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# taz.de -- Bürgerrechtler Gerd Poppe gestorben: Freiheitskämpfer in der Dikt…
> Sein Lebensthema war Freiheit. Dafür hat Gerd Poppe erst in der
> DDR-Opposition gekämpft, danach bei den Grünen. Ein persönlicher Nachruf.
Bild: 2. Januar 1992: Gerd Poppe und Ulrike Poppe (l.) nehmen Einsicht in ihre …
Das freiheitlichste Kämpferherz, das ich kenne, hat gerade für immer
aufgehört zu schlagen. Vier Wochen hat mein Freund, mein großes Vorbild
Gerd „Poppoff“ Poppe gekämpft – diesen letzten Kampf hat er nun verloren.
Ein großes Leben hat sich nur wenige Tage nach seinem 84. Geburtstag
vollendet. Wir – seine Frau Ilona, seine Kinder Grit, Jonas und Johanna und
seine engsten Freunde wie Marianne, Henne, Petra, Lukas, Ulrike, Birgit,
Putz, Thomas oder Ralf haben seit Wochen und Tagen gebangt und gehofft,
immer wieder an seinem Krankenbett – vor wenigen Tagen mussten wir voller
Trauer zur Kenntnis nehmen, dass es keine Chancen mehr gibt.
Mit Poppoff verliert unser Land eine der ganz großen Persönlichkeiten des
Widerstands gegen die kommunistische Diktatur. Wie seine langjährigen
Weggefährtin Bärbel Bohley zählte er zu den ganz wenigen Oppositionellen
der 1970er und 1980er Jahre, die selbst keinen kirchlichen Hintergrund
aufwiesen und nicht durch die Kirche geschützt waren (auch wenn er einige
Jahre dort arbeitete, was enorm konfliktbeladen war).
Mitten im Zweiten Weltkrieg an der Ostseeküste geboren, studierte er Physik
und war seit 1968 eine der prägenden Persönlichkeiten in der
antikommunistischen Opposition gegen die SED-Diktatur. Sein Lebensthema war
und blieb – FREIHEIT. Er gehörte 1985/86 zu den Gründern der „Initiative
Frieden und Menschenrechte“ (IFM). Der Grundsatz dieser profiliertesten
Ostberliner Oppositionsgruppe lautete, wer keinen inneren Frieden
garantiere, könne auch keinen inneren Frieden sichern – beides gehöre
zusammen.
## An vielen Schauplätzen aktiv
Poppoff wirkte in seiner Oppositionsarbeit trotz jahrelanger Reiseverbote
und einer intensiven Bearbeitung durch die Stasi immer grenzüberschreitend
und hielt Kontakte sowohl mit bundesdeutschen und westeuropäischen
Politiker*innen und Menschenrechtlern als auch mit
ostmitteleuropäischen Oppositionellen und Dissident*innen aufrecht.
Poppoff lehnte übrigens das * entschieden ab.
Er gehörte zu den Vordenkern der Freiheitsrevolution von 1989. In dieser
Zeit war er an vielen Schauplätzen aktiv – etwa als IFM-Vertreter am
Zentralen Runden Tisch ab Dezember 1989 oder als Minister ohne
Geschäftsbereich in der Modrow-Regierung ab Februar 1990. Am 18. März 1990
gewann er für die IFM mit dem Bündnis 90 ein Mandat in der ersten
demokratisch gewählten DDR-Volkskammer. Ein Lebenstraum von ihm ging in
Erfüllung: freie und demokratische Wahlen – dafür hatte er wie nur wenige
andere sein Leben lang gekämpft. Stephan Bickhardt nennt ihn wohl
zutreffend das „geistige Oberhaupt der Opposition“ in der DDR.
Von 1990 bis 1998 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und
außenpolitischer Sprecher der Gruppe bzw. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Er engagierte sich für die Menschenrechte weltweit und war in Ländern mit
früheren oder aktuellen Diktaturen aktiv. Er trug mit wenigen anderen
ostdeutschen Bürgerrechtler maßgeblich dazu bei, dass die Grünen
außenpolitisch eine andere Partei wurden – das zeigte sich etwa an seiner
Politik gegenüber den Balkanstaaten: viel früher als alle anderen sprach er
sich für eine aktive Politik, die Verbrechen und Massenmorde zu verhindern
und mit allen Mitteln einzudämmen versucht, aus. Seine Partei, die ohne
diesen Richtungswechsel nie zur realpolitischen Kraft hätte werden können,
hat ihm das nie gedankt.
## Engagiert für Osteuropa
Außerdem engagierte er sich für die Aufarbeitung der Geschichte der
SED-Diktatur und des Kommunismus. Von 1992 bis 1998 war er Obmann in den
beiden Enquete-Kommissionen, die sich im Deutschen Bundestag mit Geschichte
und Folgen der SED-Diktatur befassten. Ehrenamtlich wirkte Poppoff von 1998
bis 2021 als Vorstandsmitglied der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur. Sein besonderes Augenmerk galt hier Osteuropa und der
früheren Sowjetunion.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag war er von 1998 bis 2003 der
erste Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe, angesiedelt im Auswärtigen Amt. Damit schloss sich ein Lebenskreis,
der immer Menschenrechte und Freiheit im Zentrum hatte.
Poppoff war bis 1989 ein Freiheitskämpfer in der Diktatur – und er war ab
1990 ein Freiheitskämpfer gegen Diktaturen. Früher als die meisten anderen
– nämlich von Anfang an – warnte er vor dem KGB/FSB-Offizier Putin. Bei
seinen Reisen nach Russland und andere Nachfolgestaaten beobachtete er sehr
genau, was sich dort abspielte. Er war in Tschetschenien – wie übrigens
auch in Afghanistan oder China. Bis zuletzt war er selbstverständlich auf
Seiten der Ukraine – kompromisslos und unbeirrt ob aller
Zersetzungsstrategien und öffentlichen Manipulierungsversuche. Auf seinen
unzähligen Reisen in alle Weltregionen traf er sich mit Oppositionellen,
mit politisch Verfolgten, mit aus politischen Gründen Inhaftierten. Eine
besondere Verbindung hatte er immer zur russischen Bürgerrechtsorganisation
Memorial.
