# taz.de -- Hooligans bei Fußball-WM: Keine Gewalt! | |
> Hooligan-Krawalle bleiben bei dieser WM aus. Auf der großen Bühne ist für | |
> Ausschreitungen kein Platz mehr. Fehlt da was? | |
Bild: Ein russischer Fußball-Fan beim Spiel Arsenal Tula gegen Spartak Moskau | |
Es hat einfach nicht geknallt. Nach dreieinhalb Wochen WM stammt der | |
[1][heftigste dokumentierte Gewaltausbruch] vom Vorrundenspiel Argentinien | |
gegen Kroatien: eine Schlägerei am Eingang zum Block, ein Roter liegt auf | |
dem Boden, ein Blauer tritt viermal auf ihn ein und lässt dann von ihm ab. | |
Eine Ordnerin schaut kurz zu, schlendert dann aber weiter. Nicht nett, | |
diese Szene, aber auch nicht richtig gefährlich. Zumindest nicht so | |
gefährlich wie das, was wir uns vor diesem Turnier ausgemalt hatten. | |
Im Interview mit der BBC kündigten russische Hooligans schon ein Jahr vor | |
dem Turnier ein „Festival der Gewalt“ an. „Russen-Chaoten freuen sich auf | |
aggressives Blutbad“, [2][schrieb im Frühjahr die Bild-Zeitung]. Und das | |
ZDF sendete zum Turnierbeginn eine Doku über „die berüchtigtsten | |
Fußballfans Europas“. | |
Falsch gedacht: Geblutet hat in diesem Turnier nur Sebastian Rudy, nach | |
seinem sportlich zugezogenen Nasenbeinbruch im Spiel gegen Schweden. Bilder | |
testosterongeladener Schläger sind nicht entstanden, stattdessen filmten | |
die Kameras fröhliche Russen mit Perücke und Partylaune. Nach einem | |
Festival der Gewalt sah da nichts aus, die Stimmung erinnerte eher an den | |
ZDF-Fernsehgarten live vom Lerchenberg. | |
Und das ist kein Zufall: Die Zeit, in der Hooligans die große Bühne | |
bekamen, geht eben vorbei. | |
Das gilt global, wird in einem autoritär regierten Land wie Russland aber | |
besonders deutlich. Russische Fans berichteten vor dem Turnier über | |
Hausbesuche der Polizei. Besonders berüchtigten Anhängern hätten die | |
Sicherheitskräfte klar gemacht, dass sie sich während der WM nicht blicken | |
lassen sollten – ansonsten könne es schnell ins Gefängnis gehen. | |
Auch in Deutschland gibt es vor Großereignissen solche Gefährderansprachen, | |
mit denen die Polizei potenzielle Randalierer einschüchtert. Mit so | |
eindrucksvollen Aussichten wie dem Aufenthalt in einer Strafkolonie in | |
Sibirien können deutsche Beamte aber nicht drohen. Wenn es darum geht, | |
kurzfristig für Ruhe zu sorgen, ist der Willkürstaat im Vorteil. | |
## Problemsfans schon vor WM gemeldet | |
Und damit wirkt er nicht nur nach innen gegenüber den eigenen Hooligans, | |
sondern auch gegenüber denen aus dem Ausland: Dass aus besonders | |
vorbelasteten Fußballnationen wie England und Deutschland relativ wenige | |
Zuschauer zu dieser WM gefahren sind, könnte nicht nur mit den strengen | |
Visabedingungen zusammenhängen (spontane WM-Reisen ohne Eintrittskarte sind | |
nicht möglich), sondern ebenfalls mit der Furcht vor russischen | |
Sicherheitskräften. | |
Es wäre aber zu viel der Ehre für den autoritären Staat, die | |
Gewaltlosigkeit nur ihm und seiner Kompromisslosigkeit zuzuschreiben. | |
Gerade bei den großen Turnieren läuft seit Jahren ein Austausch des | |
Publikums ab – weg vom klassischen, organisierten, möglicherweise auch | |
gewaltbereiten Anhänger und hin zu Gelegenheitsbesuchern, Familien und | |
Eventfans. | |
Das hat zum Teil mit polizeilicher Repression auch in westeuropäischen | |
