| # taz.de -- Streit im Doping-Opfer-Hilfeverein: Hilfe, Opfer! | |
| > Ines Geipel steht an der Spitze des Doping-Opfer-Hilfevereins. Mit | |
| > Erfolg. Doch einige Ex-Mitstreiter*innen wenden sich von ihr ab. | |
| Bild: Verstrickt im Gewirr der Vorwürfe und gegenvorwürfe: Ines Geipel | |
| Nur zwei Minuten nach dem vereinbarten Termin betritt Ines Geipel ihr | |
| Lieblingslokal in Berlin-Schöneberg, umhüllt von dieser Aura existenzieller | |
| Müdigkeit. Bevor sie sich ans Fenster setzt, scheint sie eine unsichtbare | |
| Kiepe von ihren Schultern zu nehmen, darin all die [1][Schicksale von | |
| DDR-Sportlern], denen die Diktatur zu Leibe gerückt ist. Dann kommt dieser | |
| ironisch-komplizenhafte „Na, Sie wissen schon“-Blick. Braucht es noch | |
| Worte? Ja, doch, eigentlich schon. Es gäbe da etwas zu besprechen. Über | |
| Dopingopfer, die gegen Dopingopfer kämpfen. | |
| Also los. Aber wie beginnen? Sie übernimmt zum Glück und erinnert an eine | |
| Begegnung vor über zwei Jahren im gleichen Lokal. Damals zoffte sie sich | |
| [2][mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB)]. Sie führte einen Kampf | |
| mit den Funktionären. Damals sagte Ines Geipel, sie sei des Kämpfens müde. | |
| Aber Ines Geipel, 58, deren Zerbrechlichkeit wohl eher ein Phänomen | |
| oberflächlicher Betrachtung ist, kämpfte weiter, denn sie kann Dinge | |
| aushalten und durchstehen. Ines Geipel kämpft, wenn es sein muss, auch mit | |
| harten Bandagen. Genauso wie ihre Gegner. | |
| Für die Opfer, oder besser für die Betroffenen des Staatsdopings, deren | |
| Gesundheit nach einem Plan mit der Nummer 14.25 geprägt wurde, ist das | |
| immer eine gute Nachricht gewesen. Nach einer ersten Entschädigungszahlung | |
| an etwa 200 Dopingopfer wurde 2016 ein zweites Entschädigungsgesetz | |
| verabschiedet. 10,5 Millionen Euro stehen bereit für voraussichtlich 1.000 | |
| Exsportler des Sport-Clubs Dynamo Berlin oder von Empor Rostock. | |
| Das war ein großer Erfolg für den Doping-Opfer-Hilfeverein, DOH, dem Ines | |
| Geipel, in den 80ern Sprinterin beim SC Motor Jena, vorsitzt. Sie hat es | |
| sogar geschafft, dass die Frist, bis zu der sich Betroffene beim | |
| Bundesverwaltungsamt melden können, immer weiter nach hinten verschoben | |
| wurde. Anträge können jetzt bis Ende 2019 eingereicht werden. Und im | |
| Sportausschuss des Bundestages wird die Aufstockung der Entschädigungssumme | |
| diskutiert. Von über 13 Millionen Euro ist die Rede. | |
| Man könnte sagen: Es läuft nicht schlecht für den DOH. Die Politik hat | |
| verstanden, ja selbst die Funktionäre mauern nicht mehr, wenn es um die | |
| Anliegen der Geschädigten geht. Ines Geipel, Trägerin des | |
| Bundesverdienstkreuzes, könnte sich zurück lehnen und überlegen, wie sie | |
| den DOH neu aufstellt, ihn vielleicht umbenennt in „Verein für Fairness im | |
| Sport“ und eine Vereinsstruktur schafft, die ihre Anwesenheit nicht mehr | |
| erforderlich macht. Sie könnte sich mehr auf ihr literarisches Schaffen | |
| konzentrieren und Romane schreiben wie zuletzt über die Adoptivtochter von | |
| Walter Ulbricht, ja, all das könnte sie tun, wenn es da nicht auch diesen | |
| Gegenwind gäbe, der ihr aus einer unerwarteten Richtung hart ins Gesicht | |
| bläst. | |
| ## Ein unheimlicher Streit | |
| Ines Geipel hat den DOH verändert, und viele ehemaligen Mitstreiterinnen | |
| und Mitstreiter sagen: nicht nur zum Guten. Es sei ein Ines-Geipel-Verein | |
| daraus geworden mit Ines-Geipel-Doktrin und Mitarbeiterinnen, die Ines | |
| Geipel hörig seien. Von Autokratie ist die Rede, von Mobbing und | |
| böswilligen Unterstellungen. Völlig geräuschlos ging es nie zu rund um den | |
