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# taz.de -- Museum im alten Trainingsbunker: Vergessenes Staatsgeheimnis
> Die DDR ließ unter dem heutigen Olympia-Trainingszentrum Kienbaum eine
> Unterdruckkammer errichten. Heute kann man sie auf Anfrage besichtigen.
Bild: In einem Bunker unter dem Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum…
An den Wänden hängen die alten Granden: die Hochspringerin Rosi Ackermann,
der Kanute Rüdiger Helm, die Turnerin Karin Janz. Der unvermeidliche Erich
Honecker, umringt von Sportlern, ist natürlich auch abgebildet. Ein
Jahrzehnt lang plagten sich hier, in diesem Bunker unter der Erde von
Kienbaum, DDR-Sportler auf einer simulierten Höhe von bis zu 4.000 Metern
für den sportlichen Sieg des Sozialismus. Die Existenz der Anlage wurde
penibel geheim gehalten, Trainer und Sportler unterschrieben
Verschwiegenheitserklärungen. Nicht mal die Russen durften wissen, was hier
entwickelt wurde. Irgendwann erfuhren sie es doch – und waren nicht
amüsiert.
Jetzt ist es still und kühl hier unten. Bis zu drei Meter dicke Betonwände
trennen Besucher von der Außenwelt. In den Trainingskammern stehen bis
heute die Ergometer, die Laufbänder, über dem leeren Kanubecken liegen alte
Kanus, pfleglich aufbewahrt, als könne man gleich lospaddeln. Rundherum
sprödes DDR-Flair in Grün- und Brauntönen, aber auch etwas
Weltraumkapsel-Atmosphäre, ästhetischer nostalgischer High Tech, veraltete
Zukunft. Stanley Kubrick hätte hier Spaß gehabt.
„Wir haben alles, was wir in Kienbaum gefunden haben, hier ausgestellt“,
sagt Klaus-Peter Nowack. Der Geschäftsführer des
[1][Bundesleistungszentrums Kienbaum] hat die Trainingskammer mit viel
Liebe zum Detail bewahrt und Fundstücke zusammengetragen. An der Wand des
Untersuchungsraums für die Athleten reihen sich heute DDR-Sportbücher, alte
Tonbandgeräte und auf einem Schreibtisch gefundene Zeitungsstapel aus der
Wendezeit.
Tatsächlich ist das hier ein Museum, kein Lost Place. Allerdings ein so
selten besuchtes, dass es einem Lost Place ziemlich nahe kommt. Werbung
oder Öffnungszeiten gibt es nicht. Einmal im Monat werden Menschen, die
irgendwie selbst darauf kommen, hindurchgeführt. Die taz-Anfrage erntet
Skepsis. Nowack macht grundsätzlich nicht den Eindruck, wild auf Besucher
zu sein. „Wir wollen es für die Nachwelt erhalten, aber nicht, dass jeden
Tag hier jemand vor der Tür steht.“ Zum Schutz der heutigen Athleten im
Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum, sagt er, und wegen
fehlender personeller Kapazitäten. Ein paar Rentner, meist ehemalige
Angestellte, kümmern sich ehrenamtlich um die Instandhaltung. Sonst
niemand. Ein interessierter, kritischer Umgang mit dem DDR-Sport bleibt
offenbar schwierig.
## Damals eine Weltneuheit
Während der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-Stadt entdeckten
DDR-Wissenschaftler die positiven Effekte von Training in der Höhenluft.
Weil im Inland die Berge fehlten, konstruierten sie unterhalb der bereits
bestehenden Kaderschmiede Kienbaum, dem Zentrum des olympischen Sports,
unter höchster Geheimhaltungsstufe eine Unterdruckkammer. Doping ist
Höhentraining übrigens nicht. Bis heute gilt es als legale
Leistungssteigerung. Nowack beziffert die Kosten für die Kammer auf 15
Millionen DDR-Mark. Niemand hatte bis dahin weltweit so etwas gebaut. 1979
geht die Kammer in Betrieb.
Durch eine Schleuse betreten die Athleten die Unterdruck-Trainingskammern.
