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# taz.de -- ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt: „Mehr Kontrolle von außen“
> Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt über die aktuelle WM, die Vergabe an
> Katar, diverse Substanzen und seine Entscheidung, nicht nach Russland zu
> fahren.
Bild: Es gibt Regeln, auf die alle verpflichtet sind, und die sind schlicht ein…
taz: Herr Seppelt, zuerst hieß es, Sie dürften als Dopingexperte [1][nicht
nach Russland zur WM einreisen], dann hob Russland [2][die Entscheidung
wieder auf]. Schließlich sind Sie [3][nicht gefahren]. Warum?
Hajo Seppelt: Das eine war die Ankündigung offizieller russischer Stellen,
„Maßnahmen zu ergreifen“, mich zu einer Befragung durch ein staatliches
Untersuchungskomitee zu zwingen, das andere waren unkalkulierbare
Bedrohungen durch mögliche Einzeltäter. Nach der Aufhebung des
Einreiseverbots wäre es aus meiner Sicht zwar unwahrscheinlich gewesen,
dass ich verhaftet worden wäre – dazu sind zur WM schlicht zu viele
Journalisten im Land. Der Aufschrei wäre gewaltig gewesen, den
Gesichtsverlust hätte Putin meines Erachtens nicht riskiert.
Parallel zu den offiziellen Ankündigungen gab es aber eine Fülle direkter,
teils sehr expliziter Drohungen. Das BKA hat eine Gefahrenanalyse erstellt
und kam unter Berücksichtigung aller genannten Punkte zu dem Ergebnis, dass
meine Sicherheit vor Ort nicht gewährleistet sei. Entsprechend hat die ARD
eine Einreise nicht befürworten können. Ich habe diese Entscheidung
nachvollziehen können und trug sie mit.
Russland ist das Team, das im Schnitt mit Abstand am meisten läuft bei
diesem Turnier. Zufall?
Natürlich stellen sich vor dem Hintergrund des Staatsdopings ernsthafte
Fragen, wie sauber der russische Fußball ist und ob eine hervorstechende
Physis, wie in diesem Fall hier, in einem Zusammenhang steht. Aber allein
die isolierte Betrachtung der Laufleistung reicht nicht aus, um eine
wirklich seriöse Debatte darüber zu führen. Das wäre zu billig. Es ist
dennoch klar, dass der russische Fußball zu Recht unter besonderer
Beobachtung steht. Und es wäre wichtig, genauer nachzufragen und
nachzuschauen.
Julia Stepanowa und Witali Stepnow [4][haben als Whistleblower geholfen],
das System des Dopings in Russland aufzudecken.
Beide haben geholfen, den Sport differenzierter darzustellen, als ihn uns
die Sportindustrie präsentiert. Das hat das Staatsdoping-System in Russland
zum Kollaps gebracht, das war 2014. Da aber von russischer Seite seitdem
nicht viele Schuldeingeständnisse zu erkennen sind, ist das Thema immer
noch nicht vom Tisch.
Julia Stepanowa durfte nicht unter neutraler Flagge bei den Olympischen
Spielen starten. Wie geht es den beiden Stepanows heute?
Als ich das letzte Mal von ihnen hörte – im Juni – , sagten Sie mir, alles
sei bei ihnen okay. Sie leben weiter an einem geheimen Ort in den USA. Mein
Eindruck ist, dass sie generell zufrieden mit ihrem Leben sind. Sie haben
mehrfach betont, nicht zu bereuen, die Zustände im russischen Sport der
Welt vor Augen geführt zu haben. Sie sagen, sie haben das Notwendige und
Richtige getan.
Im Fußball gibt es [5][kaum Vorfälle], die auf ein systematisches Doping
schließen lassen. Es gab im Vorfeld der WM den Fall Paolo Guerrero, der des
Kokain-Konsums überführt wurde. Einige Kollegen sind ihm beigesprungen, er
solle die WM, die der Höhepunkt seiner Karriere ist, auf jeden Fall spielen
dürfen.
