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# taz.de -- Porträt eines Journalisten: Bewegtes Leben
> Kommunismus, Exil, Schoah, DDR, vier Ehen. Die Schriftstellerin Barbara
> Honigmann hat über ihren Vater ein Buch geschrieben: „Georg“.
Bild: Die Schriftstellerin Barbara Honigmann Anfang 2019 in ihrer Wohnung in St…
An einem Samstagnachmittag in den frühen sechziger Jahren sitzt Barbara
Honigmann, damals ein Teenager, mit ihrem Vater in dessen Berliner Wohnung
herum. Der Vater wartet auf einen Anruf, der ihn über die Geburt seiner
zweiten Tochter benachrichtigen soll. Als es schließlich so weit ist,
nötigt er seine erste Tochter, mit ins Krankenhaus zu fahren und ihre
Schwester kennenzulernen, was sie so gut wie möglich zu verweigern
versucht, sie hat nichts mit der neuen Frau ihres Vaters und deren Baby am
Hut, das wie sie als zweiten Vornamen den der geliebten Großmutter ihres
Vaters erhält.
Es ist eine unschöne Szene, in der der Vater so viele verschiedene Gesten
von seiner Tochter verlangt, solche des Interesses, der Zuneigung und
letztlich auch Solidarität mit ihm. Honigmann wäre an dem Tag lieber zu
einem Konzert der Coverband Team 4 gegangen, um sich Beatsongs anzuhören.
Ohnehin hätte sie vielleicht einiges in ihrem Leben lieber getan, denn
Dauerdienst als Zeugin der vielen Ehen, Liebschaften und beruflichen
Verwicklungen ihres Vaters Georg zu leisten. Falls dem so ist, merkt man
das den Erinnerungen an ihren Vater nicht an. „Georg“ ist ein ganz
erstaunlich zugewandtes Buch, das sich in großer Dezenz den vielen
Stationen im Leben von Honigmanns Vater widmet, ohne dass sie dabei ihre
eigene Perspektive, die des genervten Teenagers, des noch unverständigen
Kindes und später der eigenständigen Erwachsenen aus den Augen verliert.
Honigmann hat in „Ein Kapitel aus meinem Leben“ (2004) bereits über ihr
Zusammenleben mit ihrer Mutter Litzy geschrieben, die Georg in den 1930er
Jahren vom Kommunismus als der richtigen Weltanschauung überzeugte. Nun
fügt sie ihrer Herkunftsgeschichte einen weiteren Teil hinzu. Beide Eltern
waren nicht nur politisch engagierte Personen, sondern auch ansonsten
ständig in Bewegung.
## Jude, Kommunist, SED
Der 1903 geborene Georg war in seinem Leben nicht nur Korrespondent für die
Vossische Zeitung in London, sondern ab 1949 Chefredakteur der BZ am Abend,
Leiter des Kabaretts „Distel“ in Ostberlin, Autor ungezählter Feuilletons
und wenig gelesener Sachbücher (zum Beispiel über den Medienunternehmer
Hearst) – unter anderem. Als Jude wurde er im Zweiten Weltkrieg von den
Briten einige Wochen in Kanada interniert, während dieser Zeit lernte er
viele weitere überzeugte Kommunisten kennen, die ihn in seiner politischen
Einstellung bestärkten, in der DDR wurde er selbstverständlich Mitglied der
SED.
Honigmann baut ihre Erzählung aus verschiedenen Materialien zusammen. Dazu
gehören Akten des britischen Geheimdienstes MI5, der Georg bespitzelte,
Informationen, die sie aus Gesprächen mit seinen vier Ehefrauen bezieht,
vor allem aber verlässt sie sich auf ihre Erinnerungen und erlaubt ihrem
Text, sich ganz auf deren assoziativen Charakter, ihre Brüche und Sprünge
zu verlassen.
Ohne viel Aufhebens ist „Georg“ damit auch eine Studie darüber, was es
überhaupt heißt, sich schreibend an Verstorbene anzunähern: „Die
Erinnerungen, die ich an ihn habe und in denen er mit mir weiterlebt,
stammen aus einer anderen, viel späteren Zeit, als er schon fünfzig Jahre
alt und dann immer älter war. Aber auch die Erzählungen, die Sagen seines
Lebens, über die ich in Wahrheit natürlich gar nichts weiß, haben sich in
meine Erinnerungen an ihn verwoben.“
Die einzige Intimität, die das Buch anbietet, ist diejenige, die Honigmann
mit ihren Erinnerungen unterhält. „Georg“ handelt nicht von der Beziehung
zu ihrem Vater und hält sich nicht mit der Schilderung ihrer Gefühle
füreinander auf. Das Buch handelt vielmehr von ihrem Zusammenleben und dem
Leben, das er ihren Erkenntnissen nach führte, bevor er im Alter von 46
Jahren überhaupt ihr Vater wurde.
## Immer 30jährige Ehefrauen
Ihre Erinnerungen begleiten ihn auch in der Zeit, nachdem Georg und ihre
Mutter sich trennten. Eine junge Schauspielerin um die 30 tritt in sein
Leben, „Mein Vater heiratete immer dreißigjährige Frauen. Er wurde älter,
aber die Frauen blieben immer um die dreißig“, die später in der DDR große
Erfolge feierte, unter anderem durch ihre Zusammenarbeit mit Hanns Eisler.
Gisela May tritt in diesem Buch immer nur als Gisela auf, die zu dem Kind
Barbara Honigmann ein sehr freundliches Verhältnis gehabt zu haben scheint.
Der Blick auf das Intellektuellen- und Künstlermilieu der DDR, mit dem
Honigmann durch ihre Eltern in Kontakt kam, bleibt der eines Kindes, vor
dem immer wieder Türen geschlossen werden, wenn es interessant wird, und
das sich selbst einen Reim darauf macht, warum wer wann aus ihrem Leben
verschwindet.
Dabei wird von ihrem Vater aber auch einiges beschwiegen. Niemals habe er
darüber gesprochen, was mit all jenen Verwandten geschehen ist, die weniger
kosmopolitisch als er lebten und denen während der Schoah nicht der Weg ins
Exil offenstand. Dass sie ermordet wurden, deutet Honigmann an. Der Vater
unterließ selbst dies und gab der Zehnjährigen lediglich ein Theaterstück
zu lesen, in dem er diesen Teil seiner Biografie verarbeitete. Der Tochter
gelang das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Nur an wenigen Stellen schreibt Honigmann über ihren Vater, der von ihnen
beiden immer als „wir Männer“ sprach, anders als „Georg“. Nachdem sie …
lange als Zeugin seinem romanhaften Leben beigewohnt hat, wird er bei ihr
nun zu einer Figur, die in der dritten Person auftaucht. Die Erzählerin ist
sie, Barbara Honigmann sagt „ich“.
23 Mar 2019
## AUTOREN
Hanna Engelmeier
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Barbara Honigmann
Georg Honigmann
Kommunismus
DDR
Shoa
Gisela May
Kabarett "Distel"
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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