Vor allem Ausdauersportler wie Radfahrer, Kanuten, Läufer müssen hierher.
Schwenkbare Kameras überwachen das Training, die Sportgeräte sind oft
Prototypen aus Eigenbau: Ein Förderband mit Zugwiderstand, der stärker
wird, je schneller der Athlet läuft. Laufbänder, die bergauf oder bergab
simulieren. Kanu-Paddel, die Krafteinsatz, Wasserwiderstand und
Schlagfrequenz messen. „Es war aus heutiger Sicht eine sehr große
Ingenieursleistung“, sagt Nowack.
Wissenschaft und menschenfeindliche Versuche liegen hier eng beieinander.
In einem Experiment, das Nowack schildert, habe man Athleten 13 Tage
ununterbrochen in der Kammer behalten wollen. Nach 11 Tagen habe man
abbrechen müssen. „Die waren mental nicht mehr in der Lage,
weiterzumachen.“
Zur Wendezeit, da ist die Kammer kurz begehrt, strömen die Funktionäre aus
dem Westen her, um zu sehen, wie die Ossis ihre sportlichen Wunder
vollbrachten. Und was man davon mitnehmen könnte. Eine zeitgenössische
Spiegel-Recherche listet auf, wie viele der ehemaligen DDR-Trainer und
Funktionäre mit Dopingverwicklung damals in den westlichen Ländern eine
neue Anstellung im Spitzensport fanden. Es ist eine lange Auflistung.
„Komatös“ nannte 2015 Ex-DDR-Sprinterin Ines Geipel die Doping-Aufarbeitung
durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und die Politik, einen
sauberen gesamtdeutschen Sport nach der Wende „ein Märchen“.
## Heute längst stillgelegt
Die Unterdruckkammer wird unterdessen stillgelegt. Drei Gründe, glaubt
Klaus-Peter Nowack, waren für die Entscheidung verantwortlich: „Erstens war
der DDR-Sport durch Doping belastet. Zweitens gab es auf die Kammer keinen
TÜV. Und natürlich hat man drittens auch die Betriebskosten betrachtet.“
Ein Tag habe ungefähr 5.500 Euro gekostet. Was dann doch niemand zahlen
wollte.
Heute liegt der Bunker in einem schläfrigen Zwischenzustand da. Wird sich
irgendwer kümmern, wenn die Rentner nicht mehr sind?
Das Interesse hält sich in Grenzen. Besuchermassen sind im abgelegenen
Kienbaum, das zur Gemeinde Grünheide südöstlich von Berlin gehört, eher
nicht zu erwarten. Einmal die Stunde fährt hierher ein Reisebus, vorbei an
Orten wie Heidekrug und Herzfelde und Hennickendorf. Auf dem Rückweg grüßt
der Fahrer freundlich, es ist derselbe wie auf der Hinfahrt.
Klaus-Peter Nowack sagt, er hätte am liebsten, wenn ein Museum mit
einsteigen würde: „Man ist hier direkt in der Geschichte drin, nicht in
einem Neubau. Es wäre wichtig, dass einer sagt: Ich helfe euch. Wir
versuchen, zu erhalten, wie es ist, aber ich kann nichts weiter machen,
weil ich keine Mittel habe.“ 180.000 bis 250.000 Euro brauche er für
Brandschutz, Infrastruktur, Infotafeln.
Und wer weiß, was geworden wäre, wäre die DDR nicht zusammengebrochen. Im
Bundesarchiv fand Nowack Pläne für eine weitere Höhentrainingsanlage. Eine
Halle mit einem 5-x-50-Meter-Schwimmbecken, einer
400-Meter-Leichtathletikanlage und 60 Übernachtungsplätzen. „Die Planungen
sind komplett fertig gewesen.“ Der Architekt ging damals in die USA. Eine
kleinere Version seiner Planungen steht heute in San Diego.
21 Oct 2018
## LINKS
[1] https://www.kienbaum-sport.de/
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
DDR
Spitzensport
Doping im Spitzensport
Schwerpunkt Ostdeutschland
Stasi
Lesestück Recherche und Reportage
Dopingopfer
Frauen-WM 2019
Frauen-WM 2019
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