| # taz.de -- Ines Geipel über Olympia in Hamburg: „Ein makabrer Spaß“ | |
| > Ines Geipel, Fürsprecherin von Dopingopfern, kritisiert die Hamburger | |
| > Bewerbung für die Spiele 2024, freut sich aber über eine | |
| > Entschädigungszahlung des Bundes. | |
| Bild: Rotes Licht für die Spiele: „Olympia ist kein Sakrileg“, sagt Ines G… | |
| taz: Frau Geipel, Sie und der Dopingopfer-Hilfe-Verein (DOH) wenden sich | |
| gegen Olympia in Hamburg. Unter dem Motto „Hamburg kann München“ sollen die | |
| Hanseaten am Sonntag gegen die Ausrichtung der Sommerspiele 2014 in der | |
| Stadt stimmen. Warum haben Sie diese Aktion gestartet? | |
| Ines Geipel: Wir haben als DOH jeden Tag mit schwer geschädigten | |
| Dopingopfern zu tun, deren Zahl ständig steigt. Einen glaubwürdigen | |
| Rückblick und die Hilfe des organisierten Sports gibt es hier jedoch nicht. | |
| Insofern halten wir es für legitim, die Hamburger zu fragen, ob sie sich | |
| den richtigen Partner ausgesucht haben. Olympia ist kein Sakrileg, und bei | |
| allen Skandalen der letzten Zeit wäre es doch nur richtig zu sagen: Moment, | |
| keine dumpfe „Jetzt erst recht“-Rhetorik, sondern erst mal eine knallharte | |
| Analyse, welche Art Sport wir in diesem Land eigentlich wollen. Dann kann | |
| man immer noch Olympia machen. Wir sagen: Die Sportopfer der Vergangenheit | |
| sind ein Mahnmal. Es darf keine Wiederholung geben, das heißt, kein Olympia | |
| ohne Geschichte. | |
| Was heißt „ohne Geschichte“? Was genau hat die Lobbyarbeit der | |
| Dopingopfer-Vertreter mit der Olympiabewerbung Hamburgs zu tun? | |
| Das liegt doch auf der Hand. Einerseits das glanzvolle Megafest Olympia, | |
| das ist ja schön und gut. Andererseits das, was nach Olympia als Bilanz | |
| steht. Und das ist ganz konkret eine lange Todesliste, das sind hunderte | |
| und aberhunderte schwerst geschädigte Athletinnen und Athleten. Olympia ist | |
| in der Vergangenheit vor allem ein sehr makabrer Spaß gewesen, so schön die | |
| Bilder auch waren. Wir betrachten heute lauter geplatzte Sportmärchen, | |
| wollen aber ohne seriösen Blick auf sie eine Neuauflage. Deshalb finden wir | |
| es wichtig, laut Alarm zu schlagen. | |
| Es muss uns was anderes einfallen, als in den organisierten Sport vorn | |
| tolle Sportler reinzuschieben und hinten, in unserer Beratungsstelle, in | |
| der Blackbox des deutschen Sports, landen dann hunderte kaputte, | |
| malträtierte, verstümmelte Athleten. Wir haben jetzt, im Jahr 2015, | |
| Strafanzeige gestellt in einem Fall, der dreißig Jahre her ist. Das heißt, | |
| heute blüht die Wunde des Sports überhaupt erst auf. Die Körper rutschen | |
| viel später zusammen. | |
| „Wir müssten eigentlich nach der Tradition in beiden deutschen Staaten und | |
| nach unserer Wirtschaftskraft, mit der wir den Spitzensport fördern, | |
| mindestens ein Drittel mehr Medaillen bekommen, vielleicht mehr“, hat | |
| Sportminister Thomas de Maizière gesagt. Wie finden Sie die Aussage des | |
| CDU-Politikers? | |
| Wir bitten den Sportminister des Landes, in unsere Beratungsstelle zu | |
| kommen und sich die Realität anzuschauen. Nein, bitte kein „Jetzt erst | |
| recht!“. Nein, kein „Weiter so!“ Im Oktober 2015 hat sich ein heute aktiv… | |
| Athlet gemeldet, der gesagt hat: Mein Trainer hat mich gezwungen, Tabletten | |
| zu nehmen. Ich wollte das nicht. Das heißt, die Gegenwart ist die | |
| Vergangenheit oder auch umgekehrt. | |
| Ist diese Forderung nach 30 Prozent mehr Medaillen mit ehrlichem Training | |
| erfüllbar? | |
| Die beiden Großsysteme Fußball und Leichtathletik sind gerade völlig | |
| implodiert. Der Faible der Deutschen für Sportmärchen ist das eine, die | |
| Realität aber das andere. Die geforderten Leistungen sind ohne Doping nicht | |
| drin. Und jedem ist klar, dass die viele Chemie im Land nicht pünktlich | |
