# taz.de -- Wahlbeobachterin über Russland: „Die WM poliert Putins Image auf… | |
> Den Russen wird eingetrichtert, dass der Westen sie hasst. Daher freuen | |
> sie sich über das Scheitern der anderen, sagt Wahlbeobachterin Lilija | |
> Schibanowa. | |
Bild: Ein Putin für daheim: Sein Image konnte Russland durch die WM aufpolieren | |
taz: Frau Schibanowa, interessieren Sie sich für Fußball? | |
Lilija Schibanowa: Nein, ich bin kein Fan. Aber ich sehe mir Hockey und | |
Eiskunstlaufen an. | |
Viele Ihrer Landsleute sind ja geradezu verrückt nach Fußball. Auch den | |
ausländischen Fans gefällt es. Was bedeutet das für Russland? | |
Für Russland ist es sehr wichtig, ein gewisses Gesicht von sich zu zeigen. | |
Man ist ein aufgeschlossenes, schönes und reiches Land. Dafür wird im | |
Moment alles getan. | |
Und das klappt? | |
In den postsowjetischen Jahren hat sich Russland, von außen betrachtet, | |
sehr verändert. Es gibt mehr Wohlstand, und das Land ist insgesamt reicher | |
geworden. Das sieht man in den Metropolen wie Moskau und Sankt Petersburg. | |
Und innen? | |
Die Situation ist sehr schwierig. Sie hat sich sogar verschlimmert, vor | |
allem, was die Politik und Menschenrechte betrifft. | |
Können Sie Beispiele nennen? | |
Der Opposition ist eine Teilnahme an der Politik verwehrt. Das fängt bei | |
den Gesetzen an. Zum Beispiel die Abschaffung der Direktwahl der | |
Bürgermeister. Dazu kommt noch der Einfluss der Massenmedien. Die | |
informieren nicht nur über die Machtstrukturen, sondern nehmen wie | |
PR-Agenturen de facto auf der Seite der Staatsmacht an den Wahlen teil. | |
Nehmen wir die Präsidentenwahlen: Die Massenmedien berichten ausschließlich | |
positiv über den ersten Mann im Staat. Über alle anderen Beteiligten am | |
Wahlprozess wurde negativ und aggressiv berichtet. Das zerstört die | |
Plattform für jede politische Diskussion. | |
Hat es Präsident Wladimir Putin geschafft, die WM für seine Zwecke zu | |
instrumentalisieren? | |
Die WM ist ein Fest für die Nationen. Und Staatschefs wie Putin benutzen | |
solch ein Ereignis für persönliche PR. Natürlich poliert das das Image auf. | |
Hinzu kommt, dass die Russen total hinter ihrer Mannschaft stehen, aber | |
nicht so, wie Fans das normalerweise tun. | |
Was meinen Sie damit? | |
Der Fan jubelt für seine Mannschaft. Bei uns jedoch wird dem Volk die ganze | |
Zeit eingetrichtert, dass der Westen es hasst und dass überall Feinde | |
lauern. Der russische Staatsbürger wähnt sich inzwischen wieder in einer | |
Art von Kaltem Krieg, nach dem Motto: Wir wollen beweisen, dass wir besser | |
und stärker sind; wir müssen den Westen besiegen. Das macht mir Angst. | |
[1][Die Russen sind nicht für die beste Mannschaft]. Sie leiden nicht mit | |
den Spaniern oder den Deutschen, die verloren haben. Im Gegenteil. Sie | |
freuen sich darüber, und das sehr aggressiv. Das ist eine gefährliche | |
Tendenz. | |
Vor der WM gab es viele Stimmen im Westen, die gefordert hatten, das | |
Turnier zu nutzen, um Kritik an der gegenwärtigen Situation zu üben. Doch | |
es ist erstaunlich leise geblieben. Wie erklären Sie diese Schweigsamkeit? | |
Alle sind schon müde von diesem Kalten Krieg. Dieser Konflikt mit Wladimir | |
Putin führt zu nichts. Nehmen Sie den Krieg in der Ostukraine. Nicht einmal | |
die minimalsten Beschlüsse des Minsker Abkommens konnten bisher umgesetzt | |
werden. Der Krieg geht weiter. Auch die Sanktionen haben nichts gebracht. | |
Wir befinden uns in einer Periode, in der keiner weiß, wie es weitergehen | |
soll. Andererseits ist klar, dass für den Donbass eine Lösung gefunden | |
werden muss. | |
Sie haben vom Gefühl des Kalten Krieges gesprochen. Eine WM bietet ja auch | |
immer viele Möglichkeiten, Unbekanntes kennenzulernen. Wird davon etwas | |
Positives in Russland bleiben? | |
[2][Dieses großartige Fest wird in Erinnerung bleiben]. Doch man muss | |
verstehen, dass die Russen dieses Fest als einen temporären Teil ihres | |
Lebens verstehen. Ich glaube nicht, dass sich an der Situation im Inneren | |
Russlands etwas ändert. Doch das Verständnis für das Andere dürfte wachsen. | |
In welche Richtung wird sich Russland Ihrer Meinung nach bewegen? | |
Wenn wir uns die Wahlgesetzgebung ansehen und die Ressourcen der | |
Machtstrukturen, dann wird die Opposition von innen heraus nichts verändern | |
können. Denn sie hat keine Ressourcen und keine Gesetze, auf die sie sich | |
stützen könnte. Der russische Staatsbürger erwartet sich nur von Putin die | |
Lösung aller Probleme. Zum Beispiel die Rentenreform, die Putin wohl | |
zurücknehmen wird. Die Möglichkeit dafür hat er, weil ja auch die Ölpreise | |
wieder steigen. | |
Solange das so ist, wird es keine Veränderungen geben. Das ist sehr schade, | |
weil eine junge Generation herangewachsen ist, die politisch etwas will. | |
Die jungen Leute haben keine sozialen Aufstiegschancen. Weder in der | |
Politik noch in der Wirtschaft. Dabei brauchen wir so dringend Reformen des | |
politischen Systems. Die kommunale Selbstverwaltung ist vollständig | |
zerstört. | |
Was wünschen Sie sich? | |
Das Schlimmste ist dieser Eiserne Vorhang. Ich wünsche mir, dass Russland | |
ein offenes Land ist für die westliche Kultur, die westliche Demokratie und | |
die westliche Zivilisation. Dass wir nicht ein östliches Kalifat werden. | |
Doch dahin bewegen wir uns. Der östliche Despotismus nimmt zu. | |
16 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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