# taz.de -- Druck auf die Presse in der Türkei: Kein Geld, keine Kritik | |
> Mit einem neuen Gesetz entzieht die Regierung unliebsamen Medien die | |
> Anzeigeneinnahmen. Betroffen ist auch „Cumhuriyet“. | |
Bild: Die Tageszeitung „Cumhuriyet“ ist so alt wie die türkische Republik … | |
Manche mögen argumentieren, dass die Presse in der Türkei nie wirklich frei | |
gewesen ist. Doch das zunehmend autoritäre Regime Erdoğans hat nach dem | |
Putschversuch im Juli dieses Jahres auch sein letztes bisschen Toleranz | |
verloren gegen jede Stimme, die nicht seine eigene ist. | |
Inzwischen müssen kleinere Medien für jede kritische Äußerung damit | |
rechnen, stillgelegt zu werden. Und selbst die auflagenstärkste | |
Tageszeitung des Landes, Hürriyet, hat kürzlich beschlossen, dass es sich | |
nicht mehr lohnt, der Regierung in irgendeiner Form zu widersprechen, und | |
sich endgültig in ein Sprachrohr verwandelt. | |
Allein seit dem Putschversuch haben 3.000 Journalisten ihre Jobs verloren, | |
sodass nun insgesamt 10.000 Journalisten in der Türkei arbeitslos sind. | |
Über 160 Medien wurden lahmgelegt, die gesperrten Websites nicht | |
eingerechnet. Am Wochenende wurde die Schließung von 15 weiteren, | |
hauptsächlich prokurdischen Medien verkündet, darunter die kurdische | |
Nachrichtenagentur Diha und einige Regionalzeitungen im Südosten. | |
Die Frequenzen von Radiostationen, die nicht mehr senden dürfen, übernehmen | |
Sender, die die AKP unterstützen. Mehr als 120 Journalisten sitzen derzeit | |
in Haft. Jene Medien, die offensichtlich Sympathien für den Prediger und | |
Erdoğan-Kontrahenten Fethullah Gülen hatten, wurden bereits vor dem | |
Putschversuch nach und nach stillgelegt. Im Anschluss wurde gegen die | |
prokurdische Presse vorgegangen, denen die Regierung „Unterstützung | |
terroristischer Organisationen“ vorwirft. Auch die Tageszeitung Cumhuriyet, | |
die so alt ist wie die türkische Republik selbst, ist seit Langem eine | |
Zielscheibe dieser Politik. | |
Jedoch ist die Bedrohung nie so unmittelbar gewesen wie jetzt. Von vielen | |
als Symbol der freien Meinungsäußerung in der Türkei respektiert, ist die | |
Zeitung zu groß, um einfach reinzumarschieren und sie zu übernehmen. Der | |
Versuch Cumhuriyet als Gülen-nahes Medium zu labeln war nicht erfolgreich, | |
auch wenn einige Menschen diesem Vorwurf immer noch Glauben schenken. Als | |
Cumhuriyet über Tötungen und Zerstörungen berichtete, die die türkische | |
Armee im Südosten der Türkei verantwortete, wurde die Zeitung von | |
regierungsnahen Stimmen als PKK-Sympathisant denunziert. Dennoch hat es die | |
Regierung bisher nicht gewagt, Razzien in der Redaktion anzuordnen. | |
## Finanziell abgewürgt | |
Man fand einen anderen Weg, um die Zeitung auszurotten. Es ist kein | |
Geheimnis, dass Cumhuriyet nie viel Geld hatte. Und je größer der | |
politische Druck auf den Verlag wurde, desto weniger Anzeigen wurden von | |
privaten Unternehmen geschaltet. Ironischerweise waren die einzigen | |
Anzeigen, die noch reinkamen, jene, die vom Staat geschaltet wurden. | |
Nach einem Gesetz aus dem Jahr 1961 nämlich ist die Presse-Anzeigen-Agentur | |
dazu verpflichtet, die staatlichen Anzeigen – meist Meldungen im | |
Zusammenhang mit neuen Staatsverträgen – auf alle Zeitungen ihrer | |
Reichweite entsprechend zu verteilen. Cumhuriyet, die eine Auflage von | |
50.000 Exemplaren hat, verdient aus diesen Anzeigen rund 100.000 Euro im | |
Monat. | |
Um der Pressefreiheit den letzten Schuss zu verpassen, hat die Regierung | |
zuletzt eine neue Regulierung durchgesetzt. Von nun an werden Medien, die | |
wegen Verstößen gegen die Verfassungsordnung oder wegen der Unterstützung | |
terroristischer Organisationen angeklagt sind, diese staatlichen Anzeigen | |
nicht mehr bekommen können – und somit sehr wahrscheinlich bankrottgehen. | |
Dabei reicht allein die Anklage: In dem neuen Gesetz steht nicht, dass das | |
Verfahren gegen den Journalisten oder die Zeitung bereits laufen muss oder | |
die Angeklagten für schuldig erklärt sein müssen. Falls im Nachhinein | |
herauskommt, dass der Angeklagte unschuldig ist, „können die Verluste | |
erstattet werden.“ Nicht gerade eine Erleichterung. | |
Noch schwerwiegender ist, dass jeder Angestellte eines Mediums, der wegen | |
des Verdachts auf eine der oben genannten Straftaten verklagt wird, | |
innerhalb von fünf Tagen entlassen werden muss. Sonst folgen weitere | |
Sanktionen gegen den Arbeitgeber. In den Worten des | |
Cumhuriyet-Geschäftsführers Akin Atalay: „Man will Journalismus erst hängen | |
und ihm dann erst den Prozess machen.“ | |
Was Atalay aber auch sagt, ist, dass Cumhuriyet lieber gar nicht mehr | |
erscheine, als aus Angst vor Einnahmeverlusten Selbstzensur zu üben. | |
Übersetzung: Fatma Aydemir | |
31 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Ali Celikkan | |
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