| 1989 aufgehört hat und an den Grenzen unseres Landes auch nicht Halt macht. | |
| Aber mit Nullverantwortungspolitik kommen wir in einem Hochrisikogeschäft | |
| wie dem Sport nicht weiter. | |
| Der Deutsche Olympische Sportbund findet die Anti-Olympia-Initiative des | |
| Dopingopfer-Hilfe-Vereins „schräg“. DOSB-Chef Alfons Hörmann wettert gegen | |
| Sie und den Verein. | |
| Ja klar, dem DOSB schmeckt das nicht, das ist schon klar. Aber selten habe | |
| ich die Spitze des Sports so außer Form gesehen wie im Moment. Mehr als ein | |
| Wegducken aus der Verantwortung fällt ihnen nicht ein. Das ist doch | |
| Uraltpolitik, die da gemacht wird. | |
| Noch im Frühjahr hatte Hörmann versprochen, eine Entschädigung von | |
| Dopingopfern zur „Chefsache“ zu machen. Was ist daraus geworden? | |
| Nichts, null. Es gibt weder einen Cent vom DOSB noch ein verbindliches | |
| Gespräch. Auch hier eine seltsam aus der Zeit gefallene Politik. Es wäre | |
| für den DOSB doch eine leichte Übung zu sagen: Es sind unsere Opfer, also | |
| reichen wir ihnen auch die Hand. Was heißt Sportfamilie denn sonst? Wenn | |
| der organisierte Sport noch immer glaubt, sich aus jeder Verantwortung | |
| gegenüber seinen Opfern stehlen zu können, dann müssen die DOSB-Funktionäre | |
| eben damit leben, dass sich die Bevölkerung abwendet, dass die Jungen | |
| lieber in wilden Ligen spielen, als sich in einem Trostlosverein zu | |
| organisieren. | |
| Das Innenministerium hat kürzlich für einen Paukenschlag gesorgt und 10,5 | |
| Millionen Euro für die Dopingopfer zur Verfügung gestellt. | |
| Ja, großen Dank und Lob dafür. Es war schwer genug, das hinzubekommen. 10,5 | |
| Millionen, klar, das ist ein Wort, aber das sind Einmalzahlungen. Damit | |
| gibt es noch keine Nachhaltigkeit, die die Opfer aber brauchen. Und so geht | |
| einmal mehr der Ball jetzt an den organisierten Sport. Im Grunde ist es | |
| doch einfach: Bleibt es beim Nein, werden die nun bald 1.000 Opfer | |
| demnächst in Frankfurt vor der neuen DOSB-Zentrale stehen und ihr Recht | |
| einfordern. | |
| Aber der DOSB hat in der Vergangenheit doch Geld lockergemacht für | |
| Dopingopfer. | |
| Sicher, 500.000 Euro gezahlt und dafür 2,6 Millionen damals vom DDR-NOK | |
| (Nationales Olympisches Komitee; d. Red.) bekommen. | |
| Warum zahlt das BMI diese üppige Summe. Wie haben Sie das geschafft? | |
| Der DOSB und der DOH haben im letzten Dezember zusammengesessen. Wir haben | |
| dort Herrn Hörmann und Herrn Vesper (Generaldirektor des DOSB; d. Red.) | |
| gesagt, dass die Zahl der Geschädigten rapide gestiegen ist. Zu dem | |
| Zeitpunkt ging es um 700 Geschädigte. Etwa 200 sind schon entschädigt | |
| worden – wir haben also 500 nicht entschädigte Fälle. Da hat der DOSB | |
| gesagt: „Wenn es einen neuen Sachstand gibt, dann legen Sie ein Konzept | |
| vor.“ Das haben wir gemacht. Vom DOSB gab es auf dieses Konzept nie eine | |
| Antwort. Dasselbe Gespräch und etliches an Zuarbeit gab es auch beim | |
| Bundesministerium des Inneren (BMI). Es war klar, dass in einem | |
| konspirativen Dopingsystem, in dem etwa 15.000 Sportler gedopt worden sind, | |
| neue Schäden auftauchen. Menschen, die dringend Hilfe brauchen. | |
| Warum war das BMI einsichtig? | |
| Ich glaube, es hat mit verschiedenen Dingen zu tun, auch mit einer | |
| veränderten Personalsituation im BMI selbst. Plötzlich sitzen da junge | |
| Leute, die angeödet sind von Täterloyalitäten und Dopingsozialisierungen | |
| bis in den Sportausschuss hinein. Und es lag an der Sachlage. Karzinome, | |
| behinderte Kinder, schwerste Organschäden und eine immer länger werdende | |
| Todesliste. Die Realität ist stärker als der Glauben an das ach so schöne | |
| Sportmärchen. Entschädigung ist in diesem Land nie eine Erfolgsgeschichte, | |
| aber das BMI hat an der Zeitenwende gestemmt. | |
| Wie ist die Resonanz in Ihrem Verein? | |