| DOH. | |
| Das erscheint auch abwegig, denn am Sporterbe der DDR zerren so viele | |
| Leute, hier kollidieren so viele Interessen, dass es im Kampf um die | |
| Deutungshoheit nicht zimperlich zugehen kann. Die Wucht der | |
| Auseinandersetzung zwischen Ehemaligen und Ines Geipel ist aber | |
| mittlerweile so groß, dass sie sich nicht mehr so einfach wegwischen lässt. | |
| Es ist ein unheimlicher Streit, weil, vereinfacht gesagt, die Guten gegen | |
| die Guten kämpfen und den Bösen damit vielleicht in die Hände spielen. Es | |
| ist aber auch ein unheimlicher Streit, weil man als Rechercheur das Gefühl | |
| hat, knietief in einem Sumpf aus Vorhaltungen, Neidkomplexen und gekränkter | |
| Eitelkeit zu waten und nicht so recht weiß, wie man sich von da aus wieder | |
| auf eine Sachebene begeben kann. Neuerlich hochgekocht ist der Konflikt | |
| nach einem Bericht des in Neubrandenburg erscheinenden Nordkurier. | |
| [3][Titel des Artikels]: „Wie sauber ist die Hilfe für Opfer von | |
| DDR-Doping?“ | |
| Der Verfasser, Thomas Krause, hat sich bislang wohl eher nicht mit der | |
| Materie „Dopingopferhilfe“ befasst, er wurde zum Autor des Stückes, weil in | |
| seiner Stadt der stasi- und dopingbelastete Leichtathletiktrainer Dieter | |
| Kollark („IM Alexander“) arbeitet und weil Vorwürfe des | |
| Minderjährigendopings aufgekommen sind, die der 73-jährige Kollark vehement | |
| bestreitet; gegen die FAZ und den Tagesspiegel ist er deswegen juristisch | |
| vorgegangen. | |
| ## „Sie pusht die Zahlen, sie pusht ihre Person“ | |
| Kollark behauptet, da reime sich ein vermeintliches Dopingopfer eine | |
| Geschichte zusammen, um an die Entschädigungszahlung von 10.500 Euro zu | |
| kommen. Weil das Thema Trittbrettfahrer auch die Geipel-Gegner umtreibt, | |
| haben sich einige von ihnen beim Nordkurier gemeldet und über ihre Sicht | |
| auf den DOH gesprochen. Krause zitiert die Dopingopfer Marie Katrin Kanitz, | |
| eine ehemalige Eiskunstläuferin, und Uwe Trömer, Ex-Radsportler des SC | |
| Turbine Erfurt. Die Vorwürfe: Ines Geipel manipuliere die Zahl der | |
| Dopingopfer und auch die Zahl derer, die aufgrund des | |
| Medikamentenmissbrauchs gestorben seien – die sogenannte Todesliste, auf | |
| der angeblich 500 Sportler stehen. Sie sprechen von Schwindel und | |
| Täuschung. | |
| Beide kennen Ines Geipel und ihren Verein sehr gut, denn sie haben für ihn | |
| gearbeitet. Trömer ist 2015 ausgetreten, Kanitz zwei Jahre später. Als sich | |
| Trömer abwendete, wurde ihm unterstellt, in die Vereinskasse gegriffen und | |
| sich vor Arbeit gedrückt zu haben. Dieser Zeitung sagt er: „Sie pusht die | |
| Zahlen, sie pusht ihre Person. Bevor ich andere nass mache, sollte ich bei | |
| mir anfangen.“ Und weiter: „Sie verfährt eindeutig nach der Maxime: Wer | |
| nicht für mich ist, ist gegen mich. Sie denkt, dass sie die absolute Gute | |
| ist und somit das Recht hat, jeden plattzumachen, der ihr in die Quere | |
| kommt.“ Er habe die ganzen Übertreibungen satt, sagt er, ganz zu schweigen | |
| von der Diskreditierung seiner Person. | |
| „Man muss eine Sache, die schon schlimm genug ist, nicht noch schlimmer | |
| machen“, sagt er und bezieht sich auf die Schäden der Sportler und die | |
| Skrupellosigkeit der DDR-Sportfunktionäre. Ihn stört, dass sie versuche, | |
| immer noch einen drauf zu setzen. Dass sie sich offensichtlich in einem | |
| Überbietungswettstreit des Elends und der Traumata befinde. Trömer nennt | |
| Beispiele: Nun werde sogar wider besseres Wissen behauptet, dass in der DDR | |
| mit EPO gedopt worden sei. Dass ganze Fußballmannschaften bis in die | |
| Kreisliga hinein „auf Droge“ gewesen seien, vorzugsweise mit Faustan, was | |
