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# taz.de -- Der Fall Geipel und Gesinnungskämpfe: Doping und Prawda
> Mit der Wahrheit nimmt es DDR-Leistungssportlerin und
> Anti-Doping-Kämpferin Ines Geipel nicht genau. Kritiker werden
> diskreditiert. Ein Gastbeitrag.
Bild: Angebliche Weltrekordlerinnen: Ines Geipel-Schmidt (r.) mit Bärbel Wöck…
Vor fast einem Jahr strahlte [1][der MDR eine spektakuläre Dokumentation
aus:] „Doping und Dichtung. Das schwierige Erbe des DDR-Sports“. Der
harmlose Titel galt einer 45-minütigen Abrechnung mit der ehemaligen
Leistungssportlerin und unerbittlichen Aufarbeiterin Ines Geipel. Sie hatte
es abgelehnt, an dem Film mitzuwirken. Nach der Ausstrahlung legte sie
Programmbeschwerde ein – vergeblich.
Der Film fasste zusammen, was andere auch bereits recherchiert hatten:
Geipel neigt zu Übertreibungen, vernebelt ihre Biografie und [2][rechnete
die Opferzahlen des DDR-Staatsdopings immer mehr nach oben.] Das hatte
Konsequenzen, immer mehr einstige DDR-Hochleistungssportler wurden so zu
vermeintlichen Opfern einer Dopingpraxis, von der sie angeblich nichts
wussten.
Natürlich sprangen Ines Geipel – wie immer – einige Medien zur Seite. Allen
voran Anno Hecker von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der unter
offenkundiger Ignoranz vorliegender Dokumente jede Kritik an Geipel
zurückweist und stattdessen Kritiker wie den jüngst verstorbenen
Anti-Doping-Kämpfer Henner Misersky verunglimpft. Auf die
Programmbeschwerde von Geipel folgte Ende August ein 100-seitiger
„Faktencheck“, den der MDR in Auftrag gegeben hatte.
Diese von zwei unabhängigen Autoren verfasste Analyse zerpflückte Geipels
Behauptungen und belegte, dass die MDR-Dokumentation mit allem richtig lag.
Dieses mir bekannte Papier ist nicht veröffentlicht worden, sondern stand
nur den MDR-Gremien zur Verfügung. Da sich die Geipel-Apologeten von Fakten
nicht beirren lassen, würde sich ohnehin nichts ändern.
## Aufgekündigte Freundschaft
Als frühere und jetzige Gremienmitglieder der Bundesstiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur der Geschäftsführerin der Stiftung diesen
Bericht überspielten und sie baten, ihre kritiklose Unterstützung Geipels
zu überdenken, antwortete sie, das komme für sie nicht infrage, man könne
auch in so manchen Punkten gegenteilig Stellung nehmen.
Es geht schon längst nicht mehr um Fakten, wie dieses Beispiel andeutet. In
der kleinen, heftig zerstrittenen Aufarbeitungsszene ist der „Fall Geipel“
nur ein Seismograf für Gesinnungskämpfe. Nachdem der Historiker Rainer
Eckert mit seinem Buch „Umkämpfte Vergangenheit“ in diesem Jahr – zunäc…
war das Erscheinen verhindert worden – Kritik übte, traf ihn der
Bannstrahl.
In meinem Buch „Die Übernahme“ stellte ich 2019 die Frage, ob jeder gedopte
DDR-Sportler damit auch ein Opfer gewesen sei. Ich schrieb: „Unstrittig
ist, dass Kinder und Jugendliche, die gedopt wurden, Opfer sind und
entschädigt werden müssen. In der DDR war Doping unter der Hand
Gesprächsstoff. Manche Eltern haben ihre Kinder aus den Leistungszentren
genommen, um Doping zu verhindern. Was aber ist mit Erwachsenen, die
dopten? Sind das auch Opfer des Systems?“ Meine Antwort: „Ich finde,
Erwachsene sollten auch wie Erwachsene behandelt werden. Man wird nicht zum
Opfer, wenn man etwas sehenden Auges mitmachte, um einen Vorteil zu
erlangen.“
Diese Passage nahm Ines Geipel zum Anlass, mir ihre Freundschaft zu
kündigen. Sie brachte es fertig, mich im Deutschlandfunk als eine Person zu
bezeichnen, die auf dem analytischen Niveau eines Egon Krenz agiere. Damals
ahnte ich nicht, welche Verbündeten Geipel hinter sich weiß: Redakteure im
Deutschlandfunk, Journalisten der Neuen Zürcher Zeitung, freischaffende
Reporter, Angestellte und Funktionäre der Bundesstiftung zur Aufarbeitung
der SED-Diktatur oder die Sportredaktion der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung.
## Geipels politische Verbündete
Egal, was auch immer gegen Geipel zuletzt vorgetragen wurde, sofort war
diese Allianz in Verbindung mit Angestellten der Freien Universität Berlin,
die wie verblendete K-Grüppler agieren, zur Stelle, um jeden Vorwurf
zurückzuweisen.
Geipel hatte stets auch politische Verbündete. Die Entschädigungen für
Dopingopfer hat sie maßgeblich mit CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten
durchgesetzt. Meine langjährige Freundschaft [3][mit Werner Schulz (Grüne)]
ging in die Brüche, weil wir uns wegen Geipel erbarmungslos zerstritten. Es
war schon erschütternd, dass Werner Schulz im Schloss Bellevue am 9.
November 2022 auf der Toilette zusammenbrach und verstarb, als ausgerechnet
ich zur gleichen Zeit im Saal einen Vortrag über das Jahr 1989 hielt.