| Die ist natürlich enorm. Wir saufen ab, weil sich so viele ehemalige | |
| Sportlerinnen und Sportler melden. | |
| Wie soll die Entschädigungspraxis konkret aussehen? | |
| Es werden nur die Neufälle entschädigt. Die Zahl ist jetzt zunächst mit | |
| 1.000 angesetzt. | |
| Kommen Sie sich da nicht wie eine Erbtante vor, die eine zweistellige | |
| Millionensumme zu verteilen hat? | |
| Nein, wir haben doch damit im Grunde gar nichts zu tun. Sicher, wir haben | |
| die Summe für die Geschädigten erkämpft, aber die Entschädigungen werden | |
| über das Bundesverwaltungsamt abgewickelt. Das ist auch gut, denn die | |
| Auseinandersetzung im Konkreten, der Streit über Gutachten und Anerkennung | |
| der Schäden, all das ist eine sehr schwierige Materie. Da gibt es auch | |
| Interessen und klare Opferhierarchien. Das ist kein einfacher Stoff, das | |
| würde man nicht durchstehen. | |
| Vermuten Sie, dass es nun auch Trittbrettfahrer gibt? | |
| Der Betroffene muss belegen können, dass er Kaderathlet war, bei welchem | |
| Trainer er war, welche Sportgeschichte er hatte. Und es muss eine konkret | |
| belegbare Krankengeschichte geben. Es muss eine plausible Geschichte im | |
| Sport sein. | |
| Wie war das für Sie, als die Nachricht kam, dass Geld vom BMI fließen wird. | |
| Ein sehr emotionaler Moment? | |
| Klar, ist das schön. Das ist ein echter Schritt nach vorn. Nun können wir | |
| nach einem langen Patt wirklich konkret helfen, aber 10.500 Euro für einen | |
| total kaputten Körper, für einen völlig aus der Bahn geworfenen Menschen | |
| reichen am Ende dann doch nicht. Es wird nicht anders gehen, als die | |
| Geschichte des deutschen Sports in einer völlig neuen Dimension zu denken. | |
| 29 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
| Stefan Osterhaus | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Hamburg | |
| DOSB | |
| Doping im Spitzensport | |
| Dopingopfer | |
| Dopingopfer | |
| Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
| Doping | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit im Doping-Opfer-Hilfeverein: Hilfe, Opfer! | |
| Ines Geipel steht an der Spitze des Doping-Opfer-Hilfevereins. Mit Erfolg. | |
| Doch einige Ex-Mitstreiter*innen wenden sich von ihr ab. | |
| Transparente Sportausschuss-Sitzung: Die CDU stellt sich quer | |
| Nach negativen Presseberichten tagt der Sportausschuss des Bundestages seit | |
| 2011 kaum noch öffentlich. Viele Parteien würden das gern ändern. | |
| Traumaexperte über Doping in der DDR: „Es geht um Einschüchterung“ | |
| Doping hat körperliche Auswirkungen – und psychische. Der Traumaexperte | |
| Harald Freyberger erforscht die Folgen der Leistungsmanipulation im | |
| DDR-Sport. | |
| Olympia-Flott in Hamburg: Die Sause ist ausgefallen | |
| Siegesgewiss waren die Olympia-Fans auf die große Party eingestellt. Doch | |
| dann kam das böse Erwachen. Protokoll eines gescheiterten Abends. | |
| Kommentar Olympia-Votum in Hamburg: Feuer aus, Flamme auch | |
| Hamburg hat gegen die Sommerspiele 2024 gestimmt. Das zeigt, in welcher | |
| Glaubwürdigkeitskrise der olympische Sport steckt. | |
| Hamburgs Bewerbung für Olympia 2024: Das Vademecum zum Votum | |
| Bis Sonntag läuft das Referendum über die Bewerbung der Hansestadt für die | |
| Spiele in 2024. Worum geht es eigentlich genau? | |
| Die Wahrheit: Hamburg muss Olympia! | |
| Vor dem Referendum am Sonntag: Der Hansestadt Hamburg gehören die Spiele | |
| 2024 – unwiderlegbar, logisch und zwingend. | |
| Referendum in Hamburg: Wollen wir Olympia? | |
| Dafür oder dagegen? Bei der Abstimmung über die Bewerbung um die Spiele | |
| 2024 sind auch die Redakteure der taz.nord uneins. | |
| Olympia-Referendum: Die Stimmungsmacher | |
| Wie die Hamburger Politik versucht, bei der Bevölkerung Begeisterung für | |
| die Olympischen Spiele zu wecken. Gegenstimmen werden ignoriert. |