Rechtsstaaten zu tun. Während Turnieren sind Ausreisesperren gegen | |
polizeilich bekannte Fußballfans die Regel. Vor dem laufenden Turnier | |
übermittelte die Bundespolizei zudem Daten mutmaßlicher Problemfans [3][an | |
die russische Grenzpolizei]. | |
Verändert hat sich aber auch der Charakter der Turniere hin zu immer | |
stärker durchkommerzialisierten Großveranstaltungen. Wer für das laufende | |
Turnier Karten aus dem deutschen Ticketkontingent kaufen wollte, musste als | |
Bedingung zumindest eine Kurzzeitmitgliedschaft im „Fan Club | |
Nationalmannschaft powered by Coca-Cola“ erwerben. | |
Wer es gewohnt ist, seinen Gruppierungen Namen wie „Nordsturm“ oder | |
„Borussenfront“ zu geben, hat auf solche Marketingspielchen eher keine | |
Lust. | |
## Der Reiz der Gewalt | |
Kein Wunder also, dass sich gewaltorientierte Zuschauer zurückziehen – | |
primär von den großen Turnieren, aber auch vom professionellen | |
Vereinsfußball, in dem ähnliche Entwicklungen ablaufen. Die Gewalt wird | |
seltener, und wer sich doch noch kloppen will, trifft sich auf Feldwegen | |
und Waldlichtungen oder geht zum Amateurfußball. Dorthin, wo die große | |
Öffentlichkeit die Auseinandersetzungen nicht mehr zu sehen bekommt. | |
Ob dieser Öffentlichkeit damit nicht etwas fehlt? Nicht falsch verstehen: | |
Reichskriegsfahnen im deutschen Block und Prügelattacken wie die auf den | |
französischen Gendarmen Daniel Nivel bei der WM 1998 dürfen gerne | |
Vergangenheit bleiben. Eine gewisse Faszination übt der Hooliganismus aber | |
doch aus. Warum sonst haben Medien und Popkultur die Figur des Hooligans | |
sonst so vereinnahmt? Filme wie „Football Factory“, „Green Street | |
Hooligans“ und „Gegengerade“ idealisieren ihn, seine Ästhetik | |
(Harrington-Jacke, Burberry-Muster, Stone-Island-Parka) wurde Mainstream. | |
Es gibt einen Reiz der Gewalt, der das Publikum schaudernd zusehen und den | |
Hooligan selber zuschlagen lässt. Die physische Gewalt, in der modernen | |
Gesellschaft eigentlich streng reguliert, bricht im Moment des Football | |
Riot aus. Nicht vollkommen entgrenzt: Sie beschränkt sich auf den Kontext | |
des Spieltags und wird im besten Fall durch einen Ehrenkodex eingehegt. | |
(Wenn jemand am Boden liegt, ist Schluss; Unbeteiligte werden nicht | |
reingezogen.) Nach genau dieser Kombination, einer reguliert-deregulierten | |
Erinnerung an die archaische Gesellschaft, gibt es offenbar ein gewisses | |
Bedürfnis. | |
Fragt sich nur, was passiert, wenn das nicht mehr im Rahmen von | |
Fußballspielen befriedigt wird. Sind die Trittbrettfahrer politischer | |
Proteste, die zum Beispiel während des Hamburger G20-Gipfels ganz ohne | |
politische Motive mitrandalierten, so etwas wie die neuen Hooligans? Folgt | |
der Hass auf Internetplattformen wie Facebook dem gleichen Muster wie die | |
Gewalt beim Fußball? Oder verschwindet das Bedürfnis vielleicht ganz | |
einfach, wenn nur keine Gelegenheit mehr bleibt, die Aggression auszuleben? | |
10 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/HoolsTV/videos/2041126562805427/ | |
[2] https://www.bild.de/sport/fussball/fifa-wm-2018/russen-hooligans-drohen-bri… | |
[3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/030/1903009.pdf | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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