Die toxische Kraft der einstigen Hochleistungssportlerin hat mittlerweile
unzählige Verbindungen gekappt. Als eine Gruppe Ostdeutscher zum 30.
Jahrestag des Mauerfalls eine Sonderausgabe der Welt gestaltete und Ines
Geipel dabei grobe Fehler unterliefen – sie verzehnfachte kurzerhand die
Zahl minderjähriger Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für
Staatssicherheit (MfS) –, wies Marianne Birthler, langjährige
Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Geipel bei einem privaten
Abendessen darauf hin. Geipel meinte sinngemäß deswegen zu Birthler, ob sie
jetzt wohl auch „auf der anderen Seite“ stehe.
Dieses Muster ist bekannt: Wer diese Aufarbeiter kritisiert, muss damit
rechnen, als Verharmloser der DDR und des Kommunismus hingestellt zu
werden. Sie wähnen sich auf einer Mission, bei der es keine Differenz mehr
zwischen Person und Aufgabe gibt, sondern beides kongruent zusammenfällt.
## Ungereimtheiten in der Biografie
Bei Geipel kommt hinzu, dass sie eine DDR-Biografie aufweist. In den
letzten Jahren kamen immer mehr Ungereimtheiten zutage. So hat sie
jahrelang ihre SED-Vergangenheit verheimlicht und fing dann an, diese zu
verharmlosen. Natürlich war allen Insidern klar, dass
Hochleistungssportlerinnen um des Sieges Willen so ziemlich alles in Kauf
nehmen. Auch Ines Geipel hätte mit allem offen umgehen können, niemand
hätte ihr daraus einen Vorwurf machen können. Stattdessen konstruierte sie
eine Biografie, die erkennbar viele Ungereimtheiten aufweist.
So bezog auch sie eine Dopingopferentschädigung, obwohl sie Ende der 1990er
Jahre einräumte, wissentlich gedopt zu haben. Medienwirksam ließ sie sich
aus einer „Weltrekordliste“ streichen, obwohl es den Weltrekord nicht gab.
Mehrfach behauptete sie, aus politischen Gründen nicht ins Olympiateam
aufgenommen worden zu sein, obwohl es gar kein Olympiateam wegen des
Boykotts der Spiele 1984 gab. Außerdem sei ihr auf Betreiben des MfS die
Bauchdecke zerschnitten worden, damit ihre Karriere zu Ende sei.
Tatsächlich lief sie nach dieser OP noch Rennen und wurde 1985 in allen
Ehren öffentlich aus der Nationalmannschaft verabschiedet.
Warum Geipel nie gegen die Ärzte, die sie operierten, Strafanzeige stellte,
ist ebenso unklar wie der Umstand, dass es gegen sie nie einen Operativen
Vorgang (OV) des MfS gab. Warum das wichtig ist? Weil nur im Rahmen eines
solchen OV vergleichbare Zersetzungsmaßnahmen geplant und umgesetzt worden
sind. Was in den Unterlagen des MfS über Geipel wirklich steht, weiß
niemand außer sie selbst, weil Geipel die Akten gesperrt hat.
Das ist ihr gutes Recht. Andere wie Wolf Biermann, Rainer Eppelmann, Ralf
Hirsch, Gerd Poppe, Ulrike Poppe oder weitere handhaben das anders und
geben alles für die Forschung frei. Daran muss sich niemand orientieren.
Aber steht das jemandem gut zu Gesicht, [4][der gleichzeitig als radikale
Stimme der Aufarbeitung in der Öffentlichkeit gilt], von allen Ehrlichkeit,
Wahrhaftigkeit und Offenheit verlangt?
## Diskreditierung eines Anti-Doping-Kämpfers
Bei Geipel kommt hinzu, dass ihre Lobby mit unfairen Mitteln arbeitet. Der
Verfasser dieser Zeilen wird etwa von einer Truppe Geipel-Anhänger mit
strafrechtlich relevanten Vorwürfen in der Öffentlichkeit überhäuft –
angeblich hätte ich die öffentlich unbekannte Stasi-Akte über Geipel an die
Öffentlichkeit „gezogen“ und verbreitet, obwohl nachweisbar ist, dass ich
weder Zugang zu dieser Akte hatte noch zur fraglichen Zeit überhaupt in der
Behörde arbeitete.
Dem kürzlich verstorbenen Anti-Doping-Kämpfer Henner Misersky, der dafür in
die Hall of Fame des Sports aufgenommen wurde, ruft diese Truppe nun nach,
er sei gar kein Ehrenmann gewesen. [5][Warum? Weil er in Prozessen gegen
Geipel gesiegt hatte.]
Auch künftig werden sich an Ines Geipel die Geister scheiden. Einer offenen
Gesellschaft ist das nicht abträglich. Allerdings sollten ihre Verteidiger
ein Mindestmaß an Seriosität bewahren und Fakten akzeptieren. Vielleicht
entschließt sich der MDR, den „Faktencheck“ zu veröffentlichen, dann kann
sich jeder selbst ein Bild machen.
Und Ines Geipel könnte ihren fraglos wichtigen und originellen Beitrag zur
Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur leisten, ohne sich selbst dabei
immer in den Mittelpunkt stellen zu müssen.
Der Autor ist Historiker mit dem Schwerpunkt Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Jüngst veröffentlichte er eine Biografie über Walter Ulbricht.
16 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=FUInTLwH4fI
[2] /Streit-im-Doping-Opfer-Hilfeverein/!5542572
[3] /DDR-Buergerrechtler-Werner-Schulz-gestorben/!5894274
[4] /Umkaempfte-Zone-von-Ines-Geipel/!5583141
[5] /Streit-um-DDR-Sporterbe/!5814076
## AUTOREN
Ilko-Sascha Kowalczuk
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