| # taz.de -- WM-Fans in Russland: Alle lieben Putin-Land | |
| > Viele Fans verlassen Russland mit einer Frage. Warum unterscheiden sich | |
| > ihre Eindrücke von der Darstellung des Landes im Westen? | |
| Bild: Da geht's ab | |
| Moskau taz | Die Umstellung erfolgte blitzartig. Kaum hatte der zweite | |
| russische Spieler [1][den Elfmeter gegen Kroatien vertan], kehrte die | |
| Wirklichkeit zurück. Der Lärmpegel im Gartenlokal hatte zuvor schon den | |
| Grenzwert überschritten, schien es. Jetzt ging die WM für Russland doch zu | |
| Ende. Drei Wochen fieberte das Land, mancher Fan entdeckte erst spät die | |
| Begeisterung für den Fussball. | |
| Sergej nahm es mit Fassung: „Eigentlich hätte niemand mit diesem guten | |
| Abschneiden gerechnet.“ Russland sollte damit nun zufrieden sein, sagte der | |
| 26-jährige Student etwas abgeklärt. | |
| Als die Kroaten nochmal ins Bild gerückt wurden, spendete Sergej für die | |
| Sieger spontan Beifall. Auch andere jüngere Zuschauer stimmten ein. Ein | |
| guter, ein großer Verlierer war Russland an diesem Abend. Niemand rief nach | |
| Revanche. Stattdessen feierte Moskau ausgelassen bis in die frühen | |
| Morgenstunden. Die Russen feierten nicht den Titel, sie feierten sich und | |
| ein stückweit ihre neue Gelassenheit. | |
| Ob nun auch in Russland das 21. Jahrhundert einziehe, fragte der belgische | |
| Schlachtenbummler Renier. „Heute kannst du glühender Fan einer Mannschaft | |
| sein und musst die Gegner nicht mehr hassen“, behauptete er mit Blick auf | |
| die westliche Fankultur. Hätte Russland diesen Stand erreicht, wäre es weit | |
| gekommen. [2][Bislang galt auch der Sport aus russischer Sicht immer noch | |
| als Kriegsschauplatz]. | |
| Der Entertainer Andrej Malachow regte nach dem guten Abschneiden der | |
| Sbornaja noch an, Russland solle sich nun die Franzosen vorknöpfen und an | |
| Napoleons Besetzung Moskaus 1812 erinnern. Die russischen Fans waren auf | |
| der Straße hingegen entspannter. Die Fremden schauen auch kein russisches | |
| Fernsehen. Für sie zählt, was sie unterwegs erleben. Natürlich gab es auch | |
| kritische Anmerkungen. | |
| ## Nützliche Hinweise für jeden Großveranstalter | |
| Unterm Strich kamen hunderttausende Besucher jedoch zu einem positiven | |
| Urteil. Auf der Straße, im Stadion oder in Blogs waren die Einschätzungen | |
| sehr ähnlich. In den staatlichen Medien überwogen unterdessen die Elogen. | |
| Schwedische Fans beklagten sich, dass in der [3][Fußgängerzone in Nischnij | |
| Nowgorod keine Kneipe mehr Bier verkaufte]. Sie waren leer gesoffen. In | |
| Russland! Es war ein einschneidendes Erlebnis für sie. Die Wikinger nahmen | |
| es mit Humor. | |
| Der Japaner Akio pries die kurzen Bierschlangen in Jakaterinburg. | |
| Allerdings müsse man vor den WM-Toiletten länger als für Bier anstehen. | |
| Nützliche Hinweise für jeden Großveranstalter. | |
| Besonders viel Freude verbreiteten die bunten Gäste aus Mittel- und | |
| Südamerika. Aus Mexiko, Ekuador, Peru, Argentinien oder Panama. Für den | |
| Peruaner Ninian begann die Reise mit Angst und Schrecken. Jugendliche | |
| durchfilzten die Reisetasche und verlangten den Reisepass, als er in der | |
| kleinen Stadt Saransk in Mordowia eintraf. Am Ende ging alles gut. Nur | |
| wusste Ninian nicht, wie er mit dem Vermieter Kontakt aufnehmen sollte. | |
| Schließlich sammelte der ihn auf der Straße ein. | |
| Fast alle Fremden loben den Gastgeber überschwänglich. Gleichzeitig klagen | |
