# taz.de -- Trubel um Buch zur DDR-Geschichte: Das verflixte Jahr | |
> Der Versuch von Karsten Krampitz, die DDR-Geschichte auf eine neue Art zu | |
> schreiben, provoziert Reaktionen aus dem alten Apparat. | |
Bild: Wolf Biermann bei seinem Auftritt 1976 in Köln | |
Nein, reden wir hier nicht darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat war und | |
wenn ja, wie sehr. Wie unsinnig eine derartige Diskussion ist, hat Horst | |
Seehofer in diesem Winter gezeigt. Auch im vereinigten Deutschland der | |
Gegenwart gibt es also Menschen, die das Unrecht herrschen sehen, weil es | |
gerade nicht so läuft, wie sie es sich vorstellen. | |
Es ist ja beileibe nichts Neues, die Welt so zu interpretieren, dass sie in | |
ein bestimmtes Weltbild passt. Und weil es eben meist ein dominierendes | |
Weltbild gibt, so ist es im speziellen Fall der DDR-Geschichtsschreibung so | |
gekommen, dass die Geschichte meist vom Ende des Staats her erzählt wird. | |
Aus Historikern werden dann nicht selten Ankläger, und die Apologeten der | |
DDR, die die Geschichte vom Aufbruch eines deutschen Staates in eine | |
antifaschistische, sozialistische Zukunft erzählen, sie kommen nicht so | |
recht durch mit ihrer Sichtweise. | |
Ankläger und Apologeten – dieses Begriffspaar wählt Karsten Krampitz, um | |
die Historiker, die sich mit der DDR-Geschichte befassen, einzuteilen. In | |
seinen Augen gibt es hier ein Entweder-oder-Denken, das nur selten | |
aufgebrochen wird. In seinem Buch „1976 – die DDR in der Krise“ versuchte | |
er einen dritten Weg zu beschreiten, einen, der auch Bezüge herzustellen | |
versucht zwischen den beiden Herangehensweisen. | |
Es ist dies gewiss nicht der Versuch gewesen, sich mit der DDR zu | |
beschäftigen in der Absicht, nur ja niemandem wehzutun. Und so verwundert | |
es nicht, dass sich nach dem Vorabdruck einiger Kapitel des Werks im Neuen | |
Deutschland umgehend zwei Protagonisten des zu Ende gegangenen Staats zu | |
Wort gemeldet haben. | |
## Finsteres Kapitel | |
Egon Krenz, zu Zeiten des Staatenherbstes sieben Wochen lang | |
SED-Generalsekretär und Vorsitzender des Staatsrats der DDR, hat in einem | |
Leserbrief an das Neue Deutschland Karsten Krampitz belehrt. Er schreibt | |
wahrscheinlich im besten Wissen um die bis heute vorliegenden | |
Forschungsergebnisse: „Es liegt mir fern, den Umgang von DDR-Organen mit | |
Robert Havemann zu beschönigen. Da ich aber 1976 schon dem Politbüro | |
angehörte, ist mir aus eigenem Wissen bekannt: Pläne für eine Verhaftung | |
oder gar Ausbürgerung von Robert Havemann aus der DDR hat es im Politbüro | |
und auch bei Erich Honecker nie gegeben.“ | |
Es geht also um eines der finstersten Kapitel jenes für die Geschichte der | |
DDR so wichtigen Jahres, das Hausarrest für den DDR-Oppositionellen Robert | |
Havemann bedeutete, der mit seinen regimekritischen Stellungnahmen in | |
Westpublikationen immer mehr zu einem Problem für die SED-Führung geworden | |
war. | |
In der Tat lässt sich nicht nachweisen, inwieweit höhere Stellen letztlich | |
dafür gesorgt haben, dass ein Gericht in Fürstenwalde bei Berlin folgendes | |
Urteil gesprochen hat. „Der Aufenthalt des Bürgers Robert Havemann wird | |
gemäß §§ 2 und 3 der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 24. 8. | |
1961 auf das Grundstück 1252 Grünheide, Burgwallstraße 4, beschränkt.“ Da… | |
vor diesem Urteil im Ministerium für Staatssicherheit Gutachten erstellt | |
worden waren, in denen erst festgestellt wurde, dass die genannten | |
Paragrafen in der Tat so interpretiert werden können, dass sie einen | |
Hausarrest rechtfertigen, ist dagegen bestens dokumentiert. Ebenso gut | |
dokumentiert sind die Diskussionen in jenem Ministerium über ein mögliche | |
Ausbürgerung und eine dafür notwendige Gesetzesänderung. | |
## Schützenhilfe von Täve | |
Dass man nach den unerwartet starken und nicht enden wollenden Protesten, | |
die nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann in eben jenem | |
Jahr 1976 beim Drangsalieren von Widerständlern nicht noch einmal zur ganz | |
großen Keule greifen wollte, ist bei Krampitz nachvollziehbar | |
durchargumentiert. Dass Krenz, der in den Prozessen um die Toten an der | |
deutsch-deutschen Grenze zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist, | |
das nicht stehen lassen kann, wird niemanden wundern. Wie er die | |
Glaubwürdigkeit von Krampitz zu zertrümmern versucht, indem er sich ein | |
Detail herauspickt, zeugt davon, wie sehr der letzte sogenannte Staats- und | |
Parteichef der DDR nach wie vor darum kämpft, das Bild, das von der DDR | |
gezeichnet wird, zu beeinflussen. | |
Wie ehemalige Vorderleute der Partei und des Staates heute agieren, auch | |
das sagt gewiss viel darüber aus, wie die DDR funktioniert hat. Das zeigen | |
auch die Äußerungen der DDR-Radsportlegende Gustav-Adolf, genannt „Täve“, | |
Schur. Der hat sich an einem anderen Kapitel in Krampitz’Buch gestoßen. | |
Darin geht es um die Rolle des Sports im SED-Staat. Und auch hier spielt | |
das Jahr 1976 eine herausragende Rolle. | |
Bei den Olympischen Sommerspielen von Montreal hat die kleine DDR | |
sagenhafte 40 Goldmedaillen gewonnen und lag am Ende in der Nationenwertung | |
auf Platz zwei hinter der Sowjetunion. Krampitz’These, dass all die mit dem | |
massiven Einsatz von Dopingmitteln zustande gekommenen Sporterfolge am Ende | |
nicht dazu geführt haben, in der DDR ein von Stolz genährtes | |
Nationalbewusstsein reifen zu lassen, will Schur nicht stehen lassen. | |
## Fit und gesund | |
Millionen hätten an den Straßen gestanden, als er in den 1950er Jahren die | |
Friedensfahrt zweimal gewonnen hat, „von niemandem kommandiert“, | |
wohlgemerkt, und gedopt sei er auch nicht gewesen. Beides hat Krampitz nie | |
bestritten und sieht sich doch in einer Debatte über die Motivation der | |
Spitzensportförderung, wie sie auch in der vereinigten Bundesrepublik | |
geführt wird. | |
In Zeiten wie diesen, in denen Gesetze geschaffen werden, mit denen dopende | |
oder auf andere Art manipulierende Sportler zu Haftstrafen verdonnert | |
werden können, argumentiert der Staat gerne mit der Vorbildrolle des Sports | |
in der Gesellschaft. Fit und gesund soll er die Bürger machen und zu | |
Fairness erziehen. Deshalb sei er so wichtig, hieß es aus Innen- und | |
Justizministerium bei der Vorstellung der entsprechenden Gesetzentwürfe. | |
Und doch geht es beim Millionenspiel Sportförderung auch um das Bild einer | |
leistungsfähigen Bundesrepublik im Wettbewerb der Nationen. „Die | |
Spitzensportförderung wird bestimmt durch das Interesse des Bundes an einer | |
angemessenen gesamtstaatlichen Repräsentation der Bundesrepublik | |
Deutschland im In- und Ausland“, heißt es auf der Website des | |
Bundesinnenministeriums. Nicht nur sogenannte Unrechtsregime versuchen also | |
mit dem Mitteln der Sportförderung die Bürger hinter sich zu scharen. Dass | |
dies trotz exorbitanter Sporterfolge im Jahr der Biermann-Ausbürgerung, im | |
Jahr des Havemann-Hausarrests, im Jahr der Selbstverbrennung des Pastors | |
Oskar Brüsewitz, im Jahr, in dem der internationale Kommunismus regelrecht | |
auseinanderbricht, eigentlich gar nicht gelingen kann, auch das zeigt | |
Karsten Krampitz in seiner Arbeit. 1976 war wirklich kein leichtes Jahr für | |
die DDR. | |
24 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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