# taz.de -- Olympia-Referendum: Die Stimmungsmacher | |
> Wie die Hamburger Politik versucht, bei der Bevölkerung Begeisterung für | |
> die Olympischen Spiele zu wecken. Gegenstimmen werden ignoriert. | |
Bild: Mehrere hundert Menschen bilden im Stadtpark die Olympischen Ringe nach | |
HAMBURG taz | An einem ungemütlichen Novemberabend, draußen regnet es und | |
es ist kalt, steht Christoph Holstein im Festsaal des Hamburger Rathauses | |
und spricht von der Sonne. Die Sonne, erzählt er, habe am gestrigen Tag | |
genau dann über dem Stadtpark geschienen, als Tausende Menschen in bunten | |
Ponchos medienwirksam die olympischen Ringe formten. Natürlich gab es auch | |
eine Gegendemonstration, aber die war klein. Und dass die Sonne schien, | |
sagt Holstein: „Das kann kein Zufall gewesen sein.“ | |
Wahlkampfhumor. Die SPD hat zum Sportempfang geladen, es geht um die | |
Bewerbung um die Olympischen Spiele, und Christoph Holstein, | |
Sportsstaatsrat und als solcher schon von Amts wegen begeistert von der | |
Sache, sieht nur Gutes in Olympia. Er spricht von „Milliarden Zuschauern“ | |
vor den Bildschirmen und von „internationalen Medien“, die Hamburg besuchen | |
werden. | |
Er erzählt, dass man im Ausland Bewerberstädte anfangs immer mit „Rom, | |
Paris, Hamburg, Germany“ aufgesagt habe und dass das verortende „Germany“ | |
inzwischen verschwunden sei. Er spricht von Nachnutzung, von Gastronomie, | |
von Wohnungen, es werden „glückliche Menschen“ sein, die hier einziehen, | |
sagt er. | |
Später sitzen der Hamburger SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und mehrere | |
Sportler auf dem Podium und Juliane Timmermann, SPD-Abgeordnete in der | |
Bürgerschaft, stellt Fragen: Was bringt Olympia für Sport vor Ort? Was | |
würden Sie den Kritikern entgegnen? Sie sagen Ja zu Olympia, weil …? Es | |
klingt, als würde ein Pressesprecher seinen eigenen Chef interviewen. | |
Das Rennen um die Olympia-Bewerbung geht, sportlich gesprochen, in diesen | |
Tagen auf die Zielgerade, und es ist ein ungleicher Kampf. Seit Monaten | |
überzieht eine großangelegte Werbekampagne die Stadt: Straßen werden | |
plakatiert, Hunderttausende Flyer verteilt, Hamburger Bürger erzählen auf | |
Leuchtreklamen, warum sie für Olympia sind. | |
Warum manche vielleicht gegen Olympia sind, steht da nicht. Es gab | |
Diskussionsrunden, Empfänge, Themenabende, Grünkohlessen, Filmvorführungen, | |
der mehrfache Olympiasieger Michael Groß hat Wahllokale eröffnet, vor dem | |
Rathaus zählt eine Olympia-Uhr die Zeit bis zum Referendum herunter, es | |
gibt sogar eine Olympia-Sängerin. Im Video zu ihrem Song steht sie am Hafen | |
und trällert Zeilen wie „Meine Stimme, die sagt ja/Mein Herz schlägt für | |
Hamburg und für Olympia“. Der Hamburger Sportbund war sofort begeistert. | |
Beim Thema Olympia verstehen sich Politik und Wirtschaft in diesen Tagen | |
blendend. Sie denken an zahlende Gäste, an Bilder, die um die Welt gehen | |
werden, an Investitionen, Wachstum, Weltruhm. Sie denken sicher auch daran, | |
dass selbst im Falle eines Scheiterns diese Bewerbung Hamburg bekannter | |
machen wird. | |
Es ist eine umfassende Marketingstrategie. In der privaten Initiative | |
„Feuer und Flamme“ haben sich vor allem Bau- und Finanzbranche | |
zusammengetan, sie sammeln Geld für ihre millionenschwere | |
Pro-Olympia-Kampagne und machen massiv Werbung. Im Rathaus unterstützen | |
fünf von sechs Fraktionen offiziell die Bewerbung, alle außer den Linken. | |
Wer in den anderen Fraktionen dagegen ist, ist still. | |
Eine Woche nach dem SPD-Empfang, bei einer Veranstaltung der Grünen, ist | |
die Euphorie verhaltener. Jens Kerstan tut sich schwer. Er steht da und | |
soll über Olympia reden, und vor drei Tagen war erst Paris. Der | |
Umweltsenator schluckt, dann sagt er, was sich alle fragen: „Gibt es jetzt | |
nicht eigentlich wichtigere Dinge, als über Olympia zu reden?“ | |
Keine Frage: Gibt es. Aber nächste Woche ist nun mal das Referendum, und | |
deshalb ist Jens Kerstan heute hier. „Wie grün wird Olympia?“ heißt die | |
Veranstaltung, sie findet in der GLS Bank statt, denn das ist es ja, was | |
man heute zeigen will: dass Geld und Grün sich nicht ausschließen. | |
Mit Nachhaltigkeit will Hamburg gegen die Gigantomanie der üblichen | |
Olympia-Bewerbungen auftrumpfen. Jens Kerstan spricht über autofreie Zonen, | |
ökologische Standards, nachhaltige Lieferketten, aber Jens Kerstan fällt es | |
sichtlich schwer, sein Verständnis für die Argumente der Gegner zu | |
verbergen. Im Publikum sind Leute, die ihn duzen, man kennt sich. Es ist | |
das Klientel der Grünen, das hier heute sitzt und skeptisch ist. | |
Stimmt es, fragt einer, dass das Nachhaltigkeitskonzept noch gar kein | |
Nachhaltigkeitskonzept ist, sondern nur unverbindliche Aussagen? | |
Tatsächlich: In vielen Punkten sind noch keine genauen Kriterien | |
festgelegt. Ob man bis 2024 effektive Dopingkontrollen gewährleisten könne, | |
fragt ein anderer. Er habe keine Lust darauf, dass Olympia ein Wettbewerb | |
der Pharmafirmen wird. Und: Stadtentwicklung gut und schön – aber geht das | |
nicht auch ohne die Spiele? | |
Und das sind nicht die wichtigsten Fragen. | |
Da ist die Frage der Sicherheit, die nach den Anschlägen von Paris so | |
dringend geworden ist. Wie will man den Schutz von Besuchern, Sportlern, | |
Einwohnern gewährleisten, ohne sie einer engmaschigen Überwachung | |
auszusetzen? | |
Da sind die bescheidenen Aussichten einer Bewerbung: 2024 findet | |
voraussichtlich schon die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland statt | |
und mit Los Angeles, Paris und Rom ist die Olympia-Konkurrenz enorm stark. | |
Da ist die grundsätzliche Vertrauenskrise des Spitzensports und seiner | |
Funktionäre: Fifa-Affäre, Wirbel ums „Sommermärchen“ (also die Fußball-… | |
in Deutschland 2006), Doping. | |
Da ist der Host-City-Vertrag, den viele als „Knebelvertrag“ schimpfen. Er | |
regelt die Rechte und Risiken zwischen IOC und Gastgeber, wobei das IOC | |
deutlich mehr von den Rechten hat und die Gastgeberstadt die Risiken trägt. | |
Und da ist, vor allem, die Flüchtlingskrise, von der der Präsident des | |
Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, in einer charmanten | |
Verdrehung der Tatsachen sagte, sie käme „zur absoluten Unzeit“. Würde das | |
Geld hier nicht dringender gebraucht? | |
Es sind Themen, die bei den Veranstaltungen meist ignoriert und in | |
Diskussionen mehr oder weniger eloquent beiseite gewischt werden, die aber | |
zu Ende dieses Wahlkampfes immer wichtiger werden. Die Gegenstimmen werden | |
lauter, die Politik reagiert zunehmend verschnupft. | |
Kürzlich wurde vor einem Stadtteilgespräch zum Thema Olympia Buttersäure | |
versprüht, Olympia-Gegner demonstrierten vor der Tür und Olaf Scholz wurde | |
während der Veranstaltung ungewohnt pampig. Nun haben sich auch die | |
Mitglieder des FC St. Pauli gegen die Bewerbung ausgesprochen. Aber gegen | |
die laute und stets präsente Werbemaschinerie, die auf Emotionen setzt, | |
kommen kritische Stimmen kaum an. | |
Die Kritiker, das sind keineswegs nur Aktivisten und Ewigdagegene. Das sind | |
auch der Rechnungshof und der Zukunftsrat, die vor den Unsicherheiten und | |
Risiken warnen. Das ist der BUND, der die Bewerbung nicht nur wegen | |
ökologischer, sondern auch wegen finanzieller Bedenken ablehnt. Das sind | |
Wissenschaftler, die das Bewerbungsverfahren wegen „manipulativer Züge“ | |
kritisieren und darauf hinweisen, dass „die Olympia-BefürworterInnen aus | |
Politik, Wirtschaft, Sportmarketing und Verbänden bislang wesentliche | |
Konfliktpunkte unerwähnt oder unbeantwortet“ lassen. | |
Aber beim SPD-Sportempfang fällt auf dem Podium irgendwann der leicht | |
genervte Satz: „Es gibt überhaupt keinen Grund, mit Nein zu stimmen, es sei | |
denn, man findet das Ganze grundsätzlich doof.“ | |
21 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Carina Braun | |
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