| sie aber, dass nur wenige in Russland Englisch sprächen. Bemühungen im | |
| Vorfeld der WM, die Sprachkenntnisse zu fördern, waren nicht von Erfolg | |
| gekrönt. In der Sowjetunion bewegte sich der Sprachunterricht in der Schule | |
| meist auf niedrigem Niveau. Kaum ein Schüler war nach Jahren in der Lage, | |
| einen zusammenhängenden Satz in der Fremdsprache zu formulieren. | |
| ## Ein Paradox, das die WM begleitet | |
| Dahinter stand auch das Kalkül, dass die Menschen den Gegner im Kalten | |
| Krieg nicht verstehen sollten. Hinzu kommen noch Selbstgenügsamkeit und | |
| Selbstgefälligkeit einer großen Nation. Auch unter Putins Herrschaft hat | |
| sich der Sprachunterricht daher nicht wesentlich verbessert. Nach wie vor | |
| traut der Geheimdienst dem Volk nicht über den Weg. Je weniger es versteht, | |
| desto weniger Probleme bereitet es den Überwachern. | |
| Kein Zweifel. Russland ist gastfreundlich und hilfsbereit. Viele Gäste | |
| waren beeindruckt von der WM-Organisation. Darauf hatten es Russland und | |
| Putin auch von Beginn an abgesehen. Für Moskau stand fest: Es musste bester | |
| Veranstalter aller Zeiten werden! Der Druck, dem Moskau sich selbst | |
| aussetzte, blieb den Gästen derweil verschlossen. | |
| Von Anfang an begleitete die WM jedoch ein Paradox. Der Wettbewerb findet | |
| in einem Land statt, das sich seit Jahren als belagerte Festung darstellt. | |
| Fast alle Nachbarn hätten es auf Russlands Souveränität abgesehen, | |
| behauptet der Kreml. Für die WM baute es indes Reisebeschränkungen | |
| bereitwillig ab. Fast jeder, der wollte, durfte auch kommen. Führt sich so | |
| ein Staat auf, der sich nach außen hin beklagt, um die Existenz bangen zu | |
| müssen? Und der die Welt daher fürchtet? | |
| Den meisten Besuchern erschien das nicht als Widerspruch. Um derartige | |
| Feinheiten kümmern sie sich nicht. Der Russe ist nett, herzlich und | |
| freundlich, sagt sich der Fan. Warum sollten wir nicht auch mit ihm | |
| auskommen? Warum hat der Westen Probleme mit Moskau? Die Besucher sind | |
| verunsichert und hegen am Ende eher Zweifel an der Politik zuhause. Sie | |
| wundern sich. Warum unterscheidet sich die Darstellung Russlands im Westen | |
| von eigenen Eindrücken vor Ort? | |
| ## Das meint auch Putin | |
| Selbst die Polizei lächelt und lässt sich fotografieren! Dies soll ein | |
| Polizeistaat sein? Kann der so schnell auf Völkerverständigung umschalten? | |
| Folkloristische Bilder mit singenden Sombreros und tanzenden Mädchen | |
| erzählen von Karneval. Die WM liefert Bilder, die sich Putin wünscht. Sie | |
| verdichten sich zu einem Thema: womit hat dieses friedliebende, | |
| gastfreundliche und aufgeschlossene Russland die Kritik des Westens nur | |
| verdient? | |
| Viele Besucher werden mit dieser Frage die Heimreise antreten. Gleichwohl | |
| wird oft vergessen, dass Süd- und Mittelamerikaner, Afrikaner und Asiaten | |
| mit anderem Blick auf die Welt schauen. Für sie sind autoritäre | |
| Führungsfiguren Zuhause nichts Ungewöhnliches. Putin ist dort meist gut | |
| gelitten. | |
| Besonders dürfte sich der Kreml aber über Äußerungen zahlreicher britischer | |
| Fans freuen. Der BBC und Daily Mail warfen sie vor, ein falsches Bild von | |
| Russland zu zeichnen. Es gäbe keinen Grund, vor Russland Angst zu haben. | |
| Das meint auch Wladimir Putin, allerdings mit nüchternem Kopf. | |
| 13 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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