## Freiheitskämpfer auch im Alltag
Gerd „Poppoff“ Poppe ist nicht nur immer ein Freiheitskämpfer gewesen. Er
hat es auch im Alltag gelebt – freiheitlich in der Diktatur, freiheitlich
in der Demokratie. Jeder, der ihn kennenlernte, erlebte einen Mann, der für
seine Überzeugungen stritt, immer gute Argumente auf seiner Seite hatte und
natürlich auch den nötigen Sturkopf besaß, um nicht unterzugehen. Wie stark
er diesen Freiheitsgedanken lebte, zeigte sich auch daran, dass er mit
seiner damaligen Frau Ulrike und anderen Freunden Anfang der 1980er Jahre
den ersten unabhängigen Kinderladen in Ost-Berlin gründete, um die zwei
gemeinsamen Kinder dem staatlichen Zugriff wenigstens im Kindergartenalter
zu entziehen. Der Staat schaute nicht lange zu und zerstörte das Projekt.
Die Wohnung in der Rykestraße war viele Jahre Anlaufpunkt für
Oppositionelle aus der ganzen DDR, aber auch für Menschen aus allen
möglichen Ländern. Sehr viele Jahre lang hat die Stasi Poppoff intensiv
beobachtet, „bearbeitet“ und zu „zersetzen“ versucht. Die überlieferten
Akten gehören zu den umfangreichsten überhaupt, die die Stasi über
Oppositionelle anlegte. So ist auch teilweise dicht dokumentiert, wer aus
dem Ausland Kontakt zu Gerd Poppe aufnahm.
Natürlich kannte Poppoffs Leben viele Höhen, viele Täler. Das Schlimmste
ereignete sich 1992, als sein Sohn Boris, der Bruder von Grit, im Alter von
25 Jahre tödlich verunglückte. Immer wieder machte sich Poppoff deswegen
Vorwürfe – sinnlose Vorwürfe, wie es nur Eltern verstorbener Kinder tun
können.
Leider hat Poppoff trotz vielerlei Drängens es nicht in Angriff genommen,
eine Autobiographie zu schreiben. Dabei wäre seine, eine einzigartige, so
wichtig gewesen. Als er das letzte Mal vor wenigen Tagen auf meine Worte am
Krankenbett, das nun sein Todesbett werden sollte, reagieren konnte, habe
ich ihm gesagt, nun muss ich das übernehmen und eine Biographie über ihn
schreiben. Wenn er es selbst getan hätte, wäre das Buch besser geworden.
Mit einer seiner typischen Gesten hat er abgewunken, aber sein Gesicht
zeigte ein feines Lächeln.
## Mein wichtigster Ratgeber
Poppoff konnte nicht nur energisch sein – was haben wir uns manchmal in
unserem kleinen Inner Circle gestritten, meine Herren! –, er hatte auch
einen sehr feinen Humor. Was ich besonders schätzte: Niemals in unser
35-jährigen engen Freundschaft habe ich von ihm den Satz gehört. „Das
interessiert mich nicht.“ Und Poppoff interessierte sich wahrlich für fast
alles: Politik und Geschichte sowieso, Architektur, Kunst, er reiste gern,
ging häufig ins Kino und in Konzerte, verfolgte Sportwettkämpfe, er liebte
Dart und Billard. Er war der Mensch mit dem größten Wissen, dem ich je
begegnet bin. Dabei hatte er etwa in Film- und Musikdingen nicht nur große
Tonträger- und Buchsammlungen, sondern auch ein erstaunliches, jederzeit
abrufbares, unfassbar breites Wissen. Er ging gern in klassische Konzerte,
stand bis zuletzt auf Rockkonzerten herum und war ein begeisterter
Jazzgänger. Das letzte Konzert – Freitag, den 28. März – musste ich nun
ohne ihn erleben. Mein geplantes Geschenk erreichte ihn nicht mehr in
seinem Krankenbett.
Für mich war er immer mein größtes Vorbild und Inspirator, Kritiker und
Richtschnur, ein, nein, mein Leuchtturm – und mein wichtigster Ratgeber
seit Jahrzehnten. Er hat in der Diktatur freiheitlich gelebt und
entscheidend zum Sturz der kommunistischen Diktatur beigetragen. Ich bin
stolz darauf, ihn meinen Freund nennen zu können. Nun müssen wir ihn zu
Grabe tragen – es ist, als ginge ein Stück meiner Seele mit ihm. Seit
Wochen spürte ich, als verabschiede sich ein Teil von mir für immer. Nun,
da das Unausweichliche eingetreten ist, weiß ich gerade nicht, welchen Sinn
ich darin finden sollte. Aber ich weiß, dass Gerd „Poppoff“ Poppe nie tot
sein wird, so lange wir uns seiner erinnern. Ich werde meinen kleinen Teil
dazu beitragen, dass er nie vergessen wird. Und ich werde mich dafür
einsetzen, dass auch andere sich dafür engagieren. Deutschland hat eine
einzigartige Persönlichkeit verloren. Ich einen Freund, wie ich nie wieder
einen haben werde.
30 Mar 2025
## AUTOREN
Ilko-Sascha Kowalczuk
## TAGS
Nachruf
Menschenrechte
DDR
Wende
Stasi-Vergangenheit
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt AfD
DDR
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