| aber eher dem Tiefschlaf als der Leistung förderlich gewesen sei. | |
| Im harmlosen Vitaminpräparat Dynvital habe bisweilen angeblich das | |
| gefährliche und nicht zugelassene Medikament STS 646 gesteckt. Auch die | |
| zweite Generation der Dopingopfer, also vermeintlich traumatisierte Söhne | |
| und Töchter, müssten entschädigt werden, weil die Schäden, quasi | |
| epigenetisch, auf die Kinder übergegangen seien. „Das ist doch Quatsch“, | |
| findet Trömer und hat darin einen Unterstützer im Molekularbiologen Werner | |
| Franke, dem vielleicht renommiertesten Dopingaufklärer dieses Landes. | |
| ## Lüge, Vernichtung, Zersetzung | |
| Als sie von der taz die Anfrage erhält, ob sie nicht Zeit hätte, sich zur | |
| Causa Nordkurier zu äußern, sagt die DOH-Chefin zu und schickt wenig später | |
| ungefragt eine E-Mail, deren Inhalt einen geradezu erschlägt. Darin finden | |
| sich intime Mails, Marie Katrin Kanitz betreffend. Ines Geipel versucht, | |
| Kanitz als Zeugin unmöglich zu machen, weil diese „hochpsychotisch“ sei. | |
| Man solle ihr nicht glauben. Kanitz geht freilich offen und selbstkritisch | |
| mit ihrer Krankheit um. Sie gleitet im Rahmen ihrer bipolaren Störung immer | |
| wieder in psychotische Phasen ab, das gibt sie unumwunden zu. | |
| Die Vorwürfe, die Marie Katrin Kanitz formuliert und die vor allem den | |
| Umgang mit Kritik sowie beim DOH in Ungnade gefallene Personen betreffen, | |
| erscheinen durchaus substanziell. Es passt ins Bild, dass auch der | |
| Nordkurier mit Anwürfen heftiger Art überzogen wird. Ines Geipel | |
| interveniert bei der Chefredaktion des Provinzblatts, spricht von | |
| „Verwahrlosungsjournalismus“ und wendet sich mit einem Schreiben an den | |
| Presserat. Hinter der Berichterstattung vermutet sie „Stasi-Seilschaften“. | |
| Lobbyarbeit ist nichts für Weicheier, schon klar, aber warum geht sie mit | |
| stählerner Härte gegen Kritiker vor? Warum wird sie derart persönlich? Das | |
| wollen wir von ihr wissen an jenem sonnigen Morgen im Café in | |
| Berlin-Schöneberg. Sie sei nun mal den Opfern verpflichtet, den vielen | |
| Tausenden, antwortet sie. Tränen fließen. Sie fängt sich wieder, um bei der | |
| nächsten kritischen Frage erneut zusammenzubrechen. Dann solle die taz eben | |
| schreiben, dass sie ein Monster sei, sagt sie verquält. Völlig verdattert | |
| und auch ein bisschen überfordert sitzt man ihr gegenüber. Puh. Unschöner | |
| Nebeneffekt der Szene: Man fühlt sich selbst wie ein Monster, weil man | |
| diese Fragen zu stellen wagt. Und diesen Text schreibt. | |
| Was nun? Wie weiter? Im Gespräch geht es jetzt um den letzten Abgänger im | |
| DOH, Henner Misersky, Mitglied der Hall of Fame des deutschen Sports. Der | |
| 78-Jährige ist im Osten eine Ikone des Antidopingkampfs. Im Frühjahr ist er | |
| aus dem DOH ausgetreten. Der ehemalige Athlet und Trainer aus Thüringen | |
| findet, dass die meisten erwachsenen Athleten sehr wohl wussten, dass es | |
| sich bei den blauen Pillen um Oral-Turinabol handelte. Das sieht Ines | |
| Geipel anders. Aber auf der Ebene eines sachlichen Streits bewegen sich die | |
| beiden schon längst nicht mehr. Es ist wieder einmal verdammt persönlich | |
| geworden. Lüge, Vernichtung, Zersetzung – auf dieser Ebene bewegt man sich. | |
| Klären können das wohl nur Gerichte. | |
| 14 Oct 2018 | |
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| [2] /Ines-Geipel-ueber-Olympia-in-Hamburg/!5252288 | |
| [3] https://www.nordkurier.de/sportnachrichten/ddr-doping-wie-sauber-ist-die-op… | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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