| # taz.de -- Streit um DDR-Sporterbe: Im Nebel der Geschichte | |
| > Einst gemeinsam unterwegs, treffen sich Henner Misersky und Ines Geipel | |
| > vor Gericht wieder – und der Ex-Trainer obsiegt in allen Punkten. | |
| Bild: Ines Geipel hat in allen Instanzen gegen den Trainer Henner Misersky vor … | |
| Der Rechtsstreit zwischen [1][der ehemaligen Vorsitzenden des | |
| Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel], und Henner Misersky, der als | |
| unbequemer DDR-Trainer die Dopingvergabe an junge Skilangläuferinnen | |
| verweigerte und 2012 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen | |
| wurde, ist beendet – nachdem das Berliner Kammergericht in der Sache 10 U | |
| 1005/20 nun das schriftliche Urteil vorgelegt hat. Die Klage der ehemaligen | |
| Sprinterin des SC Motor Jena gegen [2][den heute 80-jährigen Thüringer] | |
| wird damit in allen Punkten abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des | |
| Verfahrens. | |
| Bereits in der ersten Instanz hatte Misersky in fünf von sieben | |
| Klagepunkten recht bekommen. Nun wurden auch die beiden letzten von Geipel | |
| beanstandeten Punkte als zulässig erachtet. Beide Parteien hatten sich | |
| darüber zerstritten, wie die Sportkarriere der ehemaligen | |
| Leistungssportlerin – vor allem politisch – zu bewerten sei. Misersky | |
| störte sich an angeblich falschen Darstellungen von Geipel, der Etablierung | |
| eines Opfermythos, der laut Misersky nicht zu halten sei. Geipel wiederum | |
| fühlte sich zu Unrecht und obendrein ehrverletzend angegriffen. Sie | |
| begreift sich durchaus als Opfer staatlicher Repression. | |
| So entstand ein öffentlicher Disput, den beide Seiten vehement führten. | |
| Misersky verschickte viele E-Mails, unter anderem an Journalisten, um seine | |
| Position zu verdeutlichen. Geipel fühlte sich dadurch, wie sie auch vor | |
| Gericht sagte, „gestalkt“. Ihre Sicht der Dinge konnte die Schriftstellerin | |
| in diversen Zeitungsartikeln herausstellen. Das Kammergericht musste nun in | |
| letzter Instanz entscheiden, ob Geipel, wie die Sächsische Zeitung am 3. | |
| Juni 2018 schrieb, aus politischen Gründen aus dem DDR-Leistungssport | |
| verbannt worden sei – oder dies aus anderen Gründen, etwa schlechteren | |
| Leistungen, geschah. | |
| ## Studium als Privileg? | |
| [3][Ferner ging es um Geipels „hochbegehrten Studienplatz in Germanistik“ | |
| an der FU Jena], den sie laut Misersky 1986 bekommen habe (Misersky: | |
| „Unglaublich!“). Geipel konnte zwar nachweisen, dass der Studienantritt | |
| bereits 1980 erfolgte. Aber das Gericht geht über das Detail, das dem | |
| Kläger nicht bekannt gewesen sein könne, hinweg. Es urteilt: „Die Klägerin | |
| wird entgegen ihrer Auffassung und dem ihr folgenden Landgericht in dem | |
| angefochtenen Urteil nicht rechtswidrig in ihrem allgemeinen | |
| Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Schutzinteressen der Klägerin überwiegen | |
| nicht die schutzwürdigen Belange des Beklagten. Bei den noch | |
| streitgegenständlichen zwei Äußerungen des Beklagten handelt es sich um | |
| zulässige Meinungsäußerungen.“ | |
| Und weiter: Meinungsäußerungen und Werturteile ließen sich nicht als wahr | |
| oder unwahr erweisen. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen | |
| sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder | |
| Meinens geprägt sind, werde sie als Meinung von dem Grundrecht auf freie | |
| Meinungsäußerung geschützt. „Geht es um einen Beitrag zum geistigen | |
| Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, | |
| spricht die Vermutung – auch im Falle scharfer und überspitzter | |
| Formulierungen – für die Zulässigkeit der freien Rede. Das ist eine Folge | |
| der fundamentalen Bedeutung, die die Meinungsfreiheit für die menschliche | |
| Person und die demokratische Ordnung hat.“ | |
| Das Berliner Kammergericht ist sogar der Ansicht, dass den von Geipel dem | |
| Gericht vorgelegten Stasi-Akten aus der Operativen Personenkontrolle | |
| „Ernesto“ keine „konkreten Vorgänge zu entnehmen sind, die die | |
| Schlussfolgerung einer politischen Verbannung aus dem Leistungssport“ | |
| veranschaulichten: „Die Möglichkeit, in der DDR ein Studium zu absolvieren, | |
| war Ausdruck eines privilegierten Status, der wiederum nicht mit der | |
| Annahme einer in zeitlichem Zusammenhang stehenden politischen Verfolgung | |
| in Einklang zu bringen war“, heißt es im Urteil. | |
| Dass eine solche Kritik ehrverletzend wirke, sei auszuhalten, solange eine | |
| sachliche Auseinandersetzung noch im Raume stehe und die Grenze zur | |
| Schmähkritik, Formalbeleidigung oder zum Angriff auf die Menschenwürde | |
| nicht erreicht oder überschritten würden, schreiben die Richter Tucholski, | |
| Frey und Schneider. | |
| Eine Revision ist nicht zugelassen. | |
| 22 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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