| # taz.de -- Kommentar Festnahmen in der Türkei: Strategie der Eskalation | |
| > Die HDP-Führung versuchte im PKK-Konflikt zu vermitteln. Ihre Verhaftung | |
| > macht erneut deutlich, dass Erdoğan nicht den Frieden sucht. | |
| Bild: Diyarbakir am Freitag | |
| Es ist erst ein gutes Jahr her, da galt der jetzt verhaftete Ko-Parteichef | |
| der kurdisch-linken HDP, Selahattin Demirtaş, als die große politische | |
| Hoffnung der Türkei. Dank des eloquenten Auftretens des smarten Anwalts aus | |
| Diyarbakir, der es geschafft hatte, auch einen großen Teil der türkischen | |
| Linken und linksliberalen Community hinter sich bringen, gewann die HDP bei | |
| den Wahlen im Juni 2015 mit 13,5 Prozent 80 Sitze im Parlament in Ankara. | |
| Die Kurden hatten plötzlich politisches Gewicht, kurzfristig schien sogar | |
| eine Regierungsbeteiligung möglich, da Erdoğans AKP gleichzeitig die | |
| absolute Mehrheit verloren hatte. | |
| Seit dieser Wahl ist in der Türkei nichts mehr wie es einmal war. Erdoğan | |
| verhinderte eine Koalitionsregierung und schaltete in den Gewaltmodus. | |
| Schon im Wahlkampf für die von Erdoğan durchgesetzten Neuwahlen, die dann | |
| am 1. November des vergangenen Jahres stattfanden, wurde die HDP vielfach | |
| zur Zielscheibe extremer Gewaltakte. | |
| Angefangen mit dem Anschlag auf kurdische Aktivisten im Juli in Suruc über | |
| das Attentat auf eine HDP-Friedensdemonstration im Oktober, bei dem 102 | |
| Menschen starben, bis zu vielfachen Übergriffen auf HDP-Parteibüros, gab es | |
| ein klares Ziel der Gewaltakte: die HDP sollte soweit ausgeschaltet werden, | |
| dass sie bei der Novemberwahl nicht wieder ins Parlament kommen würde. | |
| Nachdem das misslang und die Partei trotz aller Repression die | |
| Zehnprozenthürde dennoch erneut überspringen konnte, setzte Erdoğan auf | |
| eine neue Strategie: Wegen angeblicher Unterstützung der | |
| „Terrororganisation PKK trommelte er dafür, die Immunität der | |
| HDP-Abgeordneten aufheben zu lassen, um diese dann einzeln verurteilen und | |
| ins Gefängnis stecken zu können. Im Mai dieses Jahres war es soweit: von | |
| insgesamt 59 HDP Abgeordneten wurde bei 57 die Immunität aufgehoben. | |
| Jetzt hat der Staatspräsident die Aufhebung der Immunität genutzt [1][und | |
| die gesamte Parteispitze verhaften lassen]. De facto ist die HDP damit | |
| verboten, eine normale politische Arbeit findet nicht mehr statt. | |
| Stattdessen eskaliert die Gewalt. | |
| ## Sieg statt Frieden | |
| Immer wieder hatte gerade der jetzt verhaftete Selahattin Demirtaş in den | |
| letzten Monaten geradezu verzweifelt dazu aufgerufen, zu Verhandlungen mit | |
| der PKK zurückzukehren statt die Gewaltdosis kontinuierlich zu erhöhen. Als | |
| im Frühjahr mehrere kurdische Städte, darunter die Altstadt von Diyarbakir, | |
| bei Kämpfen zwischen PKK-Anhängern und der Armee in Schutt und Asche gelegt | |
| wurden, war es Demirtaş, der immer wieder versuchte, Waffenruhen zu | |
| vermitteln und zur Einstellung der Kämpfe aufrief. Doch schon zu diesem | |
| Zeitpunkt wollten weder Erdoğan noch die PKK darauf hören. | |
| Mit der Verhaftung von Selahattin Demirtaş und zehn weiteren führenden | |
| HDP-Politikern, darunter auch seiner Ko-Parteivorsitzenden Figen Yüksekdag, | |
| hat Erdoğan nun die letzte Chance auf eine Deeskalation des Bürgerkrieges | |
| bewusst in den Wind geschlagen. Der Staatspräsident will keinen Frieden mit | |
| den Kurden, sondern setzt auf einen militärischen Sieg. | |
| Mit maximaler Gewalt“ sagte kürzlich ein langjähriger politischer | |
| Beobachter des Konflikts, versuche nun die türkische Staatsführung das | |
| „Kurdenproblem“ zu erledigen. Wie es jetzt weitergeht ist offensichtlich: | |
| Wenige Stunden nach den Festnahmen der HDP-Führer explodierte vor dem | |
| Polizeihauptquartier in Diyarbakir eine massive Autobombe. Mindestens acht | |
| Menschen starben, über einhundert wurden verletzt. Erdoğan führt die Türkei | |
| in den Bürgerkrieg. | |
| 4 Nov 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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