# taz.de -- Debütroman von Marion Brasch: Die Überlebende | |
> "Ab jetzt ist Ruhe": In ihrem Roman erzählt Marion Brasch von der | |
> ideologischen Zerrissenheit der DDR-Intelligenzija zwischen Dissidenz und | |
> Linientreue. | |
Bild: Nur sie kann von ihrer berühmten Familie erzählen: Autorin und Moderato… | |
"Noch mehr als seine Familie, schreibt die Autorin, "noch mehr liebte mein | |
Vater seinen Glauben an das Himmelreich auf Erden, das er in dem Land | |
errichten wollte, das ihn um seine Jugend gebracht hatte. Deutschland." | |
Die Rede ist von Horst Brasch, streng katholischer Jude, dann abgefallener | |
Katholik, schließlich entflammter Kommunist. Die Rede ist von einem Mann, | |
der nach dem Krieg aus dem englischen Exil in die junge DDR ging und dort | |
ein mächtiger Funktionär wurde. Und ein gedemütigter Parteisoldat. | |
Horst Brasch hatte auch eine Familie: eine schöne und kluge Frau und vier | |
bemerkenswerte Kinder. Alle sind sie gestorben. Erst die Frau, dann ein | |
Sohn, dann er selbst, noch zwei Söhne. Eine blieb zurück: Marion, jüngste | |
Tochter der intellektuellen Funktionärsfamilie, heute Radiomoderatorin in | |
Berlin. | |
Marion Brasch hat sie alle beerdigt, hat alle überlebt. Und allein diese | |
Tragik, eine große Familie verloren zu haben, wäre Stoff genug für ein | |
Buch. Aber die Braschs waren auch eine berühmte Familie. Thomas, ältester | |
Bruder, wurde nach seiner Ausreise 1976 die literarische Stimme der | |
aufbegehrenden Nachkriegskinder ostdeutscher Herkunft. | |
Er starb 2001 56-jährig an Herzversagen. Klaus, der Schauspieler, starb | |
1980 an seiner Alkoholkrankheit. Peter, der Schriftsteller, wurde vor zehn | |
Jahren leblos in seiner Berliner Wohnung gefunden, er war 45 Jahre alt. Die | |
Mutter und der Vater starben beide an Krebs, Horst Brasch starb nur wenige | |
Monate vor dem Mauerfall. Überlebt hat allein Marion Brasch, nur sie kann | |
erzählen. | |
"Ab jetzt ist Ruhe" heißt ihr Buch. Sie bezieht sich dabei auf ein | |
Gutenachtritual: Ihre Mutter kam abends ins Kinderzimmer, und die Söhne und | |
die Tochter sagten die vier Wörter mit verteilten Rollen. | |
## Zentrale Figur ist der Vater | |
In seiner unbeabsichtigten Striktheit ein zutreffender Satz für die | |
Binnenverhältnisse der Familie, in der "die Sache", also der Aufbau des | |
sozialistischen Nachkriegsdeutschland, alles Warme und Bedürftige | |
überlagern durfte. Und wo letztlich eine verheerende Ruhe herrschte, weil | |
irgendwann alles gesagt, alles einander angetan war. | |
Zentrale Figur in Braschs Erzählung ist der Vater. Um ihn dreht sich, an | |
ihm reibt sich alles. Der jüdische Emigrant kam nach dem Krieg nach | |
Deutschland, er war beseelt von der Idee des besseren Staates, wurde | |
Chefredakteur der Jungen Welt, später ein hoher Kulturfunktionär, | |
schließlich stellvertretender Kulturminister. Als sein Sohn Thomas 1968 | |
gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag Flugblätter verteilt, | |
zeigt der Vater ihn an. Beide büßen: Der Sohn kommt in Haft, der Vater | |
fällt bei der Partei in Ungnade. | |
Fortan stellt ihn seine kommunistische Kirche nur noch in die zweite Reihe. | |
Dort bleibt er bis zuletzt; seine Söhne wird er missachten für ihr | |
unangepasstes Denken. Ihre Dissidenz wird er als persönlichen Angriff | |
empfinden, denn näher als die Kinder bleibt ihm bis zu seinem Tod 1989 doch | |
immer die Partei, die große strafende Mutter. | |
Bei ihm bleibt nur noch sein jüngstes Kind. Marion, 1961 geboren, gleitet | |
an seiner Seite durch diese DDR-Jahre. Sie ist zu jung, um auszuziehen, zu | |
still, um aufzubegehren, zu allein, um zu wissen, was Liebe und Vertrauen | |
vermögen. Wie ein weißes Blatt Papier fliegt sie durch dieses Leben. Als | |
Tochter ihres Vaters tritt sie früh in die SED ein. Als Schwester ihrer | |
Brüder ist sie gern gesehener Gast in Ostberliner Dissidentenkreisen. Aber | |
wer ist sie selbst? | |
Marion Brasch beschreibt dieses unscharfe Gleiten ganz ungeschönt. Sie | |
erzählt, wie Papa ihr eine Wohnung besorgt; wie sie als Schriftsetzerin | |
arbeitet und später in einem Verlag; wie die Männer kommen und gehen; wie | |
die Jahre verstreichen und die Parteiversammlungen sie anöden. Wie sehr sie | |
die Besuche beim Vater in dessen angepasster Schrankwandneubauwohnung | |
verabscheut. Wie sie die Brüder trifft, die einander argwöhnisch | |
beobachten. | |
Und wie am Ende gar nichts gut ist und eine beängstigende Ruhe einzieht | |
unter den letzten Überlebenden der Familie Brasch. Selbst die ideologische | |
Kernschmelze Ende der 80er Jahre ändert nichts mehr daran. Eine | |
Widerstandsbiografie strickt sie sich nicht. | |
Wenn man Marion Brasch heute im Radio hört, spricht da eine Frau, die | |
pointiert Studiogäste befragt und komplexe Zusammenhänge gut erklärt. Liest | |
man ihr Buch, weiß man, woher sie das alles nimmt. Trotz aller Tragik | |
bleibt doch jeder Mensch auf immer Teil seiner Herkunft. "Ihr könnt mir | |
nicht mehr verloren gehen", schreibt die Autorin am Ende, "weil ich euch | |
schon verloren habe." | |
Marion Brasch: "Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie". | |
Fischer Verlag 2012, 400 Seiten, 19,99 Euro | |
19 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2021 | |
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