstützer der
Zeitung, wie immer neue Mitarbeiter von Cumhuriyet abgeführt wurden. Für
den Abend riefen sämtliche Journalistenorganisationen, der linke
Gewerkschaftsdachverband DISK und die Vorsitzenden der oppositionellen CHP
und HDP, zu einer Demonstration für Cumhuriyet auf.
„Wenn schon Cumhuriyet angegriffen wird“, sagte der altgediente türkische
Journalist Oktay Ekci angesichts dieser Entwicklung, „kann sich niemand
mehr sicher fühlen.“ Hasan Cemal, ein früherer Chefredakteur der Cumhuriyet
und weithin geachteter Publizist, schrieb am Montag: „Man braucht nicht
mehr drum herumzureden. Das Vorgehen gegen die Cumhuriyet ist ein tödlicher
Schlag gegen die Freiheit. Das Wort ist am Ende. Mit diesem Schritt
Erdoğans sind Freiheit und Recht vernichtet worden. Der zivile Putsch
vertieft sich.“
Allein die Zahlen sprechen dafür, dass er recht hat: Rund 200 Journalisten
sind seit dem Putsch am 15. Juli vorübergehend festgenommen worden, rund
130 sitzen in Haft. Mehr als 600 Journalisten wurde ihre Pressekarte und
damit ihre Arbeitsberechtigung entzogen. Insgesamt 168 Medienorganisationen
wurden per Notstandsdekret geschlossen.
Aber die Vernichtung der Freiheit beschränkt sich längst nicht auf
Journalisten und die freie Meinungsäußerung. Auch eine oppositionelle
politische Tätigkeit ist kaum noch möglich.
Während die Mitarbeiter von Cumhuriyet verhaftet wurden, geriet die
kurdische Oppositionspartei HDP ebenfalls verstärkt unter Druck: Wie sie am
Montag bekannt gab, sind in den letzten Tagen 700 wichtige Parteimitglieder
verhaftet worden, außerdem weitere 27 HDP-Bürgermeister.
Der Vizevorsitzende der Republikanischen Volkspartei CHP, Bülent Tezcan,
überlebte am Sonntag ein Attentat. Er wurde durch Schüsse am Bein verletzt.
Wenige Tage zuvor waren die beiden Bürgermeister der größten kurdischen
Stadt, Gültan Kisanak und Firat Anli, verhaftet worden. Der Haftrichter hat
der Untersuchungshaft bereits zugestimmt.
Begründet werden all diese Verhaftungen – egal ob bei der Cumhuriyet oder
in Diyarbakır – mit der angeblichen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer
Terrororganisation, wahlweise der islamischen Gülen-Bewegung oder der
kurdischen PKK-Guerilla. Dabei spielt es längst keine Rolle mehr, ob es
tatsächlich eine Verbindung zu einer dieser Organisationen gibt. Es reicht
völlig aus, als Kritiker der AKP oder Präsident Erdoğans zu gelten.
Nachdem der Chef der im Parlament vertretenen
rechtsradikal-nationalistischen MHP, Devlet Bahceli, vor gut einer Woche
bekannt gegeben hat, dass er grundsätzlich eine Volksbefragung für ein
neues Grundgesetz unterstützen würde, ist das Ende der heutigen Türkei
absehbar.
Noch in diesem Jahr will die AKP ihren Entwurf für eine autoritäre
Präsidialverfassung im Parlament einbringen. Das Referendum soll dann in
den ersten Monaten des kommenden Jahres stattfinden. Freiheit und
Demokratie in der Türkei wären abgeschafft.
31 Oct 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Pressefreiheit in der Türkei
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