Es sind die üblichen Mechanismen. Es ist nicht so sehr überraschend, dass
Leute, die aus derselben Branche kommen, so argumentieren. Dopingvorwürfe
werden zudem generell gern kleingeredet. Man hört dann etwa, dass womöglich
ja nur in privater Runde mal gekokst wurde und man es nicht überbewerten
solle. Es ist am Ende aber völlig gleichgültig, warum ein Sportler das
macht. In dem Moment, in dem ein Athlet eine Substanz zu sich nimmt, die im
Wettbewerb einen Nutzen erbringt, hat er ein Problem.
Ist aber nicht der Wettbewerbsgedanke einer, dem Doping inhärent ist? Es
geht ja gerade darum, immer besser zu werden.
Ja, natürlich. Ein Athlet will sich stets verbessern, das ist ein
Wesensmerkmal des Sports. Klar ist, dass da ein Anreiz entstehen kann,
nachzuhelfen. Doch der erklärt das falsche Verhalten nur, legitimiert es
aber nicht. Es gibt Regeln, auf die alle verpflichtet sind, und die sind
schlicht einzuhalten. Sonst funktioniert sportlicher Wettbewerb im Kern
nicht. Zum Sport gehört – ganz simpel – ein grundlegendes Regelwerk.
Auch wenn im Fußball systematisches Doping nicht nachgewiesen ist, gibt es
Verdachtsmomente: Die algerische Mannschaft, die 1986 bei der WM teilnahm,
soll die Spieler ohne deren Wissen gedopt haben. Viele der Spieler haben
Kinder mit Behinderungen bekommen.
Die Fragen zu den gesundheitlichen Folgen des Dopings werden in großen
Teilen des Sportjournalismus und auch bei vielen Verbänden nicht mit der
notwendigen Ernsthaftigkeit diskutiert. Diese Fragen geraten in der Event-
und Entertainment-Fokussierung des Spitzensports völlig in den Hintergrund,
dabei berühren sie seinen Wesenskern. Das ist schon ganz lange
besorgniserregend. Denn: Wie kann man einen Sport akzeptieren, wenn er
Menschen krank macht? Es ist ja längst kein Geheimnis mehr, dass es auch im
Fußball mutmaßliche Opfer des Dopings oder des ungehemmten
Medikamentenmissbrauchs gegeben hat und immer noch gibt.
Finden Sie die WM-Vergabe an Russland kritikwürdig?
Ich finde kritikwürdig, dass die Verbände sich nicht an die Regeln halten,
die sie selbst aufstellen. Wer mir etwas von Völkerverständigung erzählt
und von humanitären Kräften, die der Sport freisetzt, der sollte darauf
achten, dass dort, wo dieses Event dann stattfindet, diese Werte auch
gelebt werden. Natürlich hat die Fifa nicht Einfluss auf die Politik des
Kreml. Aber sie kann Druck machen. Es wäre für die Fifa oder das IOC nötig,
klar zu sagen, unter welchen Bedingungen eine WM oder Olympia ausrichtbar
sind.
Es gibt vage erste Schritte, die hoffen lassen, dass es in eine richtige
Richtung geht, etwa die Kopplung von Menschenrechtsfragen an ein
Bewerbungsverfahren. Zur Durchsetzung wären auch gezielte Nadelstiche
denkbar, zum Beispiel, einem Land, das klar gegen die Statuten verstößt,
das WM-Endspiel zu entziehen. Es ist den meisten TV-Zuschauern schließlich
egal, wo das Spiel an sich ausgetragen wird. Es findet auf einem grünen
Rasen statt – wo der jetzt ist, das ist letztlich unerheblich.
Es gibt eine große Debatte darüber, ob ein Sportevent ein restriktives
Regime propagandistisch unterstützt oder durch die vielen Besucher zu mehr
Weltoffenheit zwingt, bei Argentinien 1978 beispielsweise.
Die Erfahrung zeigt, dass etwa Olympische Spiele nicht zur Destabilisierung
politischer Systeme beigetragen haben; denken Sie an Berlin 1936, an Peking
2008, Sotschi 2014. Ich sehe generell nicht, dass große Sportevents eine
positive Entwicklung im Austragungsland vorantreiben. Dass die Fußball-WM
1978 in Argentinien langfristig tatsächlich zur Destabilisierung der
Militärjunta beigetragen hat, sehe ich eher auch nicht. Zumal man ja auch
damals erleben konnte, welch unrühmliche Rolle Sportfunktionäre mitunter
spielen.
Mir ist haften geblieben, dass damalige DFB-Protagonisten die schlimme
Situation im WM-Gastgeberland schlichtweg ignorierten, während Menschen in
Gefängnissen in unmittelbarer Nähe umgebracht wurden. Von einer
Destabilisierung eines Terrorregimes konnte man da nicht reden. Und
heutzutage ist ebenso zu erleben, wie einflussreiche Top-Sportfunktionäre
die Herrscher in autokratischen Systemen umgarnen. Auch der deutsche
IOC-Präsident Thomas Bach gehört dazu.
Sprechen wir über Katar.
Ich würde mir wünschen, dass eine informierte Öffentlichkeit viel schärfer
mit den Lobbyisten des Fußball-Business ins Gericht geht. Denn der Fußball,
auch seine Großevents, ist am Ende vor allem ein Kulturgut, das es zu
schützen gilt. Es gehört, wenn man so möchte, quasi den Menschen – und
nicht der Fifa. Wohin man Sportgroßereignisse vergibt, mit wem man Verträge
abschließt, kann nicht allein eine Entscheidung für einen Closed Shop sein.
Katar war ein besonders negatives Beispiel. Allein schon die
menschenverachtenden Bedingungen für die Arbeiter auf den WM-Baustellen mit
all den tragischen Konsequenzen für Leib und Leben waren schlicht unfassbar
und in keinster Weise zu entschuldigen.
Aber selbst die simpelsten Kriterien für eine Vergabe waren für die Fifa ja
offenbar zunächst unwichtig – die Temperaturen im Sommer 2022 in Katar
etwa. Erst nachdem die WM dorthin vergeben worden war, realisierte der
Weltverband, dass Fußballspiele bei 50 Grad im Sommer vielleicht doch keine
gute Idee sind. So musste man nahezu den gesamten Jahresterminkalender des
globalen Fußballs für 2022 neu ordnen, um die WM im Winter spielen zu
können. Dass die WM-Vergabe an Katar nicht von Vernunft, sondern von
offenkundig anderen Interessen geleitet war, liegt auf der Hand.
Wenn man Doping- und Korruptionsprobleme zusammenfasst: Bräuchte es nicht
eine Demokratisierung der Verbände?
Es bräuchte eine Demokratisierung und Modernisierung des gesamten
Sportwesens. Ein Hauptmanko: Der weltweit in Verbänden organisierte Sport
kontrolliert sich weitgehend selbst. Er ist Promoter des Business, versucht
am Rad der Kommerzialisierung immer ein Stück weiter zu drehen.
Gleichzeitig pocht der Sport in seinen Sonntagsreden auf die Einhaltung von
Verhaltensstandards, plädiert etwa für null Toleranz in Sachen Doping.
Verbände proklamieren also ethische Standards, deren Ausreizen sie durch
ihr Geschäftsmodell aber systemimmanent in Frage stellen. Der Promoter als
Kontrolleur zugleich – ein Interessenkonflikt, der nicht gutgehen kann.
Es bräuchte viel mehr Kontrolle von außen. Und eine demokratischere
Teilhabe von Athleten. Sie sind das Herz des Sports, ohne sie gäbe es den
Sport schlicht nicht. Aber oft sind sie es, die am wenigsten Macht und
Einfluss in den Funktionärsetagen haben. Ich verstehe, wenn immer mehr
Athleten das nicht mehr hinnehmen wollen, eigenständige
Athletenvertretungen gründen, transparentere und demokratische Strukturen
einfordern.
Die Doping- und Korruptionsskandale der vergangenen Jahre haben Spuren
hinterlassen. Sport ist bei weitem eben nicht der schöne Schein, den uns
die Hochglanzbilder vorgaukeln. Auch im Fußball nicht. Nur, weil die
Menschen die WM im Fernsehen gucken, heißt das noch lange nicht, das sie
goutieren, was die Fifa macht. Einschaltquoten sind kein ethisches
Argument.
12 Jul 2018
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## AUTOREN
Frederic Valin
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