# taz.de -- Diskussion um Sportlerehrungen: Bitte keine Propagandahalle! | |
> Warum sollten Sportler moralisch über der Gesellschaft schweben? Rein mit | |
> Täve Schur und Heike Drechsler in die Hall of Fame des deutschen Sports. | |
Bild: Radsportler Täve Schur | |
Sollen jetzt Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer nachträglich exkommuniziert | |
werden? Der eine wegen Steuersünden, der andere wegen | |
Korruptionsanfälligkeit? Und müssen jetzt nicht erst recht auch die | |
einstigen NSDAP-Mitglieder und Profiteure des Naziregimes, Willi Daume und | |
Josef Neckermann, aus der Ruhmeshalle des deutschen Sports verjagt werden? | |
Ist es jetzt nicht unabdingbar, noch einmal das Privatleben aller 104 | |
Mitglieder der Hall of Fame des deutschen Sports zu sezieren, um deren | |
moralische Integrität und Vorbildhaftigkeit auch wirklich garantieren zu | |
können? | |
Wenn man die in diesen Tagen wogende Debatte über eine Aufnahme der | |
Weitspringerin Heike Drechsler und des Radsportlers Gustav-Adolf „Täve“ | |
Schur in die fiktive Ruhmeshalle verfolgt, drängen sich diese Fragen | |
geradezu auf. Geht es nach den Gegnern der beiden, müsste man mal mit dem | |
Großreinemachen in der Ruhmeshalle beginnen; und den beiden neuen | |
befleckten Kandidaten ist ohnehin der Zugang zu verwehren. | |
Drechsler wegen Doping und Stasi-Mitarbeit, Schur wegen seiner | |
geschichtsvergessenen Lobpreisungen der DDR und ihres Sportsystems. Gegen | |
Täve Schur richtet sich vor allem der Unmut, weil er erst dieser Tage | |
erklärte, der DDR-Sport sei nicht kriminell, sondern vorzüglich aufgebaut | |
gewesen. Im Unterschied zum Westen habe es keine Dopingtodesopfer gegeben. | |
## In der Regel stets dankbar | |
Fraglos eine Provokation für all diejenigen früheren DDR-Sportler, die noch | |
heute unter den Folgen des Dopingkonsums leiden. Ines Geipel, die | |
Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins warnte deshalb, man würde mit | |
der Aufnahme von Schur, der in der DDR noch im Jahre 1989 zum beliebtesten | |
Sportler aller Zeiten gewählt wurde, die Ruhmeshalle implodieren lassen. | |
Fast scheint es, als würden selbst die Vertreter einer | |
Sportopferorganisation noch an die hehren Profisportler glauben, die der | |
Gesellschaft als heilige Vorbilder zu dienen haben – so wie es die | |
Funktionäre der großen Sportverbände immer wieder predigen. Warum aber | |
sollten Profisportler moralisch gesehen weit über dem Rest der Gesellschaft | |
schweben? Die Doping- und Korruptionsskandale der letzten Jahrzehnte haben | |
das angeblich so vorbildhafte Wertesystem des Sports längst implodieren | |
lassen. Es wäre verlogen, würde eine Ruhmeshalle des deutschen Sports | |
diesen Teil der Wirklichkeit ausblenden. Übrig bliebe nur eine | |
Propagandahalle. | |
Leistungssportler erweisen sich gegenüber dem Staat und dem | |
Gesellschaftssystem, das sie hat groß werden lassen, in der Regel stets als | |
dankbar. Und umgekehrt werden die Leistungen herausragender Sportler gern | |
als Beweis dafür instrumentalisiert, zu welch großen Leistungen eine | |
Gesellschaft fähig ist. Welche Ambivalenzen, Lebenslügen und Probleme damit | |
verbunden sind, kann man im Fall von Täve Schur, der zahlreichen | |
sportbegeisterten Menschen in der DDR als Vorbild diente, bestens | |
studieren. | |
Die Hall of Fame des deutschen Sports ist von Beginn an – Neckermann | |
macht’s möglich – keine Heiligenstätte. Deshalb gehört Täve Schur hier … | |
rein. Und Sprinterin Katrin Krabbe, die Radsportler Rudi Altig und Jan | |
Ullrich müssen bald folgen. | |
22 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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