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# taz.de -- Doping in der BRD: Ausheulen beim Häuptling
> Anlässlich einer Bundestagsanhörung: Ehemalige Leichtathleten aus der
> Bundesrepublik sprechen über Doping mit Anabolika im Westsport.
Bild: „Die Einnahme wurde trotz Verbotes toleriert“: Alwin Wagner im Jahr 1…
Doping in der alten BRD, das war das Thema in der letzten Sitzung des
Bundestags-Sportausschusses vor der Sommerpause. Der Autor Simon Krivec
stellte am Mittwochnachmittag den Abgeordneten seine Studie vor: „Die
Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der
Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer
Berücksichtigung der Leichtathletik“ (erschienen im Logos-Verlag Berlin,
345 Seiten).
In diversen Fallbeispielen wird gezeigt, dass das Anabolika-Doping auch im
Westen, vor allem in den Wurf- und Stoßdisziplinen sehr weit verbreitet
war, wenngleich die Systematik einer staatlichen Steuerung fehlte.
Dauerdoping war auch im Westen State of the Art. Gedopt wurde in kleinen
Netzwerken, unterstützt durch gewissenlose Ärzte sowie Trainer und
Funktionäre, die Bescheid wussten, aber immer wieder wegschauten, wenn
Medikamente wie Dianabol, Stromba, Fortabol, Testosteron oder
Megagrisevit zur Muskelmast eingenommen wurden. Wir dokumentieren Aussagen
des Exathleten Alwin J. Wagner, fünffacher Deutscher Meister im
Diskurswurf:
„(Bundestrainer Karlheinz Steinmetz) gab mir auch Anfang des Jahres 1977
das erste Mal Dianabol-Tabletten. Anfangs war ich skeptisch, doch bald
schon sah ich die Erfolge. […] Von Funktionärsseite wurde ich nicht dazu
aufgefordert, aktiv Anabolika einzunehmen, jedoch wurde die Einnahme trotz
Verbotes toleriert. So wurden wir über unsere Trainer immer wieder darauf
aufmerksam gemacht, wenn Dopingkontrollen anstanden.
Bei nationalen Wettkämpfen war aber augenscheinlich selbst das kein
Problem. So weiß ich noch, dass bei einer unangekündigten Dopingkontrolle
ein Teamkamerad auf mich zukam und meinte, er sei ‚bis oben hin voll‘.
Trotzdem gestand er mir einige Wochen später, dass dieser Test negativ
ausgefallen war. […]
1977 wurde weder vom DLV-Trainer Steinmetz noch von den betreuenden Ärzten
in Freiburg Aufklärung betrieben, welche Wirkungen und Nebenwirkungen durch
die Einnahme der verschriebenen Medikamente eintreten können. Vielmehr hat
Prof. Keul mir damals versichert, es sei alles ok und ich könne ruhig mehr
einnehmen. Ich habe immer wieder mit Prof. Klümper über Anabolika
gesprochen, auch über die aufgezählten Nebenwirkungen in den
Beipackzetteln. Klümper hat diese dann immer verharmlost und gemeint, dass
die Firmen das alles aufschreiben müssten, um sich rechtlich abzusichern.
[…]
## „Das ist hier tabu“
Ende der Siebziger wurde mir von den Ärzten gesagt, dass man die Anabolika
rund 14 Tage vor dem Wettkampf absetzen müsse, um keinen positiven
Dopingbefund zu riskieren. Diese Frist wurde dann im Laufe der Jahre auf 10
Tage heruntergeschraubt. Das Testosteron könne bis 1 Tag vor dem Wettkampf
bedenkenlos angewendet werden. […]
In den 80er Jahren war ich der ‚Häuptling‘. Da kamen viele Athleten zu mir
und haben sich regelrecht ausgeweint. Ich war ja damals Kapitän der
Nationalmannschaft. Die sagten dann: ‚Wir müssen immer mehr nehmen, die
Normen gehen höher und höher. Was sollen wir denn bloß machen?‘ Als ich das
Thema bei einer Sitzung in Frankfurt vortrug – alle Top-Athleten waren
dabei –, sagte mit der Präsident Kirsch: ‚Das ist hier tabu.‘ Kirsch wus…
es, Blattgerste [H. Blattgerste, Leistungssportdirektor des Deutschen
Leichtathletikverbands] wusste es, auch Frau Bechthold, die heute noch
Vizepräsidentin des DLV ist.“
Skrupel hat es bei der Einnahme der verbotenen Mittel eher nicht gegeben.
Ein Kollege von Wagner, der Kugelstoßer Gerd Steines, berichtet: „Anabolika
waren für mich immer nur ein gesundheitliches Problem, nie eins der
Fairness, Ethik oder Moral. Ich habe die Anabolikaeinnahme nie als
unerlaubten Vorteil betrachtet, sondern als selbstverständliche Vermeidung
eines eventuellen Nachteils.
Mir war nie wohl in meiner Haut, wenn ich Anabolika nahm, aber ich sah nur
die Alternative, Höchstleistung anzustreben oder den Leistungssport
aufzugeben. Das hätte ich im Übrigen getan, wenn mir die Mediziner, auf
deren Kompetenz ich vertraute, nicht die Unschädlichkeit von in
kontrollierten Dosierungen eingenommenen Anabolika versichert hätten.“
29 Jun 2017
## AUTOREN
